Frau Gertrude erzählt vom Krieg
Gertrude Pressburger wurde mit ihrem Video im Präsidentschaftswahlkampf zum Star. Ihre Geschichte erzählt sie nun in einem Buch.
Knapp fünf Minuten dauert jenes Video, das wohl auch den Ausgang der Präsidentschaftswahl 2016 beeinflusst haben dürfte: Das Facebook-Video der damals 89-jährigen Wienerin „Frau Gertrude“, die darin zu „vernünftigem Wählen“aufruft und über rechte Kampfrhetorik im Wahlkampf klagt. Die Aufregung war damals groß, dem Team des heutigen Präsidenten Alexander Van der Bellen wurde politisches Kalkül vorgeworfen. Doch die heute 90 Jahre alte Holocaust-Überlebende Gertrude Pressburger gibt es wirklich. Unter dem Titel „Gelebt, erlebt, überlebt“erzählt sie ihre Lebensgeschichte nun in einem Buch, das heute in der Präsidentschaftskanzlei in Wien präsentiert wird.
Das Buch wird mit einer kleinen Replik auf den vira- len Internet-Hit eröffnet. Sie habe mit dem Video ein Gespür dafür vermitteln wollen, „welch zerbrechliches und kostbares Gut der Frieden ist. Dass der Wohlstand, in dem wir leben, nicht selbstverständlich ist.“Dann geht es um jene Geschichte, über die Pressburger bis dahin selten gesprochen hat. Sie beginnt in den 1930er-Jahren in Wien – mit liebevollen Eltern und zwei Brüdern, Heinzi und Lumpi. Der Anschluss an Deutschland ist noch nicht vollzogen, da erfährt das Mädchen über Hänseleien, dass die katholisch erzogene Familie jüdische Wurzeln hat. Dem Anschluss folgt die Flucht.
Doch im Frühling 1944 gibt es für die Familie, die eine jahrelange Flucht durch Jugoslawien und Italien geführt hatte, kein Entrinnen mehr. Sie wird nach Auschwitz-Birkenau gebracht, die Eltern und Geschwister der damals 16-Jährigen werden noch auf der Rampe in den Tod geschickt. Doch die junge Frau entscheidet sich, zu kämpfen – und überlebt. Als sie in das Wien der Nachkriegszeit zurückkehrt, begegnet sie erneut Antisemitismus und Rassismus. Ihre Reaktion fällt scharf aus: „Ich bin nicht nach Wien zurückgekommen, um mich wieder unterdrücken zu lassen. Ich schwöre mir, mir nichts mehr gefallen zu lassen. Ich kämpfe mit meinem Mundwerk.“
Aufgezeichnet wurde diese bewegende Geschichte von der Journalisten Marlene Groihofer, aus den Gesprächen wurde Freundschaft. „Nach Auschwitz sind wir beim Du angelangt.“