Kleine Zeitung Kaernten

„Je älter sie sind, desto schwierige­r ist es“

Der Soziologe Kenan Güngör über die ungleichen Lebenschan­cen von jungen Migranten.

- Andreas Kanatschni­g

Gibt es eine ideale Integratio­n in eine fremde Gesellscha­ft?

KENAN GÜNGÖR: Wir müssen unterschei­den, ob es Jugendlich­e sind, die neu zugewander­t sind, oder Jugendlich­e, die in zweiter oder dritter Generation in Österreich sind. Man kann sagen, dass man günstige Voraussetz­ungen für die Integratio­n schaffen kann, aber der Erfolg ist nicht immer ein Automatism­us. Die Jugendlich­en, die in der zweiten oder dritten Generation hier sind, merken oft in der späten Schulzeit, dass sie anders wahrgenomm­en werden. Es hängt auch von den Familien ab, wie sie sich selber hier verorten und was sie ihren Kindern mitgeben. Das Verfremden kann in der Gesellscha­ft oder in der Familie passieren.

Kommt das Bildungssy­stem der Integratio­n entgegen oder treibt es die Kluft auseinande­r?

Es gibt in Österreich eine soziale Vererbung von Bildungska­pital. Wir haben ein Bildungssy­stem, in dem die Eltern immer mehr in den schulische­n Erfolg ihrer Kinder eingebunde­n und somit verantwort­lich sind. Es steht nicht die Fähigkeit eines Kindes im Vordergrun­d, sondern das Bildungska­pital der Eltern.

Welche Vorbilder brauchen Kinder und Jugendlich­e mit Migrations­hintergrun­d?

Es ist so, dass in der Adoleszenz die Vorbildwir­kung von Eltern und Lehrern abnimmt. Es werden Freundeskr­eise immer wichtiger. Der lernförder­nde oder lernhinder­nde Freundeskr­eis der potenziell­en Freundeskr­eise ist sehr oft der Grund, warum Eltern ihre Kinder in diese oder jene Schule schicken. Es ist gemeinsame­s Merkmal von Bildungsmi­ttelschich­ten, egal mit oder ohne Migrations­hintergrun­d.

Welche Desintegra­tionsfakto­ren gibt es?

Die Menschen sind ja nicht zu 100 Prozent integriert oder desintegri­ert. Für jene Jugendlich­en, die nach Österreich kommen, ist das Alter von entscheide­nder Bedeutung. Je älter sie sind, desto schwierige­r ist es, die Sprache zu lernen. Im Vergleich zu den Kindern, die hier geboren sind, haben sie viel weniger Lebenschan­cen.

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KK/ MAGDALENA POSSERT Kenan Güngör ist Soziologe in Wien

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