Kleine Zeitung Kaernten

Du bist ein Himmelskin­d

- Von Arnold Mettnitzer

Der griechisch­e Philosoph Epikur (um 341–270/271 v. Chr.) rät seinen Schülern, sich um den Tod nicht zu kümmern, weil er sie schlicht nichts anginge. In seiner Schrift „Von der Überwindun­g der Angst“sagt er sinngemäß, dass der Tod uns nichts anginge. Da alles Gute und Schlechte auf der Wahrnehmun­g beruhe, der Tod aber den Verlust der Wahrnehmun­g bedeute, habe uns der Tod als Lebende nicht zu bekümmern. Im Leben, so Epikur, gebe es nichts Furchtbare­s für den, der in rechter Weise begriffen habe, dass es im Nichtleben nichts Furchtbare­s gebe. „Denn was uns, wenn es da ist, nicht belästigt, das kann, wenn es bloß erwartet wird, nur eingebilde­te Qualen bereiten. Das Schauerlic­hste aller Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht mehr da. Er geht also weder die Lebenden an noch die Verstorben­en: Denn die einen geht er nichts an, die anderen sind nicht mehr.“

M ich in diesem Sinne um den Tod nicht zu kümmern, kann mir nur dann gelingen, wenn ich den Tod vom Menschen abstrahier­e und dabei so tue, als wäre er nicht ein Teil von mir. Wenn ich aber, wie Rainer Maria Rilke in seinem Gedicht „O HERR, gibt jedem seinen eignen Tod“, den Tod als „Frucht, um die sich alles dreht“, sehe, dann kann mich Epikur nicht beruhigen oder ermutigen, geschweige denn trösten. Trost, Ermutigung, tiefe innere Berührung sind mir in vielen Erfahrunge­n meines Lebens ausgerechn­et an Sterbebett­en geschenkt worden.

E inmal, als Belinda, meine Ministrant­in, mich in Klein St. Paul nach der Abendmesse ins Haus ihres sterbenden Opas begleitet. Mit in sein Zimmer gehen wollte sie nicht. Schlussend­lich beten wir dann aber doch mit der ganzen Familie versammelt um den schon seit Tagen im Koma liegenden Großvater. Beim „Vaterunser“bewegt er plötzlich seine Lippen und betet mit. Und nach dem Beten haucht er für uns alle hörbar sein Leben aus. Die achtjährig­e Belinda schaut mich an und sagt dann: „Jetzt habe ich keine Angst mehr vor dem Sterben!“Ein anderes Mal stehe ich am Sterbebett von Gittli, die seit Tagen nur mehr schläft und auf den Tod wartet. Sanft rüttle ich sie wach, sie schlägt die Augen auf, erkennt mich, lächelt und sagt zu mir: „Arnold, mich holt gerade der Teufel!“– „Aber Gittli!“, antworte ich ihr, „das ist unmöglich! Du bist ein Himmelskin­d!“Sie lächelt mich an und schläft wieder ein. Ein paar Stunden später stirbt sie. Diese letzte Begegnung mit ihr bleibt in meinem Herzen als ein unendlich sanfter Augenblick, den ich seither als stilles Glück in mir trage. Seither weiß ich viel mehr vom Glück, zur rechten Zeit am richtigen Ort beim richtigen Menschen zu sein!

Arnold Mettnitzer ist Theologe und Psychother­apeut. Der Text ist seinem Buch „Mit dem Herzen atmen“entnommen. Styria-Verlag (www.styriabook­s.at), 22,90 Euro.

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