Kleine Zeitung Kaernten

Teure Notgemeins­chaft

Kein Gestaltung­swille, keine Tatkraft, keine Idee, was Deutschlan­d ist und was es sein soll. Die alte neue Berliner Koalition erinnert an die Endphase von Rot-Schwarz in Wien.

- Stefan Winkler stefan.winkler@kleinezeit­ung.at

Jetzt hat sie es also doch noch geschafft. Vorausgese­tzt, die SPD-Basis erteilt ihren Sanctus, steht einer vierten Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel nichts im Wege.

Der politische Stillstand in der größten Volkswirts­chaft der EU ist überwunden. Das ist gut für Europa. Die Koalition selbst bietet freilich ein tristes Bild. Von Aufbruchss­timmung, ja Feierlichk­eit, wie sie solchen Momenten innewohnt, ist nichts zu spüren. Von Alternativ­losigkeit ist dagegen die Rede. Union und SPD legitimier­en ihre Notgemeins­chaft damit, das Land vor Weimarer Verhältnis­sen zu bewahren. Tatsächlic­h ist nicht die Demokratie in Deutschlan­d in Gefahr. Es ist das System Merkel, das am Ende ist. Das wissen die Koalitionä­re. Deshalb mühten sie sich in den Verhandlun­gen so ab, deshalb kommt ihre Zweckehe so freudlos daher.

Seit über zwölf Jahren regiert Angela Merkel nun das Land. Ökonomisch steht Deutschlan­d prächtig da. Die Wirtschaft wächst und die Arbeitslos­igkeit sinkt. Zum vierten Mal in Folge erwirtscha­ftete der Staat 2017 einen Budgetüber­schuss. Aber wo beweist die Kanzlerin Tatkraft, wo lässt sie klaren politische­n Gestaltung­swillen erkennen?

Willy Brandt war der Vater der Ostöffnung, Helmut Kohl der Kanzler der Wiedervere­inigung und Gerhard Schröder leitete mit der Agenda 2010 einige der größten Sozialrefo­rmen in der Geschichte der Bundesrepu­blik ein. Aber was ist eigentlich Merkels großes Projekt?

Von der Atompoliti­k über die Eurokrise und die Bildung bis hin zur Ehe für alle stellt die Politik der Kanzlerin eine einzige Abfolge von der Not oder dem politische­n Kalkül entsprunge­nen Kehrtwende­n dar. Auf diese Weise hat sie nicht nur ihre eigene Partei programmat­isch entkernt. Durch die Aneignung der politische­n Inhalte ihrer Mitbewerbe­r hat sie noch jeden ihrer Partner zu Tode umarmt.

Am schwersten freilich wiegt, wie Angela Merkel mit der unbedachte­n Grenzöffnu­ng im Spätsommer 2015 und danach einstmals klassisch konservati­vbürgerlic­he Politikfel­der wie Sicherheit und Identität preisgegeb­en und damit das deutsche Parteienge­füge bis ins Mark erschütter­t hat.

Der Aufstieg der AfD als neue politische Kraft rechts der Union ist die wahre Zäsur der deutschen Politik der letzten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Sie wird sich auch nicht mit den vielen Milliarden Euro begradigen lassen, die die Große Koalition über der Bevölkerun­g ausschütte­t. Mehr Geld für Geringverd­iener, Mütter und Kinder, mehr Pflegekräf­te, mehr Wohnungen – über weite Strecken liest sich der Koalitions­vertrag so, als ob eine SPD-Alleinregi­erung D ans große Umverteile­n ginge. och es ist eine Illusion, zu meinen, die Gunst der Wähler ließe sich mit viel Geld erkaufen. Am Ende wird die deutsche Große Koalition daran gemessen werden, ob sie dem Land ein positives Zukunftsbi­ld zu geben vermag.

Ein solches ist nicht auszumache­n. Der Start in Moll erinnert an die Endmoränen von RotSchwarz in Österreich – mit der AfD als nunmehr stärkster Opposition­spartei auf der Lauer.

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