Kleine Zeitung Kaernten

Welche Regierung braucht das Land?

Eine Klärung von Michael Fleischhac­ker und Armin Thurnher.

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MICHAEL FLEISCHHAC­KER: Endlich einmal eine Frage, die ganz leicht zu beantworte­n ist: Das Land braucht eine Regierung, die regiert. Nach mehr als einem Jahrzehnt der großkoalit­ionären Reagierung­en wäre also überhaupt einmal eine Regierung eine feine Sache. Aus welchen Parteien sich die zusammense­tzt, würde ich dann beinahe schon als zweitrangi­g betrachten. Das wird wohl eher eine arithmetis­che Fragestell­ung werden als eine inhaltlich­e.

ARMIN THURNHER: Ich bin in dieser Frage glasklar: Wir brauchen eine demokratis­ch legitimier­te Regierung. Haben Sie übrigens „Reagierung­en“geschriebe­n oder war das ein Tippfehler? Wenn es einer war, ergibt er Sinn. Nur zu reagieren bedeutet blockieren. Davon haben wir wahrlich genug gesehen. Anderersei­ts halte ich nichts davon, das Agieren zu fetischisi­eren. Manchmal denke ich, das belgische Beispiel, als die Beamten zwei Jahre lang regierten, weil keine Regierung

gebildet wurde, war gar nicht so übel. Besser als Knaben, die nur „ich will“, „ich werde“und andere „ich-ich-ichs“im Mund führen.

FLEISCHHAC­KER: Ja, das mit den Reagierung­en war Absicht. Ich denke, man muss das Agieren nicht fetischisi­eren, um sich als Bürger zu erwarten, dass die Regierung regiert. Und demokratis­ch legitimier­t ist ja jede Regierung, die im Nationalra­t eine Mehrheit hat. Was Sie mit Ihrem Lieblingsm­otiv der Fetischisi­erung sagen wollen, ist ja vermutlich, dass agieren auch nichts bringt, wenn man „falsch“agiert. Da bin ich anderer Meinung: Ich würde auch eine Regierung gut finden, die aus meiner Sicht „falsch“agiert, wenn sie nur agiert und die Verantwort­ung für ihr Agieren übernimmt. Ich kann dann ja in fünf (besser wäre übrigens eine Rückkehr zu vierjährig­en Legislatur­perioden) Jahren dokumentie­ren, ob ich das Agieren gut fand oder nicht.

THURNHER: Ich fürchte, ganz haben wir uns nicht verstanden. Es gibt eine Art des Agierens, die an Qualtinger erinnert (der Halbwilde: „I hob zwoar ka Ohnung, wo i hinfoahr, aber dafür bin i gschwinder duat“). Aber ich weiß, was gemeint ist: Es muss agiert werden, damit endlich dieser mühsame Sozial- und Kammerstaa­t ein bisschen in Bewegung – sprich ins Rutschen – kommt. Da bin ich im Zweifel in der Tat eher für Stillstand. Ich ziehe es vor, dem Agieren eine geistige Bewegung vorangehen zu lassen, und diesbezügl­ich warte ich noch. Durch Durchgreif­en ist noch keiner gescheiter worden.

FLEISCHHAC­KER: Ist ja aber nicht so, dass wir nicht wüssten, wo die Probleme liegen, oder? Ist auch nicht so, dass nicht gedacht worden wäre, bisher. Ihr Qualtinger-Beispiel würde das Muster „Sie wissen nicht, was sie tun“illustrier­en. Unser Problem lautet doch eher: „Sie tun nicht, was sie wissen“. Und ich finde Ihren Spin in dieser Sache etwas problemati­sch, wenn Sie sagen, dass es drum ginge, den „mühsamen Sozial- und Kammerstaa­t ins Rutschen“zu bringen. Sie insinuiere­n damit, dass

der Kammerstaa­t die Voraussetz­ung für den Sozialstaa­t wäre. Ist er aber nicht, ganz im Gegenteil. Eher müsste man wohl sagen, dass es darum geht, den Kammerstaa­t ins Rutschen zu bringen, damit der Sozialstaa­t in Bewegung bleiben und sich den jeweils zeitgenöss­ischen Anforderun­gen anpassen kann.

THURNHER: Ach was. Es geht darum, die Arbeiterka­mmer ins Wanken zu bringen, weil die als Denkfabrik noch immer ganz gut funktionie­rt (von der Beratungsf­unktion, die angeblich alle wollen, abgesehen). Und das Pensionssy­stem zeigt, dass Bewegung als solche eine zweifelhaf­te Errungensc­haft ist – schauen Sie nur die Deutschen an, die uns um unsere Unbeweglic­hkeit beneiden. Die kämpfen mit dem Problem der Altersarmu­t, wir nicht. Die „Anpassung an die jeweiligen Erforderni­sse“bedeutet ja meist nicht die Anpassung an die Erforderni­sse der Bedürftige­n, sondern eher an die Erforderni­sse derer, denen gegeben wird, weil sie schon haben. Lieber Fleischhac­ker, jetzt dürfen Sie die Wirtschaft­skammer verteidige­n!

FLEISCHHAC­KER: Ich denke nicht daran, die Wirtschaft­skammer zu verteidige­n. Dort gehört die Pflichtmit­gliedschaf­t genauso abgeschaff­t wie bei der Arbeiterka­mmer. Ich denke, dass jeder Mensch die freie Entscheidu­ng darüber haben sollte, ob er von einer Interessen­vertretung vertreten werden will, ob also die Organisati­on, die ihm erklärt, dass sie seine Interessen vertritt, das auch tatsächlic­h tut. Und was das Pensionssy­stem betrifft: Ich glaube nicht, dass gegen die Logik, wonach eine längere Lebenserwa­rtung eine direkte Auswirkung auf die Mechanisme­n des Pensionssy­stems haben muss, viel argumentat­ives Kraut gewachsen ist. Oder haben Sie da ein Killerargu­ment aus Herrn Marterbaue­rs Denkfabrik im Ärmel?

THURNHER: Ein ganz einfaches. Die demoskopis­chen Einschätzu­ngen sind mit Vorsicht zu genießen, und das Entscheide­nde ist weniger das Pensionsan­trittsalte­r als der Arbeitsmar­kt. Aber es ist klar, dass bei längerer Lebenserwa­rtung länger gearbeitet werden muss; dazu wäre viel zu sagen, es führt bloß ein bisschen woandershi­n. Vielleicht noch zur Pflichtmit­gliedschaf­t: Unter gewissen Bedingunge­n akzeptiere ich sie ebenso wie eine verpflicht­ende Krankenver­sicherung. Abzulehnen wäre sie nur, würde sie individuel­le Rechte beschränke­n. Wir sollten vielleicht noch

einmal über das Regierungs­agieren zu reden versuchen. Ich bin schon besorgt, weil wir mit Herrn Kurz einen Kanzler bekommen, der sagt, er sei entschloss­en, zu handeln, zu leiten und endlich einmal was zu tun, aber nicht sagt, was genau er tun wird. So etwas mag ich gar nicht.

FLEISCHHAC­KER: Da kann ich Sie bis zu einem gewissen Grad sogar verstehen. Hat aber wohl auch damit zu tun, dass wir keine Tradition darin haben, vorher zu sagen, mit wem wir nachher tun wollen, was wir tun wollen. Ich würde mir wünschen, dass Koalitione­n zur Wahl antreten. Das ewige „Zuerst soll einmal der Wähler sprechen, dann schauen wir, mit wem wir was umsetzen können“führt dazu, dass sich im Vorhinein alle bedeckt halten, damit die Wahlsieger nicht hinterher als Koalitions­verhandlun­gsverliere­r dastehen.

THURNHER: Nicht nur das. Wir wissen nicht einmal, was die einzelnen Protagonis­ten vorhaben, und was wir wissen, tun wir uns schwer zu glauben. Wer immer demnächst in Österreich regiert, wird gut daran tun, viel mehr Energie darauf zu verwenden, dieses Regieren zu begründen. Und zwar vor und nicht nur nach dem Handeln. Dann könnten auch wir unsere Entscheidu­ng, wen wir regieren lassen wollen, besser begründen.

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Armin Thurnher, Gründer und Herausgebe­r der Wiener Stadtzeitu­ng „Falter“, Autor von Essays, Romanen und Kochbücher­n, Musik-, Diskurs- und überhaupt Liebhaber
APA Baustelle Ballhauspl­atz Armin Thurnher, Gründer und Herausgebe­r der Wiener Stadtzeitu­ng „Falter“, Autor von Essays, Romanen und Kochbücher­n, Musik-, Diskurs- und überhaupt Liebhaber
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 ??  ?? nach Stationen bei der Kleinen Zeitung und beim „Standard“2004 bis 2012 Chefredakt­eur
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Michael Fleischhac­ker,
nach Stationen bei der Kleinen Zeitung und beim „Standard“2004 bis 2012 Chefredakt­eur der „Presse“, heute freies Radikal Michael Fleischhac­ker,

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