„Es ist unsere Aufgabe, zu weit zu gehen“
Lena Jäger, Projektleiterin des zweiten Frauenvolksbegehrens, erklärt im Interview, warum ein solches notwendig ist, wie viel Hass ihr dafür entgegenschlägt und warum die türkis-blaue Frauenpolitik in die falsche Richtung geht.
Ab morgen sammeln Sie und Ihre Mitstreiterinnen Unterstützungserklärungen. Warum braucht es ein zweites Volksbegehren?
LENA JÄGER:
Es braucht so lange Frauenvolksbegehren, bis ihr Geschlecht den Frauen keine Nachteile mehr bringt. Solange wir Gehaltsunterschiede von 25 Prozent und Pensionsunterschiede von 50 Prozent haben, so lange werden wir dafür kämpfen, dass Frauen bekommen, was sie verdienen. Und ich bin auch davon überzeugt, dass dieses Volksbegehren nicht das letzte war.
Das klingt wenig zuversichtlich.
Es ist schlicht pragmatisch. Ich würde das aber auch nicht machen, wenn ich nicht an das Begehren glauben würde. Und zudem leben wir aktuell in besonders spannenden Zeiten.
Inwiefern?
Als studierte Historikerin beobachte ich, dass die Zeichen auf Umbruch stehen. Die „MeToo“Debatte will einfach nicht verstummen, was wirklich ungewöhnlich ist. Ich halte es also durchaus für möglich, dass das Frauenvolksbegehren ein echter Erfolg werden kann. Auch, weil es so viele Menschen gibt, die dahinterstehen.
Ein Erfolg war auch das Volksbegehren vor 20 Jahren, umgesetzt wurde lediglich ein Bruchteil der Forderungen. Warum?
Die Geschichte von Volksbegehren ist in Österreich keine Erfolgsgeschichte. Kein einziges hat eine nachhaltige Veränderung herbeiführen können. Menschen sind nun einmal Gewohnheitstiere, sie haben Angst vor Veränderung. Aber wenn ich mir ansehe, wie viele Männer sich bei uns gemeldet haben, glaube ich daran, dass sich jetzt etwas ändern kann.
Wie sind die Forderungen, die man ab morgen unterstützen kann, zustande gekommen?
Die Entstehung der Forderungen unterscheidet uns von anderen Volksbegehren. Denn es sind nicht unsere, sondern die der Bevölkerung. Wir haben in einem ersten Schritt bei 50 Organisationen angefragt, welche Punkte besonders wichtig wären. 32 haben geantwortet. Daraus haben wir 15 Forderungen generiert und diese zur öffentlichen Debatte gestellt. Aus diesen Forderungen sind dann neun geworden und bei diesen neun bleibt es.
Eine davon ist die Einführung einer rigorosen Frauenquote, mit der aber eine Geschlechterquote gemeint ist. Was bedeutet das?
Wir wollen, dass die gesamte Bevölkerung in allen Arbeitsbereichen und in der Politik repräsentiert ist. Damit meine ich aber auch Menschen mit Behinderung oder Migrationshintergrund. Also mehr Frauen in die Politik, aber auch mehr Männer in klassisch weibliche Berufe wie Pflege oder Bildung. Und zwar auf allen Ebenen. Es kann nicht sein, dass es in Volksschulen fast nur Lehrerinnen gibt, die Direktoren aber Männer sind. Es muss eine gerechte Aufteilung der Macht geben.
Welche Geschichten von nicht gerecht aufgeteilter Macht hören Sie, wenn Sie mit den Menschen über das Begehren sprechen?
Sie erzählen mir teils unglaubliche Geschichten, der Großteil davon betrifft die ungleiche Behandlung von Mann und Frau. Die schlimmste Geschichte hat mir eine Alleinerziehende in Oberösterreich erzählt. Sie ging kurz nach ihrem ersten Kind wieder arbeiten, ebenso nach dem zweiten und wurde dafür heftig kritisiert. Dann hat ihr Mann sie verlassen und in der Firma hat man zu ihr gesagt: „Wenn du nicht bald einen neu- en Partner findest, werden wir dich kündigen. Denn dann kann man sich sicher sein, dass du keine Kapazitäten mehr für die Arbeit hast.“Und diese Frau hat zu mir gesagt: „Jetzt bin ich etwas, das ich nie sein wollte: nur Mutter.“Solange es solche Geschichten gibt, kann man nicht von einer Wahlfreiheit für Frauen sprechen.
Apropos Wahl: Politiker schrecken im Wahlkampf vor der direkten Ansprache von Frauen zurück, weil die Gruppe so heterogen ist. Die einen wollen Hausfrau sein, die anderen haben mit Kindern nichts am Hut. Wie hat das Volksbegehren diese Herausforderung gelöst?
Uns geht es darum, dass Frauen überhaupt zwischen diesen Optionen frei wählen können. Sind mehr Frauen und damit mehr Lebensvarianten im Parlament vertreten, werden diese Gruppen auch gehört werden. Und
auch der Ausbau der Kinderbetreuung ist für diese Entscheidungsfreiheit essenziell.
Die türkis-blaue Regierung hat betont, sich um Frauen und Frauenpolitik bemühen zu wollen. Können Sie solche Bemühungen bereits erkennen?
Die Regierung würde jetzt den Familienbonus ins Spiel bringen. Doch der begünstigt nur jene, die dem klassischen Familienbild entsprechen: Vater, Mutter, Kind. Alleinerziehende, die ohnehin schon wenig haben, gehen dabei leer aus. Und genau das ist für mich ein Zeichen dafür, dass es eben nicht in Richtung Wahlfreiheit geht. Zudem ist der Ansatz der FPÖ beim Thema Frauen, dass diese belohnt werden sollen, wenn sie – nach klassischem Rollenverständnis – Frauen sind. Also klassische Frauen-Arbeiten verrichten. Und wir wollen, dass sich Männer und Frauen die Fa- milie selbst einteilen können. Es gibt auch genug Männer, die gern mehr Zeit mit ihrem Kind verbringen würden. Man muss aber die richtigen Rahmenbedingungen dafür schaffen.
Frauen will die Regierung auch juristisch zu Hilfe eilen, indem man die Strafen für Gewalt- und Sexualverbrechen erhöht. Eine gute Idee?
Nein, weil das der falsche Ansatz ist. Es wäre viel wichtiger, Geld in die Präventions- und Täterarbeit zu stecken. Höhere Strafen verhindern nichts.
Laut Medienberichten will keine Ministerin das Begehren unterschreiben, vielen geht es zu weit. Ein Rückschlag?
Nein, denn ein Volksbegehren, das von allen Ministern unterschrieben wird, ist unnötig. Dann wäre es Politik. Zudem ist es unsere Aufgabe als Initiatoren dieses Volksbegehrens, zu weit zu gehen und zu polarisieren. Sonst würde sich niemand dafür interessieren.
Sie gehen mit den Forderungen also bewusst zu weit?
Ich finde nicht, dass wir das tun. Es hat ja ohnehin keine dieser Forderungen die Chance, eins zu eins umgesetzt zu werden. Aber sie sind eine gute Grundlage, um zu diskutieren.
Das Wort „Feminismus“hat sich vom „Birkenstock“-Image zum Modebegriff gewandelt. Kommt Ihnen das entgegen?
Auf jeden Fall. Auch, wenn es hier immer noch Missverständnisse gibt. Feminismus heißt nicht die Bevorzugung der Frau, sondern die Gleichstellung aller Geschlechter.
Eva Rossmann, Galionsfigur des ersten Volksbegehrens, hat in einem „Kleine Zeitung“-Interview erzählt, dass sie damals ange- feindet wurde. Sogar ihre Haustür wurde beschmiert. Schlägt auch Ihnen Hass entgegen?
Auf jeden Fall, es gab bereits mehrere Vorfälle. Aber heute finden diese Angriffe über soziale Medien statt. Bei mir wird dabei häufig mein Körper thematisiert. Frauen müssen leider lernen, mit solchen Kommentaren umzugehen.
Sie finanzieren sich über Crowdfunding. Geht sich die Durchführung eines Volksbegehrens überhaupt aus?
Nein. 200.000 Euro haben wir schon bekommen, wir brauchen aber dringend mehr. Uns fehlen noch 100.000.
Und die 8000 Unterschriften für die offizielle Einreichung gehen sich auch aus?
Na klar. Und auch die 100.000 für die Behandlung im Nationalrat schaffen wir. Davon bin ich überzeugt.