Ein fesselnder Blick auf eine monströse Tat
Das Buch: ein Krimi. Der Tatort: ein US-Highway bei Denver, Colorado. Der Täter: ein Familienvater. Die Tat: massenhafter Voyeurismus. Es ist ein skandalöser Fall, der sich Anfang der 60er-Jahre in den USA ereignet hat und erst jetzt den Weg in die Öffentlichkeit findet. Ein Mann kauft heimlich ein Motel, um seiner Obsession nachzugehen. Vom Dach aus beobachtet er seine Gäste, um alles über Sex zu erfahren. Entdeckt wurde er nie und verspürt zum Ende seines Lebens hin den Drang, anderen von seinen Erfahrungen, seiner Neigung und seiner ausgiebig geführten Statistik zu erzählen. Also wendet er sich an einen bekannten Journalisten. Herausgekommen ist ein faszinierendes Buch, das einen nicht in Ruhe lässt. Es ist verstörend, weil sich die Geschichte nicht mit gut oder böse beurteilen lässt. Es ist gleichzeitig eine Chronik der sich wandelnden amerikanischen Gesellschaft und der sexuellen Revolution. Denn es geht natürlich auch um Sex und seine Spielund Abarten. „Der Voyeur“von Gay Talese (Hoffmann und Campe, 224 Seiten, 20,60 Euro) ist ein beängstigender Blick in eine düstere Welt, aber auch ein fesselndes Werk – auch, weil Talese als Begründer des literarischen Journalismus gilt. Ungereimtheiten, die sich nach der Erstveröffentlichung in den USA ergeben haben, werden in dieser Ausgabe eingeordnet. An der Wucht der Geschichte nehmen sie nichts.