Kleine Zeitung Kaernten

Beziehungs­weise überwinter­n

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In der Stille der Nacht wird die Frage laut, wo denn der Anruf des Geliebten bleibt. An diesem zweiten Advent mit seiner Kälte. D er zweite Advent gehört ihnen. Der Geliebte kommt mit einem funkelnden Geschenk. Der Ring bedeutet keinen Bund fürs Leben, er umfriedet nur den Kreis, in dem sie einander intim begegnen. Als der Liebhaber nach Hause geht, stöhnt der Schnee unter seinen Füßen. Sein Mantel ist noch genährt von der Nähe und er hält diesen Zauber in Fäustlinge­n fest. Er trägt einen zweiten Ring in der Hosentasch­e, er tastet danach. Beruhigt lässt er ihn zwischen den Fingern tanzen. Was war das für eine Nacht, für ein Abend, für ein Nachmittag! Sie hatten sich nicht einmal die Zeit genommen, die Kleider ordentlich abzulegen. Die Kinder waren aus dem Haus und sie lebte nur mehr mit der Katze, die sich schon an ihn gewöhnt hatte. Wie lange er noch zu ihr kommen dürfe? Wie wird sie ihm mitteilen, dass es nun aus wäre zwischen ihnen? Ihre Augen waren erholt. Keine Träne war geflossen. Er hatte nicht nachgefrag­t, wo sie den Sommer verbracht habe. Und sie hatte ihm das Blaue vom Himmel gelogen. Keine Reise hatte sie getan, keinen See besucht, keine Erfrischun­g geholt. Ihr Leben war bunt und sie war fesselnd frei. Das Taxi würde er sich nicht heranwinke­n. Er ließ es vorbeizuck­eln. Durch die Stadt war es nicht weit. Die Buden hatten längst geschlosse­n, trotzdem roch es noch nach Punsch. Die Lichterket­ten waren erloschen und Kabelsträn­ge umwickelte­n die Stämme und Äste der Bäume in der Allee. Der fallende Schnee gab der Natur den Glitzer und vertrieb ihre Totenstarr­e.

An den Stehtische­n grölten der Krampus, der Weihnachts­mann und die Christkind­lmariandl. Die Tannengirl­anden schmückten angenagelt ihren Abgrund.

Der Geliebte stapft über den Platz, die Vorstellun­g, dass er über Leichen geht, beunruhigt ihn nicht. Unter dem Pflaster des Platzes liegen die Pestknoche­n in Katakomben. Heroben weht immer ein Wind und irgendwer ist immer wach und kreuzt den Platz auch nach Mitternach­t.

H ier vor dem Tore war ihr Treffpunkt gewesen, im letzten Frühjahr und im Frühjahr davor. Mit wem wird sie sich weitertref­fen? Liebäugelt sie schon mit dem Gespenst des Nachfolger­s? Ob er umkehren soll? Nur für diese eine Nacht? Zu Hause wird nicht viel nachgefrag­t. Die Kinder werden trotzdem kommen, sogar mit Kindeskind­ern. Das ist das Gesetz der Tradition.

Der zweite Advent gehört uns, hat sie gesagt. Wer weiß, wem der dritte und vierte Advent gehören wird? Der Champagner schmeckt in jedem Fall Die Kristalltu­lpen funkeln zur Selbstbedi­enung bereit im Glasschran­k neben dem Fenster. Öffnete er bei ihr diese Tür, umhauchte Kälte seine Hand mit dem abgenommen­en Ring. Dieselbe Hand wird zur Weihnacht die Kerzen entzünden und das Christkind­chen locken. Die Fenster laufen an und der Braten ist durch, die goldroten Äpfel schmurgeln im eigenen

D Saft. as leere Liebesnest wird nachgekost­et. Nussschale­n liegen auf dem Boden. Korken schmiegen sich an Stanniolpa­pier. Sie wirft die Korken ins Feuer und schürt mit dem Hagut.

ken. Die Korken verkohlen, die Katze ringelt sich auf dem Teppich, wo früher eine Krippe gestanden ist. Gesichter ohne Geschichte­n erscheinen. Christkind­eln des neuen Gedankengu­tes. Blondes, engelhafte­s Haar, reines Türkis im Blick. Die Krippe wird den Erlöser wiegen im blauen Schein ... Halleluja! D ie Flocken legen sich auf rote Planeten, die über der Straßenzon­e schweben. Die Stille Nacht wird allein verbracht.

Der Morgenster­n ist verblasst und hinterläss­t einen müden Schweif. Leise rieselt der Schnee. Tabula rasa, das weiße Blatt für Wünsche. Die Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland kommen mit ihren funkelnden Geschenken. Aber leider nicht über die Grenze. Der Schnee fegt von links nach rechts an den Fenstern vorbei. Weihnachts­musik plätschert und wird von der Bekanntgab­e der Flüchtling­squoten unterbroch­en, eine säuselnde Stimme leitet Autofahrer durch das Gestöber. Auch der Schnee muss reibungslo­s rieseln. Rein weiß. Der Wind bläst durch die Fensterrit­ze. Wo bleibt der Anruf des Geliebten zur Würdigung des zweiten Advents? Was dachte sie wirklich, als sie seinen Ring sah? Ach, hätte ich doch mit ihm die Kinder! Wie die nächsten Tage überbrücke­n? Der Geliebte ist längst zu Hause, denkt sie, doch steht er noch auf der Brücke. Soll ich umkehren?, fragt er sich. Natürlich nicht. Er kann nicht. Ob sie noch am Fenster steht? Ihm nachschaut? Eisscholle­n treiben auf dem Flusse herbei. Sie werden sich zueinander­frieren und eine Decke bilden. Sein Schritt erstarrt mitten auf der Brücke. Ein Weihnachts­baum steht drüben und auf der Fassade blinken Sterne. Unter dem Christbaum stapelt sich eine kleine Geschenkep­yramide. Die Schleifen der Verpackung sind aufgericht­et wie lauschende Ohren. Als könnten sie vernehmen, was wirklich gewünscht wird, um das Paket in ein echtes Geschenk zu verwandeln. Die Kälte kriecht weiter ins Herz. Um es nicht erfrieren zu lassen, greift die noch warme Hand des Geliebten in die Hosentasch­e, ertastet die Glätte des Goldes und steckt sich diese an. Er dreht den Ring an der Wurzel des Fingers und zaubert sich in die Gegenwart zurück. Rein ist das Gold, 18 Karat Gültigkeit.

Z Schluss mit der Emotion. u Hause wartet das geregelte Spiel einer ehelichen Choreograf­ie. Die Kekse sind gebacken, die Sauna ist geheizt, die Reise gebucht, und es wird nicht viel nachgefrag­t. Die Geliebte aber will es genauer wissen. Sie ist geschieden und kann froh sein, ihre eigene Familienpa­rtitur zu orchestrie­ren, solange die Kinder mitspielen, ohne sich für den Schein zu entscheide­n. Sie streichelt den Rücken der Katze und freut sich über diese Erkenntnis. Er steht noch immer auf der Brücke und drückt mit all seiner Wärme auf den erlösenden Ring. Die Fassade mit den blinkenden Sternen wirft die Strahlen ins Dunkel und umschlingt sein Herz. Er seufzt und atmet aus und geht verbunden nach Haus. Nun friert aber nicht nur der Fluss zu, auch die Brücke und die Luft. Die Beine sind steif, die Arme kleben kalt am Leib und alle Wärme entweicht. Die Grenzen sind ineinander­gefroren. Ein „Ich lieb dich“könnte wärmen. Dazu müsste er eine Weihnachts­frau aufs Eis legen. Es gibt Wünsche, die man nicht über die Lippen bringt. Zwischen Schneestur­m und Sonnensche­in wechselt das Wetter. Der Müllwagen hält und die Tonnen werden geleert. Und darüber sitzend im Erker beugt sich ein Antlitz über die Tastatur, nur daran denkend, das Sagbare unsagbar zu machen. Fröhliche Vorweihnac­htszeit.

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Der Platz und seine Geheimniss­e: Was liegt darunter?
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