„Je älter sie sind, desto schwieriger ist es“
Der Soziologe Kenan Güngör über die ungleichen Lebenschancen von jungen Migranten.
Gibt es eine ideale Integration in eine fremde Gesellschaft?
KENAN GÜNGÖR: Wir müssen unterscheiden, ob es Jugendliche sind, die neu zugewandert sind, oder Jugendliche, die in zweiter oder dritter Generation in Österreich sind. Man kann sagen, dass man günstige Voraussetzungen für die Integration schaffen kann, aber der Erfolg ist nicht immer ein Automatismus. Die Jugendlichen, die in der zweiten oder dritten Generation hier sind, merken oft in der späten Schulzeit, dass sie anders wahrgenommen werden. Es hängt auch von den Familien ab, wie sie sich selber hier verorten und was sie ihren Kindern mitgeben. Das Verfremden kann in der Gesellschaft oder in der Familie passieren.
Kommt das Bildungssystem der Integration entgegen oder treibt es die Kluft auseinander?
Es gibt in Österreich eine soziale Vererbung von Bildungskapital. Wir haben ein Bildungssystem, in dem die Eltern immer mehr in den schulischen Erfolg ihrer Kinder eingebunden und somit verantwortlich sind. Es steht nicht die Fähigkeit eines Kindes im Vordergrund, sondern das Bildungskapital der Eltern.
Welche Vorbilder brauchen Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund?
Es ist so, dass in der Adoleszenz die Vorbildwirkung von Eltern und Lehrern abnimmt. Es werden Freundeskreise immer wichtiger. Der lernfördernde oder lernhindernde Freundeskreis der potenziellen Freundeskreise ist sehr oft der Grund, warum Eltern ihre Kinder in diese oder jene Schule schicken. Es ist gemeinsames Merkmal von Bildungsmittelschichten, egal mit oder ohne Migrationshintergrund.
Welche Desintegrationsfaktoren gibt es?
Die Menschen sind ja nicht zu 100 Prozent integriert oder desintegriert. Für jene Jugendlichen, die nach Österreich kommen, ist das Alter von entscheidender Bedeutung. Je älter sie sind, desto schwieriger ist es, die Sprache zu lernen. Im Vergleich zu den Kindern, die hier geboren sind, haben sie viel weniger Lebenschancen.