Kleine Zeitung Kaernten

Die künftige Koalition muss in den ersten Wochen und Monaten bis zu 100 personelle Nach- und Umbesetzun­gen vornehmen.

Seit einem Monat verhandeln ÖVP und FPÖ. Ob ein spektakulä­rer Entwurf, ein „Neustart der Republik“gelingt, wie im Wahlkampf suggeriert wurde, ist offen. Um die heißen Eisen hat man bisher einen großen Bogen gemacht.

- Von Michael Jungwirth

Vor knapp einem Monat erfolgte der Start zu den Koalitions­verhandlun­gen, langsam münden die Gespräche in ihre heiße Phase. Im Laufe des heutigen Tages sollen alle 25 Fachgruppe­n ihre Zwischener­gebnisse in Papierform gießen, morgen nimmt die von ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache geleitete Steuerungs­gruppe eine erste Sichtung des bisher Geleistete­n vor. Um die heißen Eisen hat man vorerst einen großen Bogen gemacht.

Kurz und Strache sind angetreten, um Österreich radikal zu erneuern. Was im Detail darunter zu verstehen ist, bleibt nach wie vor offen. Bisher hat man sich mit Überschrif­ten begnügt – dass die sogenannte­n Leistungst­räger steuerlich entlastet, die Verwaltung bürgernähe­r gestaltet, der Zugang zum Sozialsyst­em für Migranten erschwert, die Sozialvers­icherungen gebündelt werden sollen. Ab dem 1. Dezember soll es, so der Plan, ans Eingemacht­e gehen, der Durchbruch könnte am verlängert­en Wochenende (8. bis 10. Dezember) und in den Tagen danach gelingen. Beim EU-Gipfel am 14. Dezember in Brüssel könnte Kurz seinen ersten großen internatio­nalen Auftritt als neuer Kanzler feiern. Bundespräs­ident Alexander

der Bellen hat gestern seine für den 6. bis 9. Dezember geplante Reise in den Libanon abgeblasen.

Wo sich ein gewisser Konsens abzeichnet:

Steuerentl­astung. Als erste Maßnahmen wollen ÖVP und FPÖ die kleineren und mittleren Einkommen entlasten. In FPÖ-Kreisen wird allerdings davor gewarnt, dass man auf den „kleinen Mann“nicht vergessen dürfe. Die Abgabenquo­te soll in jedem Fall bis 2022 auf 40 Prozent reduziert werden – inklusive Nulldefizt­it.

Mindestpen­sion. Die FPÖ spricht sich für eine Mindestpen­sion von 1200 Euro aus. Konkret soll der Staat die Lücke zwischen einer geringeren Pension und den 1200 Euro schließen. Ob diese Maßnahme finanzierb­ar ist, hängt davon ab, wer in den Genuss einer solchen Regelung kommen soll, wie viele Jahre man zuvor gearbeitet haben muss (30 oder 40 Jahre).

Migrations­politik. Geeinigt haben sich ÖVP und FPÖ darauf, dass anerkannte Asylwerber nur noch Anspruch auf eine Mindestsic­herung light (nach oberösterr­eichischem Modell, also mehr Sachleistu­ngen mit geringerer Geldleistu­ng) haben sollen – bundesweit. Sperren sich einzelne Länder dagegen, will der Bund eine solche Regelung von oben verordnen.

Bildung. Hier schwebt der Regierung eine Bildungs- statt einer Ausbildung­spflicht vor. Auch sollen Kinder erst dann den Regelunter­richt besuchen, wenn sie der deutschen Sprache mächtig sind. Am Gymnasium wird nicht gerüttelt. Kurz und Strache schließen nicht aus, dass die Regierung mehr Geld als bisher für das Unterricht­swesen in die Hand nimmt.

Entbürokra­tisierung. Aus mehreren Fachgruppe­n ist zu vernehmen, dass der neuen RegieVan rung die Frage der Entbürokra­tisierung und der Verfahrens­vereinfach­ung ein Anliegen ist. Das betrifft nicht nur Großprojek­te, die durch x-fache Beeinspruc­hungen auf Eis liegen, sondern auch Kleinunter­nehmer, Gastwirte, Start-ups.

Digitalisi­erung. Kurz und Strache wollen heute ein Digitalpak­et vorlegen, das neben dem Dauerbrenn­er Breitbanda­usbau auch den digitalen Zugang des Bürgers zum Staat erleichter­n soll.

Pensionen. Vom Tisch ist die Idee, das Frauenpens­ionsalter früher als geplant auf 65 anzuheben. Im Vordergrun­d steht die Anhebung des faktischen Pensionsal­ters.

Anti-Facebook-Steuer. Im Krone-TV enthüllte Kurz, dass die Regierung an die Schaffung einer digitalen Betriebsst­ätte bastle, um Großkonzer­ne wie Google und Facebook, die in Österreich keine Steuern zahlen, zur Kasse zu bitten. Zunächst wird versucht, die Maßnahme auf EU-Ebene einzuführe­n. Wenn es scheitert, ist ein nationaler Alleingang möglich.

Sozialvers­icherungen. Geplant ist die schrittwei­se Fusion der heute 21 Sozialvers­icherungen zu sechs Kassen. ÖVP-Chefverhan­dler Drexler versuchte gestern, die Befürchtun­gen der Länder zu zerstreuen, dass dies zu einer Zerschlagu­ng der neun Gebietskra­nkenkassen führt, teilautono­me Kassen könnten weiter bestehen.

Eurofighte­r. Die Entscheidu­ng über einen allfällige­n Ausstieg aus dem Eurofighte­r wurde auf das Frühjahr vertagt.

Direkte Demokratie. Die FPÖ will die Schwelle für verpflicht­ende Volksabsti­mmungen absenken, die ÖVP ist skeptisch.

Kammerzwan­g. Auch hier ist das letzte Wort nicht gesprochen. Als Kompromiss denkbar wäre, dass der Beitragszw­ang bleibt, die Sätze aber gesenkt werden.

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EXPA/GRUBER Kurz und Strache wollen heute wieder vor die Öffentlich­keit treten.

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