Kleine Zeitung Kaernten

Was ist gut, was ist böse?

Uwe Timms opulenter Roman „Ikarien“erfordert Kraft und Ausdauer.

- Peter Mohr

Um dunkle und helle Sphären im Menschen, um kaum erklärbare Ambivalenz­en und Berührungs­punkte zwischen Gut und Böse geht es im neuen Roman von Uwe Timm (77), der seine größten Erfolge mit dem Jugendbuch „Rennschwei­n Rudi Rüssel“und mit dem in zwanzig Sprachen übersetzte­n Roman „Die Entdeckung der Currywurst“(1993) gefeiert hat. Wie dieser Erfolgsrom­an ist auch „Ikarien“in der unmittelba­ren Nachkriegs­zeit angesiedel­t.

Mit einer komplizier­ten politisch-emotionale­n Gemengelag­e sieht sich der Protagonis­t Michael Hansen konfrontie­rt, ein aus Hamburg stammender US-Offizier, der im Auftrag der amerikanis­chen Regierung Forschungs­ergebnisse des Eugenikers Alfred Ploetz aufspüren soll.

Ploetz, von Hitler zum Professor ernannt, gilt als geistiger Vater der NS-Rassenhygi­ene, als streitbare­r Fachmann für Reprodukti­onsmedizin. Bei seiner Arbeit trifft Hansen auf den ehemaligen KZ-Insassen Wagner, der in jungen Jahren mit Ploetz befreundet war. Beide begeistert­en sich einst für den Sozialrevo­lutionär Étienne Cabet (1788-1856) und dessen Roman „Voyage en Icarie“.

Die Grenzen zwischen Rechts und Links, Rassenwahn und idealistis­chem Weltverbes­serungseif­er, rigider Selektion und sozialroma­ntischem Gleichheit­sstreben verfließen. Gut und Böse lagen in der Freundscha­ft Wagner/Ploetz nah beisammen.

Kein Buch für zartbesait­ete Gemüter, sondern ein dicker Brocken, der viel Ausdauer erfordert, der nicht nur gelesen, sondern auch bezwungen werden muss.

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Uwe Timm. Ikarien. Kiepenheue­r und Witsch. 506 Seiten, 24 Euro

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