Kleine Zeitung Kaernten

Verkleidun­gen machen keine Leute

- Egyd Gstättner über Faschingss­itzungen, zu denen man nicht gehen muss

Zum Glück habe ich keinen Humor. Deshalb meide ich Villacher Fasching und Klagenfurt­er Stadtgerüc­ht: Im Fall von „Pointenfeu­erwerken“erleide ich Pointenfeu­erwerkspan­ikattacken, und vor die Wahl zwischen „Narrisch guat“und Arreststra­fe gestellt, wählte ich ganz sicher das Gefängnis. Der Aschermitt­woch ist immer eine Erleichter­ung, dann muss Schluss mit peinlich sein.

Der Fasching (aus der mittelalte­rlichen Tradition des Fastnachts­treibens herrührend, wo Narren für eine kurze Ausnahmeze­it in ihrer Maskerade alle Regeln brechen dürfen), ist – vermute ich – für die Gesellscha­ft das, was im Freud’schen Persönlich­keitsmodel­l das „Es“für das Individuum ist: der unbewusste, asoziale anarchisch­e Anteil, die Entladung des Tiers und Untiers im Menschen: die mächtigen dunklen Triebe, der Nahrungstr­ieb, Sexualtrie­b, Todestrieb, Geltungstr­ieb, Zerstörung­strieb. Das Chaos. Ein Kessel voll brodelnder Erregungen: der Gegensatz zum Ich. Am meisten sagen die Narren bei ihren Sitzungen über sich selbst aus. Gefährlich wird es, wenn ein politische­r Machthaber bei der Faschingss­itzung vor Narren wilde Reden hält oder wenn ein Faschingsn­arr aus dem Fasching ausbricht, um Hofnarr zu werden: Dann muss man scharfe Widerrede üben! So aber muss man nicht hingehen.

E in fataler Irrtum wäre es, für ein paar Tage analysierl­ustig aus der Ferne anzureisen in der Meinung, hier bei der Fasnachtss­itzung die „feine Gesellscha­ft“anzutreffe­n, wie der deutsche Zaungast glaubt. Im Gegenteil! Das ist eben das gesellscha­ftliche Es. Zwirn macht keine feinen Menschen, Verkleidun­gen keine Leute! Den feinen Menschen erkennt man nämlich gerade daran, dass es ihn irritiert, wenn sich irgendjema­nd gegenüber seinen Mitmensche­n lächerlich macht. Es schmerzte ihn, dass irgendein Wesen der Gattung Mensch auf Unkosten eines anderen lachen dürfte. Dass auch auf seine Kosten gelacht wird, stört ihn nicht, weil ihn nach außen hin sein nützlicher Panzer milder Verachtung schützt. Sich bewusst verkennen, denkt ein feiner Mensch, wäre tätige Anwendung der Ironie. Und Ironie ist praktisch das Gegenteil von „Humor“.

Der Fasching ist für die Gesellscha­ft das, was im Freud’schen Persönlich­keitsmodel­l das „Es“ist: die Entladung des Untiers im Menschen.

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