Vernunft-Ehe
Mangels Alternativen regiert in Deutschland zum dritten Mal seit 2005 eine große Koalition. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Noch-SPD-Chef Martin Schulz kündigen dennoch einen neuen Aufbruch an.
Es wird hell in Berlin, wenig später dringt nach außen: Die neue Regierung steht. Über vier Monate nach der Bundestagswahl, 136 Tage genau, nach zehn Tagen Koalitionsverhandlungen und einer durchwachten Nacht sind sich CDU, CSU und SPD einig: Sie wollen zusammen regieren. Sie haben das festgehalten auf 177 Seiten. „Ein neuer Aufbruch. Eine neue Dynamik. Ein neuer Zusammenhalt“, steht darüber.
Als der Aufbruch feststeht, verlässt Angela Merkel den Verhandlungsort durch die Tiefgarage, in einem Auto mit verspiegelten Scheiben. Finanzstaatssekretär Jens Spahn und Carsten Linnemann, beide vom Wirtschaftsflügel der CDU, verlassen wortlos und mit Mienen das Haus, die sich als Vorboten von Unbill deuten lassen. Der CSULandesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt dagegen verkündet fröhlich: „Wir sind zufrieden.“Von der SPD lässt sich Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz sehen, allerdings kaum hören: „Ganz gut“sei das Ergebnis, quetscht er heraus – bei dem Wortkargen fast ein Redefluss. Ganz gut: Scholz soll Finanzminister und Vizekanzler werden. Dann kommt für die CDU doch auch noch ein fröhlicher Mensch: Kanzleramtsminister Peter Altmaier strahlt. „Ein richtig guter Tag für unser Land“sei das. Die Regierung werde „für viele Bürger viel Positives bewirken“und fügt hinzu: „Jetzt gehen wir erst mal duschen.“Altmaier hat das Wirtschaftsministerium in Aussicht.
Es ist die dritte Große Koalition seit 2005, die da in dieser Nacht gebildet wurde. Es ist die Standardregierungsform mittlerweile, trotzdem soll es ein Aufbruch sein.
Überall Kompromisse: Familiennachzug gegen Gesundheit gegen Arbeitsverträge gegen dies und das. Auch bei den zentralen Streitpunkten hat die SPD Kompromisse machen müssen. Wichtig sei, „dass wir uns da auf den Weg machen“, sagt die amtierende Familienministerin Katarina Barley. So viele Ministerien für die SPD, das wird hervorgehoben.
Ist es nun ein Aufbruch? Auf jeden Fall ist es ein Umbruch: Auch für Martin Schulz, der nun offenbar Außenminister wird. Nicht einmal der Vizekanzler-Posten ist für den Mann übrig geblieben, der vor einem Jahr noch der Heiland der SPD war. Sein Amt als Parteichef übergibt Schulz nach diesem einen Jahr, das so kurz glücklich und so lange unglücklich war für ihn, an Andrea Nahles, die Fraktionsvorsitzende, die spätestens seit ihrem furiosen Auftritt auf dem Sonderparteitag ohnehin als heimliche Parteichefin galt. Ein Zurückstecken ist das, das aber Schulz’ Rettung sein könnte. Schließlich hat er es ja als Parteichef noch ausgeschlossen, in ein Kabinett Merkel einzutreten.
Es ist auch ein Aufbruch für seine geschüttelte Partei – die
erste Frau rückt an die Parteispitze und außerdem noch eine, die zwar jünger ist als Schulz, aber deutlich geschickter und erfahrener, auch als viele der Parteichefs vor Schulz. Eine ehemalige Juso-Chefin, die sich gerieben hat an Gerhard Schröder und dessen Agenda 2010, dem modernen Trauma der Sozialdemokraten, und die jetzt die SPD einen soll. Ihre Kampagne gegen die Große Koalition wird nun zu einer schweren Hypothek für sie: Sagen die zur Abstimmung aufgeforderten SPD-Mitglieder Nein zu dem so mühsam vereinbarten Regierungsbündnis, ist die designier- te neue Vorsitzende auch gleich wieder weg.
Es ist auch ein Umbruch für Horst Seehofer. Er wechselt von München wieder zurück nach Berlin. Super-Minister werde er, verkündet die CSU, die immer schnell ist darin, Superlative zu finden. Aber seine mächtigste Zeit hat Seehofer wohl gehabt, er gibt den Ministerpräsidentenposten in Bayern ab an Markus Söder. Er bleibt Parteichef, allerdings auf Abruf. Und er ist wieder ein Minister unter vielen unter Merkel. Das Prädikat „super“muss da mindestens U her als Trost. nd dann ist da ja noch Angela Merkel, die Kanzlerin, die das nun wohl auch fürs Erste bleiben wird. Schmerzhafte Kompromisse werde man machen müssen, so hatte die Kanzlerin den letzten Verhandlungstag angekündigt. So wirkt es dann an diesem Tag, an dem weniger die Inhalte als die Personalien in den Vordergrund rücken. „Puuuh! Wenigstens haben wir noch das Kanzleramt!“, twittert der CDU-Bundestagsabgeordnete Olav Gutting, als die Ressortverteilung nach außen sickert.
Die drei Parteivorsitzenden jedenfalls verkünden irgendwann am Nachmittag dann auch selbst die Einigung. Von einer „Grundlage für eine gute, stabile Regierung“spricht Merkel; „ein Aufbruch“, sagt Schulz, „Passt scho“Seehofer. Für den Aufbruch sieht man sich in ein paar Wochen wieder, nach dem SPD-Mitgliederentscheid.
Oder auch nicht.