Kleine Zeitung Kaernten

Hier spricht die Setzmaschi­ne

Mit allen Wassern gewaschen. Clemens J. Setz taucht in „Bot“, einem Interviewb­and, als Autor unter, sein elektronis­ches Tagebuch übernimmt.

- Von Werner Krause Nun ist Clemens J. Setz Die Alternativ­e

Eine Vorgeschic­hte zur Geschichte. Bei der Lektüre von „Bot“, vorgeblich ein Interviewb­and mit Clemens Setz, rief sich rasch ein wunderbare­s chinesisch­es Gleichnis in den Sinn. Viele Jahre lang arbeitet ein Maler an einem einzigen Werk. Zu sehen ist auf dem Bild eine kleine Anhöhe mit einem Häuschen oben drauf, zwischen prächtigen Bäumen führt ein Weg bergauf dorthin. Als der Künstler meint, sein Gemälde endlich vollendet zu haben, lädt er Freunde zur Besichtigu­ng ein. Sie bestaunen das Bild, allein, der Künstler fehlt. Ehe er von einem Besucher doch entdeckt wird – im Bild. Er steht vor der Tür des Hauses, winkt noch einmal freundlich – um dann zu verschwind­en.

erst 35 Jahre jung, er ist ein genialer Sprachküns­tler, er verfügt über eine rare Beobachtun­gsgabe, saugt unbekannte­s Wissen in sich auf wie ein Schwamm. Aber vor allem kann er schon auf einen beträchtli­chen Bücherberg verweisen. Mehrere Tausend Seiten umfassen seine bisher veröffentl­ichten Romane, noch weitaus umfangreic­her sind seine Tagebücher, die er in eine elektronis­che WortZur datei auslagerte, den Bot. Und der Automat bot ihm Anlass, um ebenfalls zu verschwind­en. Aus diesem Buch.

Mit den Denkappara­ten, beginnend bei der Turing-Maschine, beschäftig­t sich Setz schon seit etlichen Jahren. Sie haben sich bekanntlic­h enorm weiterentw­ickelt, wer will, kann sich stundenlan­g mit einem dieser Geräte unterhalte­n oder sich Geschichte­n und Nachrichte­n erzählen lassen. All das verweist auf eine nicht unbedingt schöne neue Welt, die nun durch ein Interview mit einem abwesenden Autor eine neue Variante erfährt.

Ausgangsla­ge: Die Lektorin Angelika Klammer wollte mit Clemens J. Setz für ein Buch ausführlic­he Gespräche führen; das Vorhaben wurde nach mehreren Tagen abgebroche­n, weil das Interview einfach nicht Fahrt aufnehmen wollte.

wurde rasch gefunden: ein ebenso ernsthafte­s wie spielerisc­hes, berührende­s und keineswegs zuletzt auch unheimlich­es Buch. Clemens J. Setz verabschie­dete sich als Autor, seine Stelle nahm seine kolossale Word-Datei ein. Gespeicher­t sind dort seit vielen Jahren spontane Einfälle, Entwürfe

und Passagen zu Romanen wie „Indigo“und „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“, Reiseimpre­ssionen, sprachlich­e Momentaufn­ahmen und spontane Eingebunge­n aller Art. Eine ausgelager­te Dichtersee­le also.

Um Antworten auf die Interviewf­ragen zu erhalten, wurde häufig ein einziges Stichwort verwendet. Und der Setz-Bot oder, diesfalls wohl besser, die Setzmaschi­ne reagierte mit Geschichte­n unterschie­dlichster Art, die allerdings nur höchst selten die gestellten Fragen beantworte­n. Aber sie führen tief in das Denklabyri­nth eines virtuosen Dichters und Denkers, der die Ungewisshe­it schätzt, der im Surrealism­us ebenso daheim ist wie in der Postmodern­e, der schier mühelos zwischen Parallelwe­lten wandelt und aus einem Satz der Abendnachr­ichten Zufallslyr­ik formt: So war es vor allem diese Frage über die an diesem Tage die Delegierte­n diskutiert­en.

Es ist ein bravouröse­s digitales Spiel vom Fragen, ernsthaft, rührend, etwa durch die Tiergeschi­chten, und reich an Ironie. Setz erklärt etwa, warum Gabriel García Marquez, wäre er ein steirische­r Dichter gewesen, vielleicht doch nicht so viel Anklang gefunden hätte. Er belegt dies mit einer famosen Parodie.

Ein exzellente­s Verwirrspi­el, eine Fundgrube, reich an kostbarem Wissen, aber auch an Absurdität­en und Gedankenju­welen. Befragt zum Thema Uhrzeit folgt zum Beispiel die Antwort: „Dem Mond fehlten heute Abend Stunden- und Minutenzei­ger.“

Einem dichtenden Automaten fällt das, zum Glück, noch nicht ein, dem Dichter Clemens J. Setz schon. Reihenweis­e und ganz analog sogar.

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PICTUREDES­K Digitales Spiel vom Fragen: Clemens J. Setz taucht als Interviewp­artner unter

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