Der eine Mantel, der für alle reicht
Zu Martini wird mit zahlreichen Bräuchen und einer eingängigen Legende an den „großen Solidaritätsheiligen Europas“erinnert.
Die Erzählung wird jungen Menschen zwar nicht in die Wiege gelegt, spätestens im Kindergarten lernen aber die meisten die bis heute relevante Legende kennen: Mit Lichterlaternen in der Hand besingen Kinder rund um Martini den heiligen Martin, seine Barmherzigkeit und seine ausgeprägte Liebe zum Menschen, die dazu führt, dass man seiner in wohl gepflegter Tradition auch nach 1620 Jahren noch an seinem Todestag gedenkt.
Den „innersten Kern des Martinsfestes“verortet der Tübinger Religionspädagoge Albert Biesinger im Ritual der Mantelteilung: Martin, Sohn eines römischen Tribuns, soll der Legende nach als Soldat seinen Mantel geteilt haben, um ihn mit einem frierenden Bettler zu teilen. Das mache ihn bis heute „zum großen Solidaritätsheiligen Europas“, erklärt Biesinger, der gleichzeitig vor einer Banalisierung des Festes warnt. Nicht die Botschaft stehe zunehmend im Zentrum, sondern die Fülle an Bräuchen. An vorderster Front tummeln sich dabei die Martinigänse, die Jahr für Jahr um den Martinstag, meist in Zweisamkeit mit Rotkraut, auf den heimischen Tellern landen. Rund 250.000 Tiere sollen es je- des Jahr sein. Zu „verdanken“haben die Vögel diese kulinarische Tradition einem Verrat: Martin wollte sich bekanntlich im Gänsestall der Kür zum Bischof entziehen – ein Versuch, den das Geschnatter der Gänse verhinderte.
Martin ist der erste christliche Heilige, der nicht den Märtyrer-Tod starb. Seine Verehrung, die schon kurz nach seinem Ableben einsetzte, manifestiert sich in zahlreichen Patronanzen: Soldaten, Hirten, Gastwirte, Hufschmiede und Bettler stehen unter seiner Schutzherrschaft. Zudem sind ihm zahlreiche Kirchen geweiht – allein in Kärnten sind es 40. Auch ein Tier steht unter der Schutzherrschaft des Heiligen. Wenig überraschend sind es nicht die Gänse. Sondern die Pferde.