Was ist gut, was ist böse?
Uwe Timms opulenter Roman „Ikarien“erfordert Kraft und Ausdauer.
Um dunkle und helle Sphären im Menschen, um kaum erklärbare Ambivalenzen und Berührungspunkte zwischen Gut und Böse geht es im neuen Roman von Uwe Timm (77), der seine größten Erfolge mit dem Jugendbuch „Rennschwein Rudi Rüssel“und mit dem in zwanzig Sprachen übersetzten Roman „Die Entdeckung der Currywurst“(1993) gefeiert hat. Wie dieser Erfolgsroman ist auch „Ikarien“in der unmittelbaren Nachkriegszeit angesiedelt.
Mit einer komplizierten politisch-emotionalen Gemengelage sieht sich der Protagonist Michael Hansen konfrontiert, ein aus Hamburg stammender US-Offizier, der im Auftrag der amerikanischen Regierung Forschungsergebnisse des Eugenikers Alfred Ploetz aufspüren soll.
Ploetz, von Hitler zum Professor ernannt, gilt als geistiger Vater der NS-Rassenhygiene, als streitbarer Fachmann für Reproduktionsmedizin. Bei seiner Arbeit trifft Hansen auf den ehemaligen KZ-Insassen Wagner, der in jungen Jahren mit Ploetz befreundet war. Beide begeisterten sich einst für den Sozialrevolutionär Étienne Cabet (1788-1856) und dessen Roman „Voyage en Icarie“.
Die Grenzen zwischen Rechts und Links, Rassenwahn und idealistischem Weltverbesserungseifer, rigider Selektion und sozialromantischem Gleichheitsstreben verfließen. Gut und Böse lagen in der Freundschaft Wagner/Ploetz nah beisammen.
Kein Buch für zartbesaitete Gemüter, sondern ein dicker Brocken, der viel Ausdauer erfordert, der nicht nur gelesen, sondern auch bezwungen werden muss.