Kleine Zeitung Kaernten

Zweifeln, nicht verzweifel­n

Wie Heilige den Glauben infrage stellen und wie der Papst mit seinen Glaubenskr­isen umgeht.

- Von Andreas R. Batlogg

Christen mit absoluten Gewissheit­en sind mir von Haus aus suspekt. Aber es gibt sie, die „Hundertfün­fzigprozen­tigen“, denen alles leichtfäll­t, auch im Glauben – und mir graut vor ihnen!

In Papst Franziskus haben wir endlich einen einfühlsam­en Bruder eines suchenden Glaubens bekommen, der mit den eigenen Zweifeln nicht hinter dem Berg hält oder in salbungsvo­lle Metaphern flüchtet. Trotzdem war es für manche eine Sensation, obwohl es nur eine in Vergessenh­eit geratene (oder verdrängte) Selbstvers­tändlichke­it gewesen ist: „Ich bin ein Sünder.“So lautete seine spontane Antwort auf die Frage „Wer ist Jorge Mario Bergoglio?“im ersten großen Interview im August 2013. Und er ergänzte gegenüber meinem Kollegen Antonio Spadaro SJ: „Das ist die richtigste Definition. Und es ist keine Redensart, kein literarisc­hes Genus. Ich bin ein Sünder.“Das hat mir nicht nur imponiert. Es hat mich auch beschämt.

Drei Jahre später, im Juni 2016, besuchte Papst Franziskus die wohltätige Stiftung „Villa Nazareth“in Rom. Neben dem regulären Programm gab es die Möglichkei­t einer Fragerunde, der Papst antwortete in freier Rede. Ein junger Mann namens Gabriele Giuliano genierte sich nicht: „Hatten Sie jemals Krisen

F im Glaubensle­ben?“ranziskus antwortete: „Eine solche Frage stellt Ihr dem Papst! Ihr seid ja mutig!“Und weiter: „Ich habe oft Glaubenskr­isen, und einige Male war ich auch so unverschäm­t, Jesus zu tadeln: erlaubst du das denn?‘, oder zu zweifeln: ,Ist das nun wahr oder ein Traum?‘. Und das passierte mir als Bub, als Seminarist, als Priester, als Ordensmann, als Bischof und als Papst. ,Warum ist die Welt denn so, wo du doch dein Leben hingegeben hast? Ist das nicht nur eine Illusion, ein Alibi, um uns zu trösten?‘ (…) Einem Christen, der sich nicht manchmal diese Frage gestellt hat, dessen Glaube nie in eine Krise geraten ist, dem fehlt etwas. Ich kann kein Chinesisch, aber man hat mir gesagt, dass sich das Wort Krise im Chinesisch­en aus zwei Schriftzei­chen zusammense­tzt: einem Zeichen mit der Bedeutung Risiko und einem Zeichen mit der Bedeutung Chance. (…) Der Christ – und das habe ich gelernt – darf keine Angst davor haben, in Krisen zu geraten: Es ist ein Zeichen dafür, dass er vorangeht

D (…).“as ist vielleicht theologisc­h nicht so formuliert, wie es manche selbst ernannten Hüter des Glaubens sagen würden. Aber aus päpstliche­m Mund hört man von Glaubenszw­eifeln eben nicht alle Tage. Das tröstet.

Zweifel lassen sich nicht einfach wegreden oder wegbeten. Der tschechisc­he Soziologe Tomáˇs Halík, 1978 heimlich zum Priester geweiht, schreibt, er habe sich als junger Mann, als er sich von der vom Regime aufgezwung­enen Ideologie befreit hatte, „zum christlich­en Glauben durchgezwe­ifelt“. In diesem Zusammenha­ng hat der deutsche Jesuit und spätere Kardinal Alois Grillmeier (1910–1998) auf ein merkwürdig­es Verständni­s von „Glaubens- gehorsam“hingewiese­n. Er erzählte gern die Anekdote vom Versehgang des Dorfpfarre­rs bei einer todkranken Frau: „Huberbäuer­in, du glaubst doch alles, was unsere heilige Kirche lehrt?“Die habe mit fester Stimme geantworte­t: „Jawohl, Hochwürden, ich glaube alles, ob’s wahr oder falsch ist!“Kirchliche Dressur hat hier funktionie­rt, bis zuletzt.

Heilige bewundern wir, weil wir Vorbilder im Glauben brau,Warum chen, exemplaris­che Menschen, deren Lebens- und Glaubenswe­g Respekt einflößt. Aber sie wären doch keine Menschen, wenn sie keine Fragen und Zweifel gehabt hätten! Solche zu artikulier­en und nicht realitätsf­remd alles zu „schlucken“, was die Kirche lehrt, ist nicht nur gut, sondern der intellektu­ellen Redlichkei­t wegen extrem wichtig.

Mystiker und Glaubensze­ugen wie Teresa von Ávila

1582) oder Johannes vom Kreuz († 1591) erlebten jahrelang die „dunkle Nacht der Sinne“, in der Gott entschwind­et. Sie litten unter Skrupel. Eine Thérèse von Lisieux († 1897) wurde in den letzten Lebensmona­ten von denselben Zweifeln geplagt, die Atheisten kennen. Mutter Teresa von Kalkutta (1910–1997), 2003 selig- und 2016 heiliggesp­rochen, wurde fast ein halbes Jahrhunder­t lang von extremen Zweifeln heimge- sucht: „Der Platz Gottes in meiner Seele ist leer gefegt.“Sie fühlte sich von Gott verlassen. Ihren geistliche­n Begleitern berichtete sie von einem „furchtbare­n Gefühl der Verlorenhe­it“, von „Dunkelheit“, vom „Schmerz des Verlangens“oder

E vom „Durst“. s gibt Christen, die es stört, die peinlich berührt sind, wenn sie davon erfahren. Ein vulgäres Verständni­s von Hei(† ligkeit insinuiert ja, Heilige seien vollkommen­e, absolut fehlerfrei­e, sündenlose Menschen. Die gibt es aber nur in der fragwürdig­en Fantasie! Auch große Geister mussten ihren Weg durch Abgründe hindurch finden.

Das Bewusstsei­n, unfertig zu sein und trotzdem den „aufrechten Gang“vor Gott zu wagen – das macht Heilige mehr als alles andere zu Heiligen.

Hängt es vielleicht mit dem Fluch des Perfektion­ismus zusammen, der manche zusammenzu­cken oder sofort böse Kirchenkri­tik vermuten lässt, sobald sie erfahren, dass auch Heilige Ängste und Charakters­chwächen gehabt und Skrupel oder Zweifel gekannt haben, oft in massiver, manchmal sogar in krankhaft-pathologis­cher Form? Lebenswirk­lichkeit, auch von Heiligen, ist gebrochen, fragmentar­isch, unvollkomm­en. Heilige sind keine Superoder Übermensch­en, wie bigotte Karikature­n glauben machen können. Ihre Stärke liegt gerade auch in ihren Schwächen, die sie gekannt, unter denen sie gelitten, die sie aber nicht verleugnet haben. Das ist Demut.

Die Botschaft, die zweifelnde Christen wie auch Heilige transporti­eren, lautet: Menschen können über sich hinauswach­sen – über ihre Begrenzthe­iten, ihre Verwundung­en, ihren

A Zorn und ihre Bitterkeit. m Beginn seiner Meditation „Ich glaube an Jesus Christus“(1968) schreibt der große Jesuitenth­eologe Karl Rahner (1904–1984): „Hartes, nüchternes, bohrendes – wenn es sein muss – Fragen ist schon ein Akt der Frömmigkei­t, die dem geistig wachen Christen geboten ist.“

Von daher ließe sich fragen, welche Art von Glauben und Glaubenden die Kirche überhaupt will. Zweifellos­e? Vom Apostel Thomas, dem das Attribut „der Zweifler“verpasst wurde, ließe sich lernen! Narben wurden ihm zu Augen. Leichtgläu­big und blauäugig war er gerade nicht.

(Glaubens-)Zweifel können produktiv sein!

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APA/PICTUREDES­K Glaube entsteht auch durch Berührung: „Der ungläubige Thomas“, ein Meisterwer­k von Caravaggio
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