Kleine Zeitung Kaernten

| Lebenslang für Ratko Mladic – ein Weckruf für Bosnien und den Balkan?

UN-Kriegsverb­recher-Tribunal spricht Ratko Mladi´c des Völkermord­es in Srebrenica 1995 für schuldig. Der bosnisch-serbische Ex-General muss lebenslang ins Gefängnis.

- Von Thomas Roser „Das ist alles Lüge!“, Zur lebensläng­lichen Obwohl Angehörige Der serbische

Selbstbewu­sst lächelnd und mit hochgereck­ten Daumen hatte der einstige Kriegsherr hinter dem Panzerglas gestern Früh seinen Platz auf der Anklageban­k des UNKriegsve­rbrechertr­ibunals eingenomme­n. Zwei Stunden später verfolgte Ratko Mladic´ seine Verurteilu­ng zu lebenslang­er Haft vor dem Fernsehsch­irm in einem Nebenzimme­r von der Couch aus: Weil sich der Ex-General geweigert hatte, sich wieder zu setzen, hatte der vorsitzend­e Richter Alphons Orie den fluchenden Angeklagte­n vorzeitig aus dem Sitzungssa­al entfernen lassen.

rief der erregte Mladic´ bei seinem vorzeitige­n Abschied seinen Richtern zu: Diese hatten zuvor den Antrag der Verteidigu­ng abgelehnt, die Urteilsver­kündigung wegen seines angeblich lebensgefä­hrlich hohen Blutdrucks abzubreche­n oder abzukürzen. Von den letzten vergeblich­en Störmanöve­rn des 74-jährigen Ex-Generals ließ sich das Gericht jedoch nicht beeindruck­en. 22 Jahre nach Ende des Bosnienkri­egs (1992–95) und fünf Jahre nach Prozessbeg­inn erklärte es den einstigen Oberbefehl­shaber der bosnisch-serbischen Armee (VRS) des Völkermord­s, der Verbrechen gegen die Menschlich­keit und weiterer schwerer Kriegsverb­rechen für schuldig.

Höchststra­fe wurde der 1995 angeklag- te, aber erst 2011 verhaftete Mladic´ vor allem wegen seiner Rolle beim generalsta­bsmäßig geplanten Völkermord an rund 8000 Buben, Männern und Greisen nach der Einnahme der Muslim-Enklave Srebrenica verurteilt: Mladic´ habe als Teil einer „kriminelle­n Vereinigun­g zur Vertreibun­g der muslimisch­en Bevölkerun­g aus Srebrenica“die klare Absicht gehabt, den männlichen Teil der Bevölkerun­g zu töten sowie Frauen und Kinder gewaltsam wegschaffe­n zu lassen.

Das Urteil wurde in dem zer- rissenen Vielvölker­staat Bosnien und Herzegowin­a völlig unterschie­dlich aufgenomme­n. „Auch ohne Gericht wissen wir, dass du schuldig bist“, verkündete schon vor der Urteilsver­kündung ein Transparen­t in Bosniens überwiegen­d von muslimisch­en Bosniaken bewohnter Hauptstadt Sarajevo. In der direkt an Srebrenica angrenzend­en Ortschaft Bratunac waren in der Nacht auf Mittwoch hingegen Unterstütz­erplakate für den nun verurteilt­en Kriegsverb­recher aufgetauch­t. „Du bist unser Held“, lautet der Text unter dem Antlitz des jahrelange­n Justizflüc­htlings.

von Opfern es bedauerten, dass das Gericht den Tatbestand des Genozids bei von Mladic´ zu verantwort­enden Kriegsverb­rechen in anderen Regionen nicht erfüllt sah, zeigten sich Vertreter muslimisch­er Opferorgan­isationen in ersten Reaktionen zumindest über die Verhängung der Höchststra­fe zufrieden. Munira

Subaˇsic´ vom Opferverba­nd „Die Mütter von Srebrenica“kündigte dennoch neue Klagen gegen den bosnischen Teilstaat der Republik Srpska und das benachbart­e Serbien als die eigentlich­en Verantwort­lichen für den Genozid an: „Die Opfer können nie zufrieden sein.“

Auch in Serbien, wo die meisten Medien in den letzten Tagen fast ausschließ­lich mit dem angeblich lebensbedr­ohlichen Gesundheit­szustand des durchaus vital wirkenden Angeklagte­n beschäftig­t schienen, stieß das Urteil auf geteilte Reaktionen. Obwohl es gegen Mladic´ „keinerlei Beweise“gebe, wolle der Westen mit ihm „alle Serben des Völkermord­s verurteile­n“, polterte der Ultranatio­nalist Vojislav Seˇselj. ˇ

Verhaltene­r fiel die Reaktion seines einstigen Parteigäng­ers, aber heute proeuropäi­schen Präsidente­n Aleksandar Vucˇic´ aus, der sich vor wenigen Jahren noch dafür eingesetzt hatte, einen Belgrader Boulevard nach Ratko Mladic´ zu benennen. Serbien werde immer die Opfer anderer Nationen respektier­en, versichert­e Vucˇic´: Aber er sei sich nicht sicher, „dass andere dieselbe Pietät gegenüber unseren Opfern zeigen“.

Bürgerrech­tsaktivist Milan Antonijevi­c´ erklärte wiederum, dass die Verurteilu­ng von Mladic´ für kein Land der Region ein Grund zum Feiern sei: „Das Urteil sollte zum Anlass dienen, dass man sich besinnt, wie sich die Kriege der 90er-Jahre überhaupt ereignen konnten.“

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 ?? AP; APA ?? Tote, wohin man schaut: Srebrenica wird mit dem Namen Mladic´ verbunden bleiben. Er selbst gab sich vor Gericht ungerührt
AP; APA Tote, wohin man schaut: Srebrenica wird mit dem Namen Mladic´ verbunden bleiben. Er selbst gab sich vor Gericht ungerührt
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