Das Gute sehen.
Bergbäuerin Elfriede Stabentheiner erlaubt sich simple Freude am Advent. Trotz schwarzer Momente. Oder gerade ihretwegen.
Bäuerin Elfriede Stabentheiner über Schicksalsschläge und innere Zufriedenheit.
„Aber sei nur stille zu Gott, meine Seele; denn er ist meine
Hoffnung. Er ist mein Fels, meine Hilfe und mein Schutz, dass ich nicht fallen werde. Bei Gott ist mein Heil und meine
Ehre.“
Ein strahlender Wintertag. Tiefes Himmelsblau spannt sich über die kantigen Berggipfel. Rund um das Bauernhaus liegt Anfang Dezember längst eine geschlossene, glitzernde Schneedecke. Die zwei rotweißen Hauskatzen toben durch den Pulverschnee. Eine Idylle wie aus dem Tourismusprospekt hier am Stabentheiner-Hof in Liesing im Lesachtal. „Ja, da simma schon z’frieden“, nickt Bäuerin Elfriede Stabentheiner im entzückenden Lesachtaler Dialekt, mit einem offenen Lächeln – und bittet uns hinein in die gut geheizte Bauernstube.
Zufriedenheit. Vielleicht der erste Schritt, wenn’s in einem selbst stiller werden soll. Elfriede Stabentheiner hat sie verinnerlicht, diese Zufriedenheit, und sie strahlt sie nach außen. Obwohl die vergangenen zwei Jahre ihr genug Grund dazu gegeben hätten, zornig zu sein und beleidigt auf dieses Leben. Zuerst der Unfall ihres Mannes mit einer inkompletten Querschnittlähmung als Folge. Und dann der plötzliche Tod ihres jüngsten Enkels Leonhard. Noch kein ganzes Jahr ist das her. Leonhard wurde nur zwei Jahre alt.
Elfriede Stabentheiner spricht von diesen Schicksalsschlägen, wie es Menschen tun, die bereit sind, anzunehmen: Geradeheraus, mit keinem Ton wehleidig, aber immer mit tiefer Herzenswärme. Und im nächsten Atemzug stellt sie etwas anderes in den Mittelpunkt ihrer Erzählungen. Das Schöne, das Gute, das Positive. „Es gibt wirklich nichts Schlechtes, das nicht auch etwas Gutes zutage fördert. Leonhards Tod zeigte uns, wie groß der Zusammen- halt unter unseren fünf erwachsenen Töchtern ist. Und durch den Unfall meines Mannes haben wir erst erfahren, wie sehr wir uns auf unsere Nachbarn verlassen können.“Ganz persönlich brachten ihr diese schweren Zeiten auch eine wesentliche Erkenntnis: „Die Kraft kommt sicher, wenn man sie braucht.“
Ist es Gewohnheit, Konsequenz, Unbeugsamkeit? Den Advent begeht Elfriede Stabentheiner heuer nämlich mit Bedacht, wie sonst auch. Mit dem abendlichen Rosenkranz-Gebet vorm Adventkranz, mit Apfelbrot und Keksebacken, mit dem Besuch der Rorate. Einzig ein Trauer-Adventkalender auf der Ablage hinter der gepolsterten Eckbank erinnert daran, dass diese Vorweihnachtszeit nicht ist wie alle anderen davor. Die Sinnsprüche und das Nachdenken darüber nimmt die Bäuerin gerne in ihre Adventrituale auf. Aber eines will sie nächstes Jahr doch anders halten: „Ich möchte eine Schachtel bereitstellen, in die
wir alles hineinlegen, was unterm Jahr schön war.“Fotos, kleine Notizen über schöne Momente, Symbole. „Die gefüllte Schachtel packen wir dann nächsten Advent nach und nach aus und erinnern uns an das Gute, das dieses Jahr gebracht hat. Dankbar sein, Dinge wertschätzen, das ist wichtig. Dann packt man ganz viel“, lächelt Elfriede Stabentheiner und lässt den Blick durchs Küchenfenster hinausschweifen auf die nahen Berghänge.
Dankbarkeit üben also. Das setzt voraus, dass man bewusst wertschätzt, was man hat. Jeden Tag. In einem dankbaren Leben ist Innehalten nichts, was nur vor Weihnachten kurz aufflackert, sondern ein treuer Begleiter. Deshalb kann die Bergbäuerin auch mit der hektischen Geschäftigkeit vorm Fest wenig anfangen: „Ich frage mich immer: Was ist denn das für eine Geschäftigkeit, von der alle reden? Die tägliche Arbeit muss auch bei uns am Hof immer getan werden. Natürlich backe ich Kekse. Und ich fahre zwei, drei Mal nach Lienz zum Geschenkekaufen. Im Kirchenchor gibt’s häufiger Proben als sonst. Aber wenn das alles erledigt ist, habe ich ja in Summe noch immer drei Wochen Zeit, um mich richtig auf Weihnachten einzustimmen.“
Wie sie das angeht, ist nicht geleitet von Anspruchshaltungen anderer oder der Werbung. Sie gestaltet dieses Einstimmen selbst. „Der Advent ist für mich ein Weg auf Weihnachten zu, den ich so gehen kann, wie ich will.“Die Bäuerin hält die Dinge einfach. Dazu gehört zuoberst, ihren Urlaubsbauernhof im Winter zuzusperren. „Da hat sich einfach die Frage gestellt: Wollen wir mehr Geld und das Haus voller Gäste oder wollen wir, dass unsere Töchter zu Weihnachten gerne heimkommen?“Das Festessen plant sie so, dass sie nicht stundenlang am Herd stehen muss. Und sie lebt die Traditionen, wie sie mag. Deshalb hat sie heuer auch den Nikolaus ins Haus bestellt, obwohl an diesem Abend nur sie und die Schwiegermutter zu Hause waren. Es ist eine simple Freude an der Adventszeit, die sie sich herausnimmt. „Ich finde, das Nebensächliche an der Weihnachtszeit wird heute total überbewertet. Die Frage ist doch: Will ich’s perfekt? Oder will ich, dass es eine schöne Zeit wird?“
Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden. Wieder so eine Möglichkeit, leichter zum Kern der Dinge vorzudringen. Mag sein, dass einem das hier – auf 1000 Meter Seehöhe, fernab von Leuchtreklamen und Christkindlmärkten – besser gelingt als mitten im vorweihnachtlichen Konsumkarussell einer Stadt. Auf einem Bergbauernhof in einem abgelegenen Tal scheint man vielen Verlockungen nicht ausgesetzt. „Das fällt bei uns komplett weg. Ich sehe ja so vieles an Angeboten nicht. Dadurch kann ich gar nie das Gefühl bekommen, dass ich es unbedingt brauche.“Und nach einer kurzen Nachdenkpause fügt sie hinzu: „Da bleibt uns sicher viel erspart.“
Die Tatsache, dass die Familie im Notfall auf Selbstversorgung umstellen kann, tut das ihrige zur vorweihnachtlichen Gelassenheit. „Wir müssen zum Einkaufen ja immer weit mit dem Auto fahren. Bei uns gibt’s nichts um die Ecke. Wenn uns während der Feiertage etwas ausgeht, essen wir halt was anderes. Wegen eines Packerls Schlag fahre ich nicht bis nach Lienz.“Elfriede Stabentheiner nimmt sich da gerne ihre Kühe als Vorbild. „Wenn die gefüttert sind, sind sie zufrieden. Fertig.“Die Frage nach dem Warum und Warum-Nicht stellt sich nicht. Es liegt viel Weisheit darin, wenn sie ergänzt: „Die einfachsten Dinge sind uns eh vorgegeben.“
Die Erkenntnis, dass manches im Leben schlichtweg nicht in unseren Händen liegt, mussten sie und ihre Familie zuletzt schmerzhaft gewinnen. „Man glaubt immer, man hat die Kontrolle. Die Wahrheit ist aber: Du kannst gar nix regeln!“Man kann nur umgehen lernen mit dem, was ist. Als ihr Mann Johann nach seinem Sturz im Rollstuhl saß, erledigte Elfriede Stabentheiner die Stallarbeit eben selbst. Mit Hilfe aus der Nachbarschaft. Niemand wusste, ob sich das je wieder ändern würde. Nach vielen Wochen zwischen leiser Hoffnung und tiefschwarzen Momenten tat ihr Mann wieder seine ersten Schritte. „Ja, das ist ein Wunder“, strahlt sie. Das sie wie alles sonst aus vollem Herzen annimmt.