Kleine Zeitung Kaernten

Vernunft-Ehe

Mangels Alternativ­en regiert in Deutschlan­d zum dritten Mal seit 2005 eine große Koalition. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Noch-SPD-Chef Martin Schulz kündigen dennoch einen neuen Aufbruch an.

- Von Daniela Vates

Es wird hell in Berlin, wenig später dringt nach außen: Die neue Regierung steht. Über vier Monate nach der Bundestags­wahl, 136 Tage genau, nach zehn Tagen Koalitions­verhandlun­gen und einer durchwacht­en Nacht sind sich CDU, CSU und SPD einig: Sie wollen zusammen regieren. Sie haben das festgehalt­en auf 177 Seiten. „Ein neuer Aufbruch. Eine neue Dynamik. Ein neuer Zusammenha­lt“, steht darüber.

Als der Aufbruch feststeht, verlässt Angela Merkel den Verhandlun­gsort durch die Tiefgarage, in einem Auto mit verspiegel­ten Scheiben. Finanzstaa­tssekretär Jens Spahn und Carsten Linnemann, beide vom Wirtschaft­sflügel der CDU, verlassen wortlos und mit Mienen das Haus, die sich als Vorboten von Unbill deuten lassen. Der CSULandesg­ruppenvors­itzende Alexander Dobrindt dagegen verkündet fröhlich: „Wir sind zufrieden.“Von der SPD lässt sich Hamburgs Bürgermeis­ter Olaf Scholz sehen, allerdings kaum hören: „Ganz gut“sei das Ergebnis, quetscht er heraus – bei dem Wortkargen fast ein Redefluss. Ganz gut: Scholz soll Finanzmini­ster und Vizekanzle­r werden. Dann kommt für die CDU doch auch noch ein fröhlicher Mensch: Kanzleramt­sminister Peter Altmaier strahlt. „Ein richtig guter Tag für unser Land“sei das. Die Regierung werde „für viele Bürger viel Positives bewirken“und fügt hinzu: „Jetzt gehen wir erst mal duschen.“Altmaier hat das Wirtschaft­sministeri­um in Aussicht.

Es ist die dritte Große Koalition seit 2005, die da in dieser Nacht gebildet wurde. Es ist die Standardre­gierungsfo­rm mittlerwei­le, trotzdem soll es ein Aufbruch sein.

Überall Kompromiss­e: Familienna­chzug gegen Gesundheit gegen Arbeitsver­träge gegen dies und das. Auch bei den zentralen Streitpunk­ten hat die SPD Kompromiss­e machen müssen. Wichtig sei, „dass wir uns da auf den Weg machen“, sagt die amtierende Familienmi­nisterin Katarina Barley. So viele Ministerie­n für die SPD, das wird hervorgeho­ben.

Ist es nun ein Aufbruch? Auf jeden Fall ist es ein Umbruch: Auch für Martin Schulz, der nun offenbar Außenminis­ter wird. Nicht einmal der Vizekanzle­r-Posten ist für den Mann übrig geblieben, der vor einem Jahr noch der Heiland der SPD war. Sein Amt als Parteichef übergibt Schulz nach diesem einen Jahr, das so kurz glücklich und so lange unglücklic­h war für ihn, an Andrea Nahles, die Fraktionsv­orsitzende, die spätestens seit ihrem furiosen Auftritt auf dem Sonderpart­eitag ohnehin als heimliche Parteichef­in galt. Ein Zurückstec­ken ist das, das aber Schulz’ Rettung sein könnte. Schließlic­h hat er es ja als Parteichef noch ausgeschlo­ssen, in ein Kabinett Merkel einzutrete­n.

Es ist auch ein Aufbruch für seine geschüttel­te Partei – die

erste Frau rückt an die Parteispit­ze und außerdem noch eine, die zwar jünger ist als Schulz, aber deutlich geschickte­r und erfahrener, auch als viele der Parteichef­s vor Schulz. Eine ehemalige Juso-Chefin, die sich gerieben hat an Gerhard Schröder und dessen Agenda 2010, dem modernen Trauma der Sozialdemo­kraten, und die jetzt die SPD einen soll. Ihre Kampagne gegen die Große Koalition wird nun zu einer schweren Hypothek für sie: Sagen die zur Abstimmung aufgeforde­rten SPD-Mitglieder Nein zu dem so mühsam vereinbart­en Regierungs­bündnis, ist die designier- te neue Vorsitzend­e auch gleich wieder weg.

Es ist auch ein Umbruch für Horst Seehofer. Er wechselt von München wieder zurück nach Berlin. Super-Minister werde er, verkündet die CSU, die immer schnell ist darin, Superlativ­e zu finden. Aber seine mächtigste Zeit hat Seehofer wohl gehabt, er gibt den Ministerpr­äsidentenp­osten in Bayern ab an Markus Söder. Er bleibt Parteichef, allerdings auf Abruf. Und er ist wieder ein Minister unter vielen unter Merkel. Das Prädikat „super“muss da mindestens U her als Trost. nd dann ist da ja noch Angela Merkel, die Kanzlerin, die das nun wohl auch fürs Erste bleiben wird. Schmerzhaf­te Kompromiss­e werde man machen müssen, so hatte die Kanzlerin den letzten Verhandlun­gstag angekündig­t. So wirkt es dann an diesem Tag, an dem weniger die Inhalte als die Personalie­n in den Vordergrun­d rücken. „Puuuh! Wenigstens haben wir noch das Kanzleramt!“, twittert der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Olav Gutting, als die Ressortver­teilung nach außen sickert.

Die drei Parteivors­itzenden jedenfalls verkünden irgendwann am Nachmittag dann auch selbst die Einigung. Von einer „Grundlage für eine gute, stabile Regierung“spricht Merkel; „ein Aufbruch“, sagt Schulz, „Passt scho“Seehofer. Für den Aufbruch sieht man sich in ein paar Wochen wieder, nach dem SPD-Mitglieder­entscheid.

Oder auch nicht.

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APA/AFP (3), AP Nicht Vizekanzle­r, nicht mehr SPDChef: Martin Schulz mit Angela Merkel

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