Die künftige Koalition muss in den ersten Wochen und Monaten bis zu 100 personelle Nach- und Umbesetzungen vornehmen.
Seit einem Monat verhandeln ÖVP und FPÖ. Ob ein spektakulärer Entwurf, ein „Neustart der Republik“gelingt, wie im Wahlkampf suggeriert wurde, ist offen. Um die heißen Eisen hat man bisher einen großen Bogen gemacht.
Vor knapp einem Monat erfolgte der Start zu den Koalitionsverhandlungen, langsam münden die Gespräche in ihre heiße Phase. Im Laufe des heutigen Tages sollen alle 25 Fachgruppen ihre Zwischenergebnisse in Papierform gießen, morgen nimmt die von ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache geleitete Steuerungsgruppe eine erste Sichtung des bisher Geleisteten vor. Um die heißen Eisen hat man vorerst einen großen Bogen gemacht.
Kurz und Strache sind angetreten, um Österreich radikal zu erneuern. Was im Detail darunter zu verstehen ist, bleibt nach wie vor offen. Bisher hat man sich mit Überschriften begnügt – dass die sogenannten Leistungsträger steuerlich entlastet, die Verwaltung bürgernäher gestaltet, der Zugang zum Sozialsystem für Migranten erschwert, die Sozialversicherungen gebündelt werden sollen. Ab dem 1. Dezember soll es, so der Plan, ans Eingemachte gehen, der Durchbruch könnte am verlängerten Wochenende (8. bis 10. Dezember) und in den Tagen danach gelingen. Beim EU-Gipfel am 14. Dezember in Brüssel könnte Kurz seinen ersten großen internationalen Auftritt als neuer Kanzler feiern. Bundespräsident Alexander
der Bellen hat gestern seine für den 6. bis 9. Dezember geplante Reise in den Libanon abgeblasen.
Wo sich ein gewisser Konsens abzeichnet:
Steuerentlastung. Als erste Maßnahmen wollen ÖVP und FPÖ die kleineren und mittleren Einkommen entlasten. In FPÖ-Kreisen wird allerdings davor gewarnt, dass man auf den „kleinen Mann“nicht vergessen dürfe. Die Abgabenquote soll in jedem Fall bis 2022 auf 40 Prozent reduziert werden – inklusive Nulldefiztit.
Mindestpension. Die FPÖ spricht sich für eine Mindestpension von 1200 Euro aus. Konkret soll der Staat die Lücke zwischen einer geringeren Pension und den 1200 Euro schließen. Ob diese Maßnahme finanzierbar ist, hängt davon ab, wer in den Genuss einer solchen Regelung kommen soll, wie viele Jahre man zuvor gearbeitet haben muss (30 oder 40 Jahre).
Migrationspolitik. Geeinigt haben sich ÖVP und FPÖ darauf, dass anerkannte Asylwerber nur noch Anspruch auf eine Mindestsicherung light (nach oberösterreichischem Modell, also mehr Sachleistungen mit geringerer Geldleistung) haben sollen – bundesweit. Sperren sich einzelne Länder dagegen, will der Bund eine solche Regelung von oben verordnen.
Bildung. Hier schwebt der Regierung eine Bildungs- statt einer Ausbildungspflicht vor. Auch sollen Kinder erst dann den Regelunterricht besuchen, wenn sie der deutschen Sprache mächtig sind. Am Gymnasium wird nicht gerüttelt. Kurz und Strache schließen nicht aus, dass die Regierung mehr Geld als bisher für das Unterrichtswesen in die Hand nimmt.
Entbürokratisierung. Aus mehreren Fachgruppen ist zu vernehmen, dass der neuen RegieVan rung die Frage der Entbürokratisierung und der Verfahrensvereinfachung ein Anliegen ist. Das betrifft nicht nur Großprojekte, die durch x-fache Beeinspruchungen auf Eis liegen, sondern auch Kleinunternehmer, Gastwirte, Start-ups.
Digitalisierung. Kurz und Strache wollen heute ein Digitalpaket vorlegen, das neben dem Dauerbrenner Breitbandausbau auch den digitalen Zugang des Bürgers zum Staat erleichtern soll.
Pensionen. Vom Tisch ist die Idee, das Frauenpensionsalter früher als geplant auf 65 anzuheben. Im Vordergrund steht die Anhebung des faktischen Pensionsalters.
Anti-Facebook-Steuer. Im Krone-TV enthüllte Kurz, dass die Regierung an die Schaffung einer digitalen Betriebsstätte bastle, um Großkonzerne wie Google und Facebook, die in Österreich keine Steuern zahlen, zur Kasse zu bitten. Zunächst wird versucht, die Maßnahme auf EU-Ebene einzuführen. Wenn es scheitert, ist ein nationaler Alleingang möglich.
Sozialversicherungen. Geplant ist die schrittweise Fusion der heute 21 Sozialversicherungen zu sechs Kassen. ÖVP-Chefverhandler Drexler versuchte gestern, die Befürchtungen der Länder zu zerstreuen, dass dies zu einer Zerschlagung der neun Gebietskrankenkassen führt, teilautonome Kassen könnten weiter bestehen.
Eurofighter. Die Entscheidung über einen allfälligen Ausstieg aus dem Eurofighter wurde auf das Frühjahr vertagt.
Direkte Demokratie. Die FPÖ will die Schwelle für verpflichtende Volksabstimmungen absenken, die ÖVP ist skeptisch.
Kammerzwang. Auch hier ist das letzte Wort nicht gesprochen. Als Kompromiss denkbar wäre, dass der Beitragszwang bleibt, die Sätze aber gesenkt werden.