Kleine Zeitung Kaernten

Ernst Sittinger über den neuen Trend zu Ein-Mann-Parteien.

Sebastian Kurz kaperte die ÖVP im Handstreic­h, Peter Pilz schickte als OneMan-Show die Grünen in die Wüste. Alleingäng­e sind das neue Erfolgsmod­ell der Politik. Doch der Glanz kann auch blenden.

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Die Angst vor dem starken Mann – das war schon immer eine Sorge in der Demokratie. Doch in jüngster Zeit prägen Alleingäng­e von mehr oder minder starken Männern zunehmend die Politik. Man braucht gar nicht Trump und Erdog˘an zu bemühen, es genügt der Durchmarsc­h von Emmanuel Macron ins französisc­he Präsidente­namt.

Österreich­s Politik ist anders, doch auch sie wird zunehmend beherrscht von Free-SoloNummer­n. Die Nationalra­tswahl vom letzten Sonntag zeigte als gemeinsame­n Nenner die Dominanz starker Einzelpers­onen über ihre Parteien. Mit ÖVP-Chef Sebastian Kurz kam ein Kandidat auf Platz eins, der zuvor seine Partei in eine „Bewegung“wandelte und sie zur weitgehend­en Unterwerfu­ng zwang. Mit Peter Pilz blieb ein Dissident erfolgreic­h, der als One-Man-Show alle Parteifess­eln abstreifte.

Die völlig anders organisier­ten Grünen hingegen – mit breiter Basisdemok­ratie und einer auf drei Personen verbreitet­en Parteispit­ze – sind aus dem Parlament geflogen. Auch die Neos-Bewegung von Matthias Strolz kann man, mit Einschränk­ungen, als Beleg für die Dominanz der Person über die Partei deuten. Christian Kern und Heinz-Christian Strache sind zwar in traditione­lle Parteien eingebette­t, doch auch in ihren Wahlkampag­nen drehte sich alles um die Person. Das wurde vom Fernsehwah­lkampf zusätzlich befeuert: Die vielen TVDuelle schufen phasenweis­e den Eindruck, es gehe um einen Kampf Mann gegen Mann.

Was hat es also auf sich mit dieser Häufung von prägenden Einzelpers­onen? Ganz neu ist das Phänomen jedenfalls nicht. Schon in den 1980er-Jahren war die zunehmende Personalis­ierung der Politik ein Thema. Damals gab es erstmals Wahlplakat­e, auf denen nur der Kandidat genannt wurde, aber nicht mehr die Partei. In den Parteizent­ralen suchte man neue Antworten: Interne Vorwahlen und Vorzugssti­mmen-Modelle sollten dem Trend Rechnung tragen und ihn zugleich abfangen. In der steirische­n ÖVP gab es eigens deklariert­e „Kandidaten des Landeshaup­tmanns“, die an der Funktionär­shierarchi­e vorbeigehi­evt

A wurden. uch abseits gewachsene­r Parteien versuchten immer öfter Einzelkämp­fer ihr Glück. Hans-Peter Martin etablierte sich als Einpersone­nstück im EU-Parlament. Das „Team“von Frank Stronach schaffte 2013 mit einem gewaltigen finanziell­en Einsatz aus dem Stand he- raus den Einzug in den Nationalra­t. Stronachs Truppe flog diesmal wieder hinaus, was schon auf einen Nachteil solcher Konstrukte verweist: Sie sind oft Eintagsfli­egen, weil ihr Schicksal auf Gedeih und Verderb mit dem Partei-Patriarche­n verwoben ist. Martins EUTrip wiederum offenbarte ein anderes Problem: Der Parteichef mutierte zum Ego-Shooter, der nur mehr Glanz und Herrlichke­it der eigenen Person als

D seinen Auftrag sah. er Politologe Fritz Plasser ortet internatio­nal in den letzten 15 Jahren einen starken Trend zur Personalis­ierung und sieht darin eine Folge der deutlich schwächer gewordenen Bindungskr­aft von Parteien. Nach seinen Forschunge­n hat heute nur mehr jeder dritte Wahlberech­tigte eine „loyale gefühlsmäß­ige Bindung zu einer Partei“. Vor 20 Jahren sei dieser Wert doppelt so hoch gewesen.

Ganz allgemein sieht Plasser eine Erosion des traditione­llen Parteibegr­iffs. Früher habe die Partei für ihren Wähler anhand eines Wertekanon­s die Realität definiert. Das gelinge heute nicht mehr. Der Forscher weist darauf hin, dass Parteien immer weniger fähig sind, Kräfteverh­ältnisse zu strukturie­ren und Wähler zu motivieren.

Von Parteien, wie wir sie kennen, werde man in 30 Jahren nur mehr „in historisch­em Zusammenha­ng“reden, sagt Plasser. Eine Demokratie ganz ohne Parteien kann sich freilich niemand vorstellen. Sonst würde jede Nationalra­tssitzung so ablaufen wie die letzte: mit erratische­n Zufallsmeh­rheiten anstelle stabilen Regierens.

Was also kommt als Nächstes? Die Niki-Lauda-Liste mit

„Ich habe nichts zu verschenke­n“? Andreas Gabalier mit einer Große-Söhne-Fraktion? Plasser erwartet „völlig neue Optionen“für das gemeinscha­ftliche Handeln von Wählern, doch am Kern der repräsenta­tiven Demokratie werde sich nicht so bald etwas ändern.

Die neuen technische­n Möglichkei­ten, sich als Einzelner soziale Netzwerke und Internetpr­äsenz rasch eine hohe Bekannthei­t aufzubauen, bringen frischen Wind in die Demokratie. Doch die alten Parteiappa­rate verlieren dadurch ihr Organisati­onsmonopol. Ihnen droht eine Situation, wo sie mit ihren schwerfäll­igen Binnenstru­kturen ins Hintertref­fen geraten. „Wäre Sebastian Kurz mit einer eigenen Namenslist­e angetreten, dann hätte sich die ÖVP diesmal die Zehn-ProzentMar­ke von unten ansehen können“, sagt der Politologe Thomas Hofer.

Die daraus erwachsend­e Dominanz der Person stellt das gewachsene Selbstvers­tändnis der Parteien einigermaß­en auf den Kopf. Die ÖVP führt schon im Namen das Wort „Volksparte­i“. Sie versteht sich als große Sammelbewe­gung unterschie­dlicher Strömungen, die ihre Interessen über breite Beteiligun­gsprozesse im Parteiinne­ren ausgleiche­n und so zu einer berechenba­ren, von unten getragenen

D Programmat­ik finden. iese Selbstsich­t steht nun zur Dispositio­n. Das neue, von Kurz erzwungene ÖVP-Statut räumt dem Parteichef weitgehend­e Handlungsv­ollmacht bei der Auswahl des Regierungs­partners und der künftigen Minister ein. Politologe Hofer sieht darin noch keine „Führerpart­ei“, zumal dieser Begriff wegen der dunklen Assoziatio­nen sowieso unpassend sei. Sehr wohl aber hat sich das Kraftfeld an der Parteispit­ze deutlich verschoben.

Die Demokratie erfordert komplexe Willensbil­dungsproze­sse. Sie benötigen Zeit und die Bereitscha­ft zum Kompromiss. Dem steht die wachsende strukturel­le Ungeduld der Medien und der Öffentlich­keit geüber genüber. Erwartet wird rasches Handeln mit klarer Kontur, sonst gerät man unter Stillstand­sverdacht.

D ie breite Unzufriede­nheit mit der SPÖ-ÖVPKoaliti­on der letzten Jahre ist auch damit erklärbar, dass jedes Vorhaben in den Mühlen der Gremien und der vorgelager­ten Sozialpart­nerschaft so lange zermahlen wurde, bis der allerklein­ste gemeinsame Nenner als schwacher Kompromiss übrig blieb. Man denke an die Novelle der Gewerbeord­nung. Und auch das „Staatsvers­agen“angesichts der Flüchtling­swelle im Herbst 2015 kann man teils mit dem Kompetenz- und Entscheidu­ngsdickich­t erklären, das von einer sich rasch verändernd­en Lage einfach überrollt wurde.

„Alles ist komplizier­t“, hat der ehemalige Bundeskanz­ler Fred Sinowatz ahnungsvol­l postuliert. Die politische Lage ist voll mit gordischen Knoten, und deshalb erscheint es reizvoll, wenn einer nach dem Schwert verlangt, um diese Knoten zu durchschla­gen.

Wesentlich für die Fortentwic­klung der Demokratie wird sein, den forschen Elan der neuen Alleingest­alter an die oft unspektaku­lären Erforderni­sse der Wirklichke­it zu koppeln. Max Weber hatte recht: Politik ist das beharrlich­e Bohren dicker Bretter. Der Interessen­ausgleich mit Kontrolle, Kritik und Kooperatio­n bleibt ein langsames Geschäft, die Formel „speed kills“hingegen ist eine gefährlich­e Maxime. Denn auch tosender Applaus kann rasch verhallen.

Wäre Sebastian Kurz mit einer eigenen Liste angetreten, dann hätte sich die ÖVP diesmal die Zehn-Prozent-Marke

von unten ansehen können.

Politologe Thomas Hofer

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© BILDRECHT WIEN
ILLUSTRATI­ON: MARGIT KRAMMER © BILDRECHT WIEN

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