„Wir sind Europas isoliertestes Land“
Der kosovarische Vizepremier Dardan Gashi über die stockende EU-Perspektive seines Heimatlandes.
Vor zehn Jahren haben praktisch alle Albaner die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo frenetisch bejubelt. Wie schätzen Sie die Stimmung heute ein?
DARDAN GASHI: Die Stimmung ist etwas getrübt, hauptsächlich weil der Kosovo zehn Jahre nach der Unabhängigkeit noch immer das isolierteste Land in Europa bleibt. Das betrifft die fehlende Visa-Liberalisierung. Die EU-Zukunft des Kosovo ist immer noch nicht auf Schiene, wie wir das damals gehofft haben. Die Visa-Liberalisierung hängt am Grenzstreit mit Montenegro. Der Kosovo hat das Abkommen von 2015 noch immer nicht ratifiziert, es gab dagegen massive politische Proteste. Das ist kein Streit zwischen Montenegro und dem Kosovo, das ist ein interner Streit politischer Parteien, den man nationalistisch hochgekocht hat, aber es gibt eine Besinnung. Wir sind auf dem besten Weg, das zu beenden.
Das Verhältnis zwischen Serben und Albanern im Kosovo hat sich entspannt. Problematisch bleibt die Integration des serbisch dominierten Nordens, wo jüngst ein bekannter serbischer Politiker ermordet wurde. Dieser Mord hat keinen ethnischen Hintergrund. Das hat auch Belgrad eingestanden. Zwischenfälle auf der Grundlage ethnischer Spannungen gibt es kaum. Der Norden wird leider noch immer von kriminellen Banden kontrolliert. Polizei, Justiz und sonstige In- stitutionen sind präsent, aber noch immer nicht stark genug, weil wird dort von Belgrad unterminiert werden, direkt von offizieller Seite. Im Kosovo ist die Arbeitslosigkeit weiter hoch und die ausländischen Direktinvestitionen gering. Das liegt doch auch vor allem an den Regierungen der vergangenen zehn Jahre. Es gibt Besserungen; wir haben im Dezember einen Vertrag über 1,2 Milliarden Euro unterschrieben mit einer amerikanischen Firma, die hier das wohl letzte Kohlekraftwerk in Europa bauen wird. Und es gibt sonstige andere Investitionen. Aber das greift langsam. Die Stimmung ist zu Recht betrübt.
Wie steht es um den Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität? Den Kosovo unterstützt hat dabei die EU-Mission Eulex mit Richtern und Staatsanwälten. Was ist geschehen? Wenig, auch die Skandale, die zuletzt aufgekommen sind innerhalb der Eulex, haben nicht dazu beigetragen, die Bewertung positiv zu sehen. Es sind viele Fälle aufgegriffen, viele Gerichtsverfahren begonnen worden, aber ganz wenige Verurteilungen haben stattgefunden. Deswegen finden wir es auch etwas verwunderlich, dass man uns den Vorwurf macht, wir hätten nicht genug getan für die Bekämpfung von Korruption und Organisierter Kriminalität.