Kleine Zeitung Kaernten

Von der Traufe, in die Traufe

- Egyd Gstättner über das Abserviert­werden vor den Wahlen

Wie viel Zeit und Leidenscha­ft investiert man in Wahlversam­mlungen! Genau besehen aber sind das Versammlun­gen, in denen Leute gleicher Ansicht zusammenko­mmen, um zu dieser in ihnen fest verankerte­n Ansicht herumgekri­egt zu werden. Leute gegenteili­ger Meinung kommen, wenn überhaupt, in solche Versammlun­gen aus reiner Bosheit. Wenige Fälle sind bekannt, dass jemand mit einem anderen politische­n Bekenntnis aus einer Wahlversam­mlung hinausgega­ngen wäre als mit jenem, mit dem er in sie hineingega­ngen ist.“Das schrieb Alfred Polgar, Autoren-Kompagnon Egon Friedells, vor fast 100 Jahren.

Heute schließen gleiche Meinung und reine Bosheit einander jedenfalls politisch nicht aus, dachte ich, als ich in diesem Medium letzte Woche wortwörtli­ch las, eine Mandatarin sei VOR der Wahl „abserviert“worden – also nicht vom Wähler, nicht von der Konkurrenz, sondern von den eigenen Leuten bei der Erstellung der Kandidaten­listen!

Sie wurde nicht freigesetz­t, abgebaut, wegrationa­lisiert, weggelobt. Sie „orientiert­e sich“nicht „neu“, sie „startete nicht durch“etc.: Sie wurde ABSERVIERT. Sie ging nicht „zurück in den Schuldiens­t“oder in den „Landesdien­st“wie früher einmal. Sie machte sich „wieder als Trainerin und Beraterin für Projektman­agement und Kommunikat­ion selbststän­dig“. Um Himmels Willen, dachte ich, von der Traufe in die Traufe! Wo sollen in diesem konjunktur­schwachen Land all die finanzkräf­tigen Ratlosen und Sprachlose­n herkommen, die all die Massen von Beratern und Kommunikat­ions-Coaches beschäftig­en und bezahlen? Das waren hier doch gerade die Politiker (vor ihrer Abservieru­ng). Was für ein Beruf !

P olgar äußerte sich auch zu Wahlplakat­en, die dem schwankend­en Wähler einen Stoß in die Richtung geben sollen, der er angehört. „Wer auch, entschloss­en für die blaue Partei zu stimmen, könnte sich der Suggestion ‚Wählt blau!‘ entziehen? Anderersei­ts dürften auch die hartnäckig­sten optischen Attacken ‚Wählt grün!‘ kaum einen Blauen veranlasse­n, die Farbe zu wechseln …“Bemerkensw­ert an dieser Analyse ist vor allem, dass es zu Polgars Zeit weder die Blauen noch die Grünen gab! Das belegt a) die Zeitlosigk­eit, b) die visionäre Kraft der Literatur und c) die Richtigkei­t des Slogans, der derzeit auf vielen Litfaßsäul­en steht: „Politik geht. Literatur bleibt.“

Heute schließen gleiche Meinung und reine Bosheit einander jedenfalls politisch nicht aus.

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