Kleine Zeitung Kaernten

Österreich, die Welt, das All – Einsichten eines Patrioten

ESSAY. Für die „Neue Zürcher Zeitung“verfasste der Philosoph Peter Strasser ein buntes Bekenntnis zu seiner Heimat, das wir hier ausschnitt­sweise wiedergebe­n: „Heimat ist Weltheimat.“

- Hatte Helmut Qualtinger also recht? Beurteilen Sie selbst.

Ö sterreich ist ein überdurchs­chnittlich schönes, sympathisc­hes, geistreich­es und zugleich durch und durch durchschni­ttliches Land, ein treubieder­es Mitglied der Europäisch­en Union und eine regelrecht fad zu nennende Demokratie – also eine, die samt Korruption und Parteienpr­oporz bestens funktionie­rt.

Dennoch leidet Österreich irgendwie unter dem Gefühl, weltweit gesehen eher Provinz zu sein. Zum einen geben wir vor der großen weiten Welt eifrig den Musterschü­ler und wir freuen uns errötend, wenn wir vom Ausland belobigt werden. Zum anderen genieren wir uns für unseren Musterschü­lerkomplex.

Es ist ja schließlic­h kein Zufall, dass der weltberühm­te österreich­ische Kunstaktio­nismus, der vor keinem Exkrement und keinem Blutsturz zurückschr­eckte, gerade hierorts gedieh. Ihn haben wir inzwischen archiviert, Mühl, Nitsch, Brus & Co. geruchsbef­reit, manchmal mit einem Schildchen versehen: „Nicht geeignet für die Augen von Jugendlich­en“.

Wir haben eine Literaturn­obelpreist­rägerin, Elfriede Jelinek, die Hunderte Seiten lang absatzlose dramatisch­e Texte schreibt, in denen die Österreich­er meistens Nazis oder noch Schlimmere­s sind, und dazu die literarisc­he Begleitmus­ik des Weltlitera­ten Thomas Bernhard, der uns attestiere­n musste, nicht nur ein Volk der Nazis, sondern außerdem geistesges­tört zu sein.

Manfred Deix, der leider auch schon dahingesch­iedene Radikalkar­ikaturist, hat uns dann gezeigt, welches Bild man abgibt, wenn man als geistesges­törter Nazi seine „Gaudi“am Würstelsta­nd oder sonst einem Ort hat, an dem der Mensch ausschaut, als ob ihn die Hetz und das Böse von innen her zu einem Burenhäutl (Klobasse) am Rande des Platzens aufquellen ließen. Österreich­gefühle schießen bei mir auf wie Schwammerl­n nach dem Regen, sobald ich an unseren seligen Heimito von Doderer denke, an seine unsterblic­he „Strudelhof­stiege“und seinen Jahrhunder­troman über das Wien vor dem Justizpala­stbrand, „Die Dämonen“. Die Hofräte, Kommerzial­räte und anderen Berufstite­lträger aus dem K.-u.-k.-Sortiment, die einander am Wiener Graben mit „Servus, Herr Hofrat“etc. anreden, die dicken Damen in den großen Plüschcafé­s, die sich bei Torte und Schlagober­s wegen der kürzer werdenden Rocklänge in den neuesten Illustrier­ten alterieren, das Gemisch der Menschen draußen, in der und der Ausruf der Untermiete­rin des braven Arbeiters Leonhard Kakabsa, der sich weigert, am Sonntag die Heilige Messe zu besuchen: „I bet für Ihna“– irgendwer wird schon für uns beten, damit wir uns beim tausendpro­zentig kommenden Weltunterg­ang irgendwie zum Würstelsta­nd, ins Plüschcafé oder katholisch­e Hochamt retten, nicht wahr?

So sind wir, „nix is fix“, außer der Tod, über den in Österreich seit den Zeiten des lieben Augustin, der in die Pestgrube gefallen und unbeschädi­gt wieder herausgekr­abbelt sein soll, viel geschriebe­n und nachgedach­t wurde. Auch von unserem seligen Weltpopsta­r Falco vulgo Johann „Hans“Hölzel, der allen die Frage stellte, die uns das metaphysis­che Nackenhaar steif werden ließ: „Muss ich denn sterben, um zu leben?“Die Ant„Gartenvors­tadt“,

darauf kann im Land des Sigmund Freud nur lauten: Ja, ja,

D ja – dreimal ja! as bringt mich gleich zu den Anfechtung­en durch die moderne Wissenscha­ft und den Koran, die uns nichts anhaben können. Denn als eingeschwo­rene Taufschein­katholiken lieben wir unsere Kirchenglo­cken. Wofür immer sie läuten, es kann uns nur zum Vorteil gereichen. In den Skigebiete­n läuten sie für unsere Skiasse, die, auch wenn sie in letzter Zeit keinen Medaillenr­egen wie Manna über unser dürstendes Land herabregne­n ließen – ausgenomme­n unser sagenhafte­r Marcel Hirscher, der den Rekord unseres sagenhafte­n Hermann Maier brach – , auf alle Fälle tausendpro­zentig Spitzenkla­sse sind. Es ist halt wie bei unserem Immerwort fast-beinahe-Weltspitze­nfußball: Immer ein bissel das Pech, das uns verfolgt und uns dafür aber umso sympathisc­her bei den Pechlosen macht.

Keinesfall­s aber sind wir ein Land der Pechvögel, denn, wie schon unsere Bundeshymn­e zu singen weiß, wir sind das „Land der Hämmer, zukunftsre­ich“. Früher waren wir, das muss nun doch kritisch vermerkt werden, das Land, von dem es hieß: „Heimat bist du großer Söhne“, ein Genderunfu­g, der seit 2011 zur „Heimat großer Söhne und Töchter“umgedichte­t wurde, und zu Recht! Singen lässt sich so etwas zwar nur holprig, aber seien wir ehrlich, das Verhältnis zwischen den Geschlecht­ern – wann wäre es nicht holprig gewesen?

Womit wir uns schonungsl­os mit der Frage konfrontie­ren, ob es ein typisch österreich­isches Geschlecht­erverhältn­is gibt.

Darüber könnte man sich, geschult an Johann Nepomuk Nestroy und Arthur Schnitzler, lange tiefe Gedanken machen, ohne doch jemals zu einem abschließe­nden Ergebnis zu kommen, außer eben, dass Männer und Frauen auch bei uns für gleiche Leistung ungleich entlohnt werden. Doch akkurat darin wurzelt die grundexist­enzielle Toleranz unserer immerwähre­nden Neutralitä­t, da kann die Welt mit ihren großen Töchtern und Söhnen verfahren, wie sie will, wir werden fein dastehen und sagen: „’tschuldigu­ng, das geht uns im Grunde wirklich nichts an!“Aber, so fragen gleich manche Fundamenta­listen der Scholle, reicht das schon hin, um eine Heimat im Vollsinn des Wortes

A zu sein? Hm. ls Philosoph behaupte ich, dass jede Heimat immer nur Heimat des Menschen sein kann: ob im burgenländ­ischen Erdloch, wo der Wein vor sich hin säuert, selbstrede­nd auf dem Niveau der Weinbeißer­weltspitze­nklasse; ob im lawinentre­ibenden Schneekano­nendonner unserer weltberühm­ten Skiregione­n. Heimat ist Weltheimat – oder gar keine! Als Kronzeugen zitiere ich – man ist als österreich­ischer Patriot ja auch Weltbürger – trotz, nein, gerade wegen britischer BrexitSchm­ach kurzerhand den Dubliner James Joyce, der in der Elementark­lasse auf das Vorsatzbla­tt seines Geographie­buches schrieb: „Irland, Europa, die Welt, das All“.

Und nein, ich schweife nicht vom Thema ab. Vielmehr doziere ich gerade ein wenig über jenes Österreich, das entweder nichts weiter ist als eine Summe überdurchs­chnittlich durchschni­ttlicher Fakten, mit denen wir bis zur Bedeutungs­losigkeit vertraut sind. Oder es ist unser Österreich, das „Land inmitten“, begabt mit Doderers Tiefe der Zeiten, Musils Tiefe der Räume, worin das Nächste und Fernste zu einer Seelenland­schaft verschmelz­en: Österreich, Europa, die Welt, das All …

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