Wenn Prinzipien überstrapaziert werden
An ihren Grundfesten lässt die EU nicht rütteln. Das muss auch der wahlkämpfende Landeshauptmann von Tirol einsehen, der gegen die Transitlawine mobilmacht. Mit über zwei Millionen Lastwagen im Jahr auf der Brenner-Autobahn sei die Belastungsgrenze längst überschritten.
Außer punktuellen Blockaden konnten die Tiroler bisher nichts durchsetzen. Fahrverbote oder Obergrenzen sind mit dem Grundprinzip des freien Warenverkehrs nicht vereinbar.
Ähnliche Erfahrungen erwarten auch die neue Bundesregierung, wenn sie ihren Plan in die Tat umsetzen will, die Familienbeihilfen an die Lebenshaltungskosten des Landes anzupassen, in dem die Kinder leben. Das würde der Personenfreizügigkeit, einer der vier Grundfreiheiten der EU, widersprechen.
Freiheit ist mit Gleichheit allerdings schwer zu vereinbaren, wenn große Ungleichheiten herrschen. Die EU-Verordnung zur Gleichbehandlung im Sozialsystem fußt auf einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus den Achtzigerjahren, als Frankreich untersagt wurde, die Unterstützung für Pietro Pinna zu kürzen, dessen Familie nach Italien zurückkehrte. Damals war die EU noch auf ihre Gründungsmitglieder begrenzt und bildete einen homogenen Wirtschaftsraum, in dem nur Italien nachhinkte. Mit der Osterweiterung kamen aber Länder wie Polen, Ungarn, Rumänien oder Bulgarien dazu, wo die Einkommen und die Lebenshaltungskosten viel niedriger waren und immer noch sind.
Prinzipien werden jedoch überstrapaziert, wenn etwa aus Bulgarien, das momentan den EUVorsitz hat, ein Fünftel der Bevölkerung zur Arbeitssuche in reichere EU-Länder abgewandert ist, die bei den Alten zu Hause gebliebenen Kinder dafür Beihilfen erhalten, die fast so hoch sind wie der dortige Mindestlohn.
Prinzipien werden überstrapaziert, wenn ein Fünftel der bulgarischen Bevölkerung in reichere EU-Länder abwandert.
Betroffen von einer Indexierung, also Kürzung der Familienbeihilfe wären über 100.000 Kinder.
Für unsere Regierung ist es eine Frage der Gerechtigkeit. Die EU wird es als Verstoß gegen die Gleichheit verhindern. Populärer wird sie in Österreich deswegen nicht.