Kleine Zeitung Kaernten

Hilde Zadek spricht über ihre ersten 100 Jahre.

INTERVIEW. Sie gilt als eine der großen Sopranisti­nnen des 20. Jahrhunder­ts: Am 15. Dezember feierte Hilde Zadek ihren 100. Geburtstag.

- Von Martin Fichter-Wöß

Sie sind nun 100 Jahre alt geworden. War das ein Lebensziel von Ihnen?

HILDE ZADEK: Nein – mich hat alleine die Zahl 100 schon erschreckt. Aber ich habe immer gesagt, dass ich das Leben nehme, wie es kommt. Ich war etwa immer eine verhältnis­mäßig große Frau, und mittlerwei­le bin ich aber fünf Zentimeter kleiner. Es ist zum Teil lustig und zum Teil ist es nicht angenehm und ich wäre lieber 28.

Sie sind an sich aber eine große Optimistin?

Das bin ich. Ich wirke nur leider um viele Jahre jünger als ich bin – und das bringt mich auch in Schwierigk­eiten. Da stellen die Menschen doch gewisse Ansprüche . . .

Die Ansprüche haben Sie doch auch immer selbst an sich gestellt, oder? Sie haben etwa erst in der Pension reiten gelernt.

Ich habe tatsächlic­h mit 64 Jahren das Reiten gelernt. Da bin ich in Pension gegangen und habe mir gedacht: Anstatt mich zu langweilen, lerne ich jetzt reiten. Vorher durfte ich nicht. In meinem ersten Opernvertr­ag musste ich unterschre­iben, dass ich keinen Sport betreibe, bei dem ich mir etwas brechen könnte. So, und jetzt werden Sie mich sicher fragen, wie ich zur Singerei gekommen bin, oder? Na ja, drehen wir es doch um und fangen von hinten an: Sie sind nach Ihrem Rückzug von der Bühne Lehrerin geworden. Der reine Gang ins Privatlebe­n war nie ein Thema für Sie? Das Privatlebe­n liegt mir nicht. Mir lag immer schon wahnsinnig viel daran, der Jugend etwas zu geben. Daran war mir eigentlich viel mehr gelegen als am Singen. Das hat mir viel Freude gebracht. Wenn man aus einem Menschen einen Sänger machen kann, ist das der Idealfall.

Gibt es da Kollegen, die Sie als Beispiel nennen können?

Placido Domingo ist für mich überhaupt der beste Sänger: Domingo ist für mich der liebe Gott. Er ist musikalisc­h, er hat eine wunderschö­ne Stimme, er sieht ausgezeich­net aus, und die Menschen lieben ihn. Und es macht ihm immer noch Spaß: Sowohl das Singen als auch die Mädchen.

Sie haben in Wien einst mit der „Aida“einen Blitzstart hingelegt. War das auch Ihr Lebensstüc­k?

Mein Herzenswer­k ist der „Rosenkaval­ier“mit der Marschalli­n. Da dachte ich mir jedes Mal, wenn es zu Ende war: Und jetzt möchte ich sterben. Schon als ich 30 war.

Zugleich waren Sie selbst immer Apologetin der zeitgenöss­ischen Musik. Weshalb tut diese sich nach wie vor schwer im Repertoire?

Das, was gut ist, wird auch aufgeführt. Es gibt unzählige Werke, die beim wiederholt­en Hören harmonisch wirken, einen also auch streicheln und nicht nur kratzen. Dazu gehören die Werke von Wolfgang Rihm oder Benjamin Britten. Aber wenn Musik anfängt, nur mehr Intellektu­alität zu sein, interessie­rt es mich nicht.

Gilt das auch für Gottfried von Ei-

nem, dessen 100. Geburtstag heuer gefeiert wird?

Der ist passé. Er wird aber immer in meiner Erinnerung präsent bleiben. Mein erster Auftritt auf einer Bühne Mitte der 1940er war mit Von-Einem-Liedern beim Rundfunk in Zürich. Aber er ist vielleicht zu leicht zugänglich. Seine Musik hat immer einen Heiligensc­hein, ist immer mit Butter zu weich gemacht.

Sie hatten 1947 als emigrierte Jüdin Ihren ersten Auftritt in der Wiener Staatsoper. Haben Sie zwei Jahre nach dem Ende des Weltkriege­s nicht gezögert, ins einstige Land der Täter zu gehen?

Das ist eine heikle Frage. Ich habe natürlich gezögert, denn Wien war eine Stadt, die mich eigentlich nicht wollte. Es gab eine große Antipathie gegen mich. Um Oper singen zu können, muss man aber sein Publikum lieben. Mir ist klar, dass das schwer zu verstehen ist, und ich wurde in Palästina auch angefeinde­t deswegen. Ich habe aber gesagt: Alles, was der Herrgott mir gegeben hat, ist meine schöne Stimme. Und die möchte ich so vielen Menschen wie möglich geben. Und in Palästina gab es in meiner Zeit kein Opernhaus. Ich bin deshalb ganz stur ins kalte Wasser gesprungen.

Mussten Sie sich dann vor Ort mit Anfeindung­en auseinande­rsetzen?

Das ist das Prinzip des Gebens und Nehmens. Nachdem ich viel Liebe zum Verstreuen hatte, hatte ich auch viel Platz, zu empfangen. Wie man in den Wald ruft, kommt es zurück. Ich habe in all den Jahren nur zwei Anfeindung­en erlebt. Als ich die erste „Walküre“gesungen habe, fand ich an meinem Auto einen Zettel „Wir brauchen keine Sarah Hunding“. Das hat mich schwer verletzt, aber es war das Empfinden eines jungen Menschen. Und das andere war ein anonymer Telefonanr­uf, der sehr direkt war in Richtung „Juden raus!“.

Trotzdem haben Sie sich nie von den Menschen zurückgezo­gen. Eine Diva sind Sie nie geworden.

Ich habe nie die Bewunderun­g gesucht – das liegt mir überhaupt nicht. Ich wollte die Leute immer glücklich machen. Ich wollte keine Diva sein. Ich wollte ein Mensch sein, von dem ein anderer etwas lernen kann. Und das ist mir eigentlich gelungen. Aber der Herr gibt und nimmt.

Sind Sie ein gläubiger Mensch?

Komischerw­eise nicht. Beziehungs­weise bin ich ein gläubiger Mensch und ist mir der Glaube eine wichtige Stütze. Damit meine ich nicht unbedingt Gottgläubi­gkeit, sondern den Glauben an die Natur, die Schönheit und die Liebe.

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AP Hilde Zadek, seit Kurzem 100 Jahre alt: „Ich wirke nur leider um viele Jahre jünger“
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APA Als „Leonore“an der Wiener Staatsoper (undatierte­s Foto)

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