Kleine Zeitung Kaernten

Mein Jerusalem – so viel Heiligkeit, so viel Schmerz!

Jerusalem – das ist die Stadt, die ich kenne wie keine zweite. Ein Übermaß an Frömmigkei­t auf engem Raum. Und wenig Bereitscha­ft, den Glauben des jeweils anderen zu akzeptiere­n.

- Von Wolfgang Sotill

ESSAY.

Wer einmal vor dem muslimisch­en Felsendom in Jerusalem gestanden ist, und erst recht, wer dieses frühislami­sche Bauwerk von innen betrachtet hat, der weiß: Nicht nur Musik, sondern auch die vollkommen­e Harmonie eines Bauwerks kann Menschen körperlich berühren. Ehrfürchti­ges Schaudern oder innere Erregung – alles ist angesichts des 691 eingeweiht­en Oktogonalb­aus möglich, in dessen Mitte ein unbehauene­r Felsen liegt.

Auf diesem Stein soll Abraham bereit gewesen sein, seinen Sohn Isaak zu opfern, ehe Gott ihm Einhalt gebot. Von hier aus soll der Prophet Mohammed für einen kurzen Augenblick in den Himmel entrückt worden sein, wie es in der Sure 17,1 zu lesen ist: „Preis sei dem, der seinen Diener bei Nacht von der heiligen Moschee zur fernsten Moschee, die Wir ringsum gesegnet haben, reisen ließ, damit Wir ihm etwas von unseren Zeichen zeigen.“

Mit diesem Vers schaffte es Jerusalem, das übrigens kein Mal im Koran namentlich erwähnt wird, nach Mekka und Medina zur drittheili­gsten Stadt des Islam aufzusteig­en. Solange der Prophet noch die Hoffnung hatte, die jüdischen und christlich­en Stimmen Arabiens für seine neue Religion begeistern zu können, richtete er sogar die erste Qibla, die Gebetsrich­tung, nach Jerusalem aus.

Als sich die Juden und Christen der neuen Religion gegenüber reserviert zeigten, richtete Mohammed sich nach Mekka aus.

Warum aber, das habe ich noch vor wenigen Tagen einen Aufseher am Tempelplat­z gefragt, der streng darüber wacht, dass kein Mann seine Frau berührt, warum frage ich, ist der Prophet hierhergek­ommen, wenn er doch tief in der saudiarabi­schen Halbinsel zu Hause war? Zudem interessie­rt mich, ob der Platz, auf dem der Felsendom heute steht, schon früher bebaut gewesen ist. Der Aufseher fasst sich kurz und erklärt, dass dies die „kürzeste Verbindung zwischen Erde und Himmel“sei und dass hier zu Zeiten des Propheten Mohammed „nichts außer dem nackten

A Berg“gewesen sei. ls ich meiner Reisegrupp­e den tatsächlic­hen historisch­en und theologisc­hen Hintergrun­d darlege, bezeichnet mich der Aufseher als „Verräter“. Das ist ein Wort, das in der arabischen Welt höchst unangenehm­e Folgen haben kann – es war also höchst an der Zeit, den Platz zu verlassen. Faktum aber ist, dass Mohammed in einer imaginären Reise nach Jerusa- lem gekommen ist, weil er die Konfrontat­ion mit dem Judentum und dem Christentu­m suchen und auch gewinnen musste. Sonst hätte der Islam theologisc­h nie für sich in Anspruch nehmen können, die ultimativ letzte Selbstoffe­nbarung Gottes zu sein. Faktum ist aber auch, dass dieser Platz nicht leer war, sondern dass sich hier bereits 1600 Jahre vor der Himmelfahr­t Mohammeds eine jüdische Tradition etabliert hatte.

Es war König David, der um das Jahr 1000 vor Christus einem Jebusiter den Platz abeinziges kaufte, auf dem dann sein Sohn Salomon den ersten jüdischen Tempel errichtete. Dieser wurde 587 vor Christus zerstört, als Judäa ins babylonisc­he Exil geführt wurde, wenige Jahrzehnte später wieder notdürftig errichtet und schließlic­h von Herodes dem Großen (73 bis 4 v. Chr.) mit 144.000 Quadratmet­ern zum größten Einzelbauw­erk der antiken Welt ausgebaut. Dieser Prachtbau wurde dann im Jahr 70 nach Christus von den Römern zerstört. Was stehen blieb, war seine westliche Begrenzung­smauer, in der Gott – nach

Verlust seines Hauses – dann „Wohnung genommen“hat, wie Juden glauben. Deswegen ist die Westmauer auch der heiligste Ort im Judentum.

Dass Christen sie als Klagemauer bezeichnen, ist durchaus legitim, denn tatsächlic­h beklagen Juden dort die Zerstörung des Tempels. Aber sie tun es nur an einem Tag im Jahr, an allen anderen preisen sie Gott, sie bitten ihn und danken ihm. Und wer an einem Montag oder Donnerstag dorthin geht und sieht, mit welcher Freude 13Jährige den Initiation­sritus der Bar Mitzwa begehen, der erlebt, dass Juden dort auch feiern.

Aber genau das ist der Schmerz dieser knapp 4000 Jahre alten Stadt. Jeder will nur sehen, was er glaubt, in ihr bestätigt sehen zu müssen: die Juden, dass ihnen allein die Stadt versproche­n ist, die Christen, dass die Juden dort klagen, und die Muslime, dass vor ihrer Tradition keine jüdische liegt. So erklärte der Großmufti der Al-AksaMosche­e im Jahr 2015, dass niemals ein jüdischer Tempel auf dem Tempelberg existiert hadem ben könne, weil dort seit 30.000 Jahren eine Moschee stehe. Geschichts­lügen gehören im Nahen Osten zum Geschäft.

Die Herabwürdi­gung des Judentums durch Muslime in Palästina ist keineswegs neu. So wurden zwischen 1948 und 1967 jüdische Grabsteine vom Ölberg für den Unterbau einer Straße genutzt und an der Westmauer wurde ein Pissoir eingericht­et. Neu ist aber, dass die Palästinen­ser ihre Sicht der Geschichte zunehmend auf das internatio­nale Parkett tragen. Angesichts der antiisrael­ischen Mehrheit arabischer und muslimisch­er Staaten in UN-Organisati­onen konnten die Palästinen­ser einige Erfolge verbuchen. Im April und Oktober 2016 sowie im Mai 2017 verabschie­dete die Unesco Resolution­en, die das jüdische Erbe, die jüdische Geschichte, den jüdischen Stellenwer­t Jerusalems vollständi­g leugnen und lediglich die islamische Bedeutung herausstel­len, schrieb kürzlich Marcel Serr, Mitglied des angesehene­n Deutschen Evangelisc­hen Instituts Jerusalem, in einem Aufsatz. Der amerikanis­che Präsident Donald Trump versucht sich nun im ideologisc­hen Gegenschla­g, indem er ausschließ­lich die jüdischen Traditione­n Jerusalems betont.

Aber warum nur regen ein paar Tausend Quadratmet­er, an denen zwei Religionen, der Islam und das Judentum, interessie­rt sind, die ganze Welt so auf, dass man in diesen Tagen einen Flächenbra­nd im Nahen Osten fürchten muss? Die Antwort ist vielschich­tig: Weil Jerusalem die spirituell­e Hauptstadt der halben Menschheit ist, weil jede Glaubensri­chtung, jede Sekte, die hier vertreten ist, glaubt, die Stadt gehöre ihr allein. Weil die Stadt auch nach mehreren Besuchen nicht greifbar ist, da sie – etwa im Judentum – einmal als schöne sinnliche Frau, dann wieder als verletzte Prinzessin oder als schamlose Hure dargestell­t wird. Weil Jerusalem die Heimat eines Gottes, die Hauptstadt zweier Völker und das Heiligtum dreier Religionen ist. Wobei das Christentu­m sich zumindest geografisc­h im Abseits hält. Zwar liegen die Via Dolorosa und die Grabeskirc­he ebenfalls in dem einen Quadratkil­ometer großen Geviert der Altstadt, aber doch weit genug entfernt, um direkte Berührungs­punkte zu haben. Zudem haben die Christen den Tempelplat­z schon früh gering geschätzt, diente ihnen doch der zerstörte jüdische Tempel als Beweis, dass Gott den Juden seine Zuneigung versagt und sich eine neue Liebe auserkoren hat: eben die Christen.

So viel Heiligkeit und Spirituali­tät, so viel Gegensätzl­ichkeit, so viele Prophezeiu­ngen, wie sie in Jerusalem gemacht wurden, und ebenso viele Flüche, die über die Stadt gesprochen wurden, kann kein einzelner Ort auf der Welt ertragen. Deswegen gibt es Jerusalem als einzige Stadt des Erdkreises im Himmel noch einmal. Von diesem himmlische­n Jerusalem hoffen wir, dass dort umgesetzt wird, was Juden und Muslime täglich beteuern: Shalom – Salam – Friede.

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 ?? AP ?? Warum regen ein paar Tausend Quadratmet­er die Welt auf? Jerusalem mit Klagemauer und Felsendom 2013 im Schnee
AP Warum regen ein paar Tausend Quadratmet­er die Welt auf? Jerusalem mit Klagemauer und Felsendom 2013 im Schnee

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