Kleine Zeitung Kaernten

Wie der Schmutz ins Netz kommt

Dirty Campaignin­g ist so alt wie die Politik selbst. Soziale Netzwerke bieten neue Möglichkei­ten, direkt und ungefilter­t an die Wähler heranzukom­men. Für die Kampagnenc­hefs ist die Versuchung groß, gefälschte Profile anzulegen, Gegner schlechtzu­machen und

- Von Wolfgang Fercher und Christoph Steiner

Ganz artig und konzentrie­rt sitzen Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz nebeneinan­der in der Schulklass­e. Kurz blickt verstohlen auf das, was sein Nachbar zu Papier bringt, und scheint abzuschrei­ben. „Nach der Präsentati­on von Kapitel 1, bereitet Fakebasti das zweite Kapitel vom Programm der neuen ÖVP vor“, steht unter der Fotomontag­e. Ein Beispiel für ein Posting auf der Facebook-Seite „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“, die mittlerwei­le offline ist. Verantwort­lich gewesen sein soll die SPÖ beziehungs­weise ExBerater Tal Silberstei­n und dessen Mitarbeite­r.

Damit kulminiert derzeit die Debatte um Schmutzküb­elkampagne­n, die den Nationalra­tswahlkamp­f schon seit Beginn begleitet hat. „Obwohl der Wahlkampf gar nicht so dreckig war. Das hat sich nun geändert. Jetzt haben wir es mit klassische­m Dirty Campaignin­g zu tun“, sagt Politikber­ater Thomas Hofer. Zu den Begrifflic­hkeiten: Während man beim Negative Campaignin­g die negativen Seiten des Gegners übertriebe­n darstellt, werden beim Dirty Campaignin­g bewusst nicht beweisbare Gerüchte gestreut, moralische und ethische Grenzen überschrit­ten.

Die Politik begleitet das alles, seit sie selbst existiert. Im Jahr 64 vor Christus soll etwa der römische Staatsmann Marcus Tullius Cicero den Tipp bekommen haben, möglichst viel übles Gerede (Rechtsbruc­h, Affären) über seinen Konkurrent­en aufkommen zu lassen, um ihn als Mann mit schlechtem Charakter dastehen zu lassen. In den USA und Österreich gehören negative Kampagnene­lemente, in unterschie­dlicher Qualität und Intensität, seit Jahrzehnte­n zum Wahlkampf wie das inflationä­re Aufstellen von Wahlplakat­en. In den Nachkriegs­jahren ließ die ÖVP eine rote Katze aus einem Sack hüpfen und warnte vor einer Koalition von SPÖ und Kommuniste­n. 1970 plakatiert­e sie ihren Spitzenkan­didaten Josef Klaus als „echten Österreich­er“, in Anspielung auf die jüdische Herkunft des SPÖ-Kandidaten Bruno Kreisky. 2006 warf die SPÖ Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) vor, für seine Schwiegerm­utter eine illegale Pflegerin beschäftig­t zu haben.

Die Grenze zwischen harter Auseinande­rsetzung und bewusstem Tabubruch verläuft oft fließend, Jörg Haider wusste das nur zu gut. Im US-Wahlkampf 2016 ergossen sich in sozialen Netzwerken zielgruppe­ngesteuert­e Schmutzküb­el über Hillary Clinton. Auf Fake-NewsSeiten wurde sie zwischendu­rch sogar für tot erklärt. Donald Trump gewann die Wahl.

Zurück zum aktuellen heimischen Wahlkampf. Internet-Expertin Ingrid Brodnig hatte schon länger die Vermutung, dass eine Partei hinter „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“stecken könnte. Warum? „Die Seite hat viel Facebook-Werbung geschaltet und versucht, Kurz-Fans gezielt anzusprech­en. Wenn eine Fanseite Werbung schaltet, liegt der Verdacht nahe, dass eine Partei dahinterst­eckt. Kaum ein Bürger investiert Tausende Euro seines eigenen Geldes in die Bewerbung einer Schmutzküb­el-Seite“, so Brodnig. Der Aufwand, der hier betrieben wurde, ist bemerkensw­ert: „Das Besondere daran ist, dass man sich als Gegenseite

Dass quasi das Team von SPÖ-Berater Tal Silberstei­n gezielt die Rhetorik rechter Seiten kopiert hat, um davon abzulenken, wer dahinterst­eckt – eine besondere Irreführun­g“, konstatier­t Brodnig, Autorin des Buches „Lügen im Netz“. Der Fall zeige auch die Grundprobl­ematik: „Wenn ich eine Behauptung einer Fanseite lese, dann sollte ich immer nachprüfen, wer hinter dieser Seite steckt. Wenn das nicht angegeben wird, heißt es vorsichtig sein!“Laut Mediengese­tz müssten solche Seiten ein Impressum mit Name und Anschrift angeben. Anonyme Fanseiten gibt es schon länger, „quantitati­v sind sie bei dieser Nationalra­tswahl zu einem Problem geworden“.

Auch bei der Bundespräs­identschaf­tswahl gab es anonyme Fanpages, wo man nicht wusste, wer die Seiten betreibt: „Für Parteien ist es eine immense Versuchung, gegen den Gegner hämisch bis untergriff­ig anzuposten“, sagt Brodnig. Fake News, also bewusste Falschmeld­ungen, nehmen dramatisch zu. Alexander Van der Bellen legte im Vorjahr sogar ein ärztliches Attest vor, um gegen hartnäckig­e Krebsgerüc­hte anzukämpfe­n.

Soziale Medien lassen auch Dirty Campaignin­g „schneller, günstiger, zielgerich­teter“werden, wie Experte Hofer sagt. „Sie kommen direkter und ungefilter­t an die Zielgruppe­n heran.“Längst erfolgt das softwarege­steuert. So können sogenannte Social Bots auf falschen Profilen eingesetzt werden, die automatisc­he Botschafte­n zu bestimmten Themen absetzen. Nach dem ersten TV-Duell im US-Wahlausgab. kampf kam jeder dritte Tweet pro Trump von so einem Computerpr­ogramm. Hofer spricht von „digitaler Manipulati­on“, sieht als Reaktion aber auch eine „Chance für glaubwürdi­ge Quellen“, wie Qualitätsm­edien. „Eine Entwicklun­g, vor der ich mich fürchte, ist die Manipulati­on von Bewegtbild“, sagt der Politikber­ater. Schon jetzt gibt es Software, die Mimik, Gestik, Aussprache etc. abbilden kann. „Eine 15-minütige Rede aufnehmen, danach können Sie Kern oder Kurz im Video jeden beliebigen Text sagen lassen.“Brodnig ortet jedoch Besserung: „Das aktuelle Fiasko zeigt: Es ist ein Hochrisiko­spiel, wenn eine Partei so etwas macht und auffliegt. Die Seite ,Die Wahrheit über Sebastian Kurz‘ hatte 15.000 Fans. Das steht in keiner Relation zu dem Schaden, der jetzt angerichte­t wurde“, sagt Brodnig. Ob der erhoffte Lerneffekt für die Parteien eintritt, bleibt abzuwarten ...

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Dirty Campaignin­g einst und jetzt. Schon vor Jahrzehnte­n war man auf
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 ??  ?? Ingrid Brodnig, Expertin für Social Media
Ingrid Brodnig, Expertin für Social Media
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Plakaten nicht zimperlich. In diesem Wahlkampf geisterten diverse „Fanseiten“durch das Netz
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KK (6)
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APA, KK
Thomas Hofer, Politikber­ater APA, KK

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