| Lebenslang für Ratko Mladic – ein Weckruf für Bosnien und den Balkan?
UN-Kriegsverbrecher-Tribunal spricht Ratko Mladi´c des Völkermordes in Srebrenica 1995 für schuldig. Der bosnisch-serbische Ex-General muss lebenslang ins Gefängnis.
Selbstbewusst lächelnd und mit hochgereckten Daumen hatte der einstige Kriegsherr hinter dem Panzerglas gestern Früh seinen Platz auf der Anklagebank des UNKriegsverbrechertribunals eingenommen. Zwei Stunden später verfolgte Ratko Mladic´ seine Verurteilung zu lebenslanger Haft vor dem Fernsehschirm in einem Nebenzimmer von der Couch aus: Weil sich der Ex-General geweigert hatte, sich wieder zu setzen, hatte der vorsitzende Richter Alphons Orie den fluchenden Angeklagten vorzeitig aus dem Sitzungssaal entfernen lassen.
rief der erregte Mladic´ bei seinem vorzeitigen Abschied seinen Richtern zu: Diese hatten zuvor den Antrag der Verteidigung abgelehnt, die Urteilsverkündigung wegen seines angeblich lebensgefährlich hohen Blutdrucks abzubrechen oder abzukürzen. Von den letzten vergeblichen Störmanövern des 74-jährigen Ex-Generals ließ sich das Gericht jedoch nicht beeindrucken. 22 Jahre nach Ende des Bosnienkriegs (1992–95) und fünf Jahre nach Prozessbeginn erklärte es den einstigen Oberbefehlshaber der bosnisch-serbischen Armee (VRS) des Völkermords, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und weiterer schwerer Kriegsverbrechen für schuldig.
Höchststrafe wurde der 1995 angeklag- te, aber erst 2011 verhaftete Mladic´ vor allem wegen seiner Rolle beim generalstabsmäßig geplanten Völkermord an rund 8000 Buben, Männern und Greisen nach der Einnahme der Muslim-Enklave Srebrenica verurteilt: Mladic´ habe als Teil einer „kriminellen Vereinigung zur Vertreibung der muslimischen Bevölkerung aus Srebrenica“die klare Absicht gehabt, den männlichen Teil der Bevölkerung zu töten sowie Frauen und Kinder gewaltsam wegschaffen zu lassen.
Das Urteil wurde in dem zer- rissenen Vielvölkerstaat Bosnien und Herzegowina völlig unterschiedlich aufgenommen. „Auch ohne Gericht wissen wir, dass du schuldig bist“, verkündete schon vor der Urteilsverkündung ein Transparent in Bosniens überwiegend von muslimischen Bosniaken bewohnter Hauptstadt Sarajevo. In der direkt an Srebrenica angrenzenden Ortschaft Bratunac waren in der Nacht auf Mittwoch hingegen Unterstützerplakate für den nun verurteilten Kriegsverbrecher aufgetaucht. „Du bist unser Held“, lautet der Text unter dem Antlitz des jahrelangen Justizflüchtlings.
von Opfern es bedauerten, dass das Gericht den Tatbestand des Genozids bei von Mladic´ zu verantwortenden Kriegsverbrechen in anderen Regionen nicht erfüllt sah, zeigten sich Vertreter muslimischer Opferorganisationen in ersten Reaktionen zumindest über die Verhängung der Höchststrafe zufrieden. Munira
Subaˇsic´ vom Opferverband „Die Mütter von Srebrenica“kündigte dennoch neue Klagen gegen den bosnischen Teilstaat der Republik Srpska und das benachbarte Serbien als die eigentlichen Verantwortlichen für den Genozid an: „Die Opfer können nie zufrieden sein.“
Auch in Serbien, wo die meisten Medien in den letzten Tagen fast ausschließlich mit dem angeblich lebensbedrohlichen Gesundheitszustand des durchaus vital wirkenden Angeklagten beschäftigt schienen, stieß das Urteil auf geteilte Reaktionen. Obwohl es gegen Mladic´ „keinerlei Beweise“gebe, wolle der Westen mit ihm „alle Serben des Völkermords verurteilen“, polterte der Ultranationalist Vojislav Seˇselj. ˇ
Verhaltener fiel die Reaktion seines einstigen Parteigängers, aber heute proeuropäischen Präsidenten Aleksandar Vucˇic´ aus, der sich vor wenigen Jahren noch dafür eingesetzt hatte, einen Belgrader Boulevard nach Ratko Mladic´ zu benennen. Serbien werde immer die Opfer anderer Nationen respektieren, versicherte Vucˇic´: Aber er sei sich nicht sicher, „dass andere dieselbe Pietät gegenüber unseren Opfern zeigen“.
Bürgerrechtsaktivist Milan Antonijevic´ erklärte wiederum, dass die Verurteilung von Mladic´ für kein Land der Region ein Grund zum Feiern sei: „Das Urteil sollte zum Anlass dienen, dass man sich besinnt, wie sich die Kriege der 90er-Jahre überhaupt ereignen konnten.“