Umfehdetes Jerusalem
Donald Trump hat mit einem Donnerschlag das Augenmerk der Welt auf jene Stadt gelenkt, in der die Gegensätze der drei großen Weltreligionen aufeinanderprallen wie an keinem anderen Ort.
Noch vor zwei Wochen schien die arabische Welt tief gespalten: In Syrien, Irak, Jemen und Libyen tragen verschiedene schiitische und sunnitische Gruppierungen seit Jahren blutige Bruderkriege aus. Und nachdem Saudi-Arabien versuchte, Libanons Premier abzusetzen, stand auch das Land der Zedern scheinbar kurz vor einem neuen Bürgerkrieg. Mit einer nur 20 Minuten langen Rede hat USPräsident Donald Trump nun etwas geschafft, was arabischen Politikern seit Jahrzehnten nicht gelingen will: Endlich ist die arabische, ja die ganze islamische Welt geeint – zumindest in einer Frage. Muslimische Politiker von Rabat bis Kabul, von Ankara bis Khartoum reagierten mit einhelliger Empörung darauf, dass die USA ihre Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen und die Stadt als Israels Hauptstadt anerkannten. Im Einklang warnen sie vor Gewalt, die Trumps historischer Schritt auslösen werde, gelobten, Jerusalem zu „befreien“. Doch wenn man aus der Geschichte lernen darf, dürfte die neue Eintracht nicht lang andauern. Wahrscheinlicher ist, dass aus ihr eine Dynamik der Radikalisierung erwächst – wie so oft in Jerusalems blutiger Vergangenheit. Wie einst geht es den Führern der islamischen Welt weniger darum, Jerusalem Gutes zu tun, als darum, ihre symbolschwangere, gefühlsgeladene Bedeutung für die Massen für eigene politische Interessen zu instrumentalisieren.
Wie 1948, als die Zerstrittenheit unter Muslimen und Arabern zur großen Niederlage im Kampf gegen den neu gegründeten Staat Israel führte.
Ähnliche Dynamiken treten auch heute zutage. Muslimische Führer wetteifern darin, wer als größerer Patriot gelten kann, indem er noch radikalere Positionen bezieht. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdog˘an legte die Latte bereits hoch, als er vor zwei Tagen mit dem diplomatischer Beziehungen zu Israel drohte. Außer seiner Sorge um Jerusalem könnte dahinter ein weiteres Motiv stehen: Erdog˘ans Versuch, die Region zu dominieren, ist nach der Niederlage verbündeter Rebellen in Syrien und dem Putsch gegen die Muslimbrüder in Ägypten gescheitert. Die Heilige Stadt ist für ihn eine Chance, sich als Führer der islamischen Welt zu profilieren.
Nach seinen Aussagen kommt aus anderen sunnitischen Staaten wie Jordanien und Ägypten die Forderung, Erdog˘ans Beispiel zu folgen. Dabei sind deren Regime auf eine Kooperation mit Israel angeund wiesen. Längst ist Haifa Jordaniens wichtigster Hafen, würde die haschemitische Monarchie ohne Wasserlieferungen aus Israel verdursten. Und dennoch singt der König im Chor der Hetze gegen Trump und Israel mit, um sein eigenes Volk nicht zu sehr zu erzürnen. Dabei schürt er selber die Flammen, die ihn gefährden. Ähnlich verhält es sich mit Saudi-Arabien. Riad braucht das informelle Bündnis mit Israel und die Allianz mit den USA, um Erzfeind Iran die Stirn zu bieten.
Der schlachtet das Debakel in Jerusalem freilich aus, um die sunnitischen Staaten für ihre diplomatische Niederlage zu geiAbbruch
und sich selbst als alternative Führungsmacht zu präsentieren. Der Hass auf den Judenstaat dient den Ayatollahs dazu, bei sunnitischen Arabern den Hass auf persische Schiiten vergessen zu machen. Revolutionsführer Chamenei reizte den USVerbündeten Saudi-Arabien diese Woche in einer Ansprache in Teheran, indem er sein „tiefes Bedauern“darüber äußerte, dass „manche Herrscher in der Region Forderungen der USA nachkommen“. Wer Unterdrückern diene, würde daraus Nachteile ziehen. Außenminister Javad Sarif twitterte: „Würde nur die Hälfte der Gelder, die manche Herrscher in der Region ausgeben, um Terrorismus, Extremismus, Sektierertum und Aufwieglung zu unterstützen, für die Befreiung Palästinas ausgegeben, wären wir nicht mit diesem amerikanischen Egoismus konfrontiert.“
Doch nirgends sind die Konsequenzen gegenseitiger Aufwiegelung schwerwiegender als in Palästina selbst. Hier ringen Präsident Mahmud Abbas und die radikalislamische Hamas mit patriotischen Parolen um die Gunst ihres entrüsteten Volkes. Der sonst so pragmatische Abbas wiegelte in einer ersten Ansprache zu Widerstand auf, seine Fatah-Partei veröffentßeln licht Poster, die zu bewaffnetem Widerstand aufrufen. Dabei kann er gar nicht an ausufernder Gewalt interessiert sein, weil die Kooperation mit Israel das Fundament seiner Macht ist. Das weiß auch die Hamas, weshalb sie zu einer neuen Intifada aufrief. Die soll aber nur vom Westjordanland ausgehen. Zwar könnten die Islamisten, die den Gazastreifen beherrschen, jederzeit von hier aus einen Krieg gegen Israel starten. Doch sie wollen die eigene Herrschaft nicht gefährden. Ein Aufstand im Westjordanland würde indes den Rivalen Abbas weiter schwächen. Die israelische Armee hat jedenfalls begonnen, ihre Präsenz im Westjordanland zu verstärken. Einheiten wurden in Alarmbereitschaft versetzt. Die Palästinenser traten in einen Generalstreik. Es kam zu ersten Krawallen.
Wie einst steht auch heute zu befürchten, dass die neue Solidarität rund um Jerusalem den Palästinensern nicht helfen wird, ihrem Traum von Freiheit und einem unabhängigen Staat näher zu kommen. Im Gegenteil: Sollte die Lage bedeutend eskalieren, wären sie wohl die größten Leidtragenden, während Staatsführer im Ausland von ihrem Leid profitieren. Wie schon immer.