Und manchmal bringt sie eine Kuh
REPORTAGE. In der Ostukraine schwelt ein Krieg, den niemand mehr wahrnimmt – außer den Menschen, die dort leben. Die Caritas kümmert sich vor allem um Kinder.
Nur eine Person spricht, wenn jemand in den Bus kommt, keine Witze bitte, keine Fotos.“Die Anweisungen für Reisegruppen in der Ostukraine sind unmissverständlich, sobald man sich der russischen Grenze nähert. Offiziell ruhen zwar die Waffen, doch nächtens, wenn die Überwachung schwierig wird, flammt der Krieg wieder auf. Seit vier Jahren geht das nun so.
Äußerlich ist den Städten der Ostukraine, die bald wieder zurückerobert werden konnten, kaum etwas anzusehen. „Man muss in die Wohnungen gehen, um ihn zu bemerken“, sagt Caritas-Direktor Michael Landau. Vertriebene fanden in überfüllten Wohnungen von Verwandten oder Freunden Unterschlupf, nicht in Lagern. Auch Kriegstraumata, Angstträume und Hunger sieht man nicht.
Vor dem Haus der 44-jährigen Ira Zemlyanska im Dorf Rohanske unweit von Kramatorsk liegt der Schnee so hoch, dass der Geländewagen der Caritas aufsitzt. Nachbarinnen helfen Ira, den Weg freizuschaufeln für den Besuch. Iras Mann liegt im Krankenhaus mit Tuberku- lose. Eine lange löchrige Strickjacke ist alles, was die Frau gegen die Kälte anhat. Im Garten sitzt bibbernd ein Wachhund, zwei Welpen tollen im gleißenden Neuschnee. Der vierjährige Stefan, das jüngste der vier Kinder Iras, drückt seine Nase neugierig ans vereiste Fenster.
Die Mutter führt uns in den Garten, zum Stall, wenn das Wort nicht zu viel verspricht. In dem fensterlosen Raum steht eine Kuh. Allenfalls hätte eine zweite darin Platz, sonst nichts. Die Kuh ist trächtig. Das ist ein Glücksfall für Ira, wie schon die Kuh selbst die schwierige Lebenssituation der Familie sehr entspannt hat. Das Geld für die Anschaffung des Nutztiers kam aus dem Spendentopf der Caritas. Nun hat Katja etwas anzubieten auf dem dörflichen Tauschmarkt: Käse, frische Milch, bald auch ein Kalb.
Neben dem Stall führen Fußspuren in ein schwarzes Loch. Es ist leer. Früher diente es der Aufbewahrung von Obst und haltbaren Vorräten. Ira hockt sich hin, um zu zeigen, wie sie sich in Zeiten intensiven Beschusses dort mit ihren Kindern in Sicherheit zu bringen versuchte. Schutz bietet der Keller kaum, zu dünn ist die Decke, zu schwach die Tür.
Eines Tages stand ein Separatist mit Panzerfaust in ihrem Garten, erzählt die Mutter mit Tränen in den Augen. Er wollte die in der Nähe stationierten ukrainischen Einheiten von hier aus beschießen. Mit Zähnen und Klauen vertrieb die beherzte Frau den Kämpfer, der ihr Haus und ihre Kinder bedenkenlos zum militärischen Ziel gemacht hätte. Tagelang wohnten Ira und ihre Kinder genau zwischen den Frontlinien.
„Wir beschweren uns nicht, unser Leben ist gut, wie es ist, Gott sei Dank“, sagt Ira trotz allem. Das hat auch mit dem Tier im Stall zu tun. „Diese Kuh ist ein Geschenk des Himmels“, sagt Ira. „Sie hilft, die ganze Familie zu ernähren.“
Die Kinder helfen mit im Haushalt. Im Wohnzimmer, vom Herd in der Küche notdürftig mitgewärmt, beugt sich die zehnjährige Tanja über einen Topf mit Rüben und Kraut. Borschtsch soll daraus werden. Ihre kleine Schwester Eva hilft ihr. Die achtjährige Alina sitzt über ihren Aufgaben im noch kühleren Nebenzimmer, ein Plüschtier neben sich. Plüschtiere sind überall in der Ukraine, als müssten sie hinwegtrösten über einen Alltag, der mit „hart“nur undeutlich beschrieben ist.
Klagen hört man von Ira nie. „Die Welt ist voller guter Menschen“, sagt sie und trägt die dampfende Suppe auf. „Ich liebe Menschen, und sie scheinen das zu erwidern.“Und doch, gerechnet hat sie mit der Hilfe nicht: „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass uns jemand unterstützen würde.“
Was die Kinder zum Krieg sagen? „Es ist nicht unser Krieg.“Dass jemand an dem Konflikt auch verdient, weiß Ira. Darüber mit den Kindern zu reden, falle ihr schwer, sagt sie. „Ich halte sie fest, um sie zu beruhigen.“Die Zukunft? „Es ist schwer, sich Zukunft vorzustellen.“
Darum geht es der Caritas mit ihrer Aktion „Träume > Tränen“: Kindern wieder eine Zukunft möglich zu machen. „Ein Kind ist ein Kind, egal wo seine Wiege stand“, sagt Caritas-Chef Michael Landau. In der fast vergessenen Grenzregion zu Russland, in unmittelbarer Nähe zu den von Rebellen besetzten Gebieten, will die Caritas 50.000 Kindern helfen. Sie unterstützt Kindergärten, ermöglicht Traumatherapie für schockierte Kinder, hilft in Not geratenen Müttern, die ihre Kinder allein durchbringen müssen, zahlt Medikamente, wenn nötig auch den Arzt; und manchmal bringt sie eine Kuh.