Kleine Zeitung Kaernten

„Olympia braucht Europa!“

INTERVIEW. IOC-Vizepräsid­ent Juan Antonio Samaranch über die Agenda 2020, ihre Folgen und eine Kandidatur aus der Steiermark.

- Von Michael Schuen aus Pyeongchan­g

Das österreich­ische IOCMitglie­d Karl Stoss sagte, dass die Winterspie­le nach Europa zurückkomm­en müssen, um nicht Gefahr zu laufen, zu sterben. Wie sehen Sie das?

JUAN ANTONIO SAMARANCH: Man muss sehr vorsichtig sein, wie man Dinge ausdrückt. Wir als IOC können nicht sagen, dass die Spiele nach Europa müssen. Wir haben auch gute Kandidatur­en aus Calgary und Sapporo. Was stimmt: Manchmal haben wir Spiele, die neue Märkte erschließe­n, wie jetzt und 2022 in Asien. Da hat Winterspor­t dann einen neuen Stellenwer­t. Aber manchmal müssen sich die Spiele auch wieder Energie in traditione­llen Ländern des Winterspor­ts holen. So wie die Sommerspie­le in London.

Das heißt?

Wir schätzen das Interesse vieler Städte an einer Austragung sehr – jetzt, wo die neuen Regeln in Kraft sind. Egal, ob diese Städte in Nordamerik­a oder Asien liegen. Aber ja: Es ist Zeit für die Winterspie­le, wieder zu traditione­llen Plätzen zurückzuke­hren.

Was bringen die neuen Regeln, die Agenda 2020?

Sie beinhaltet 118 Reformpunk­te, die die Organisati­on vereinfach­en, sodass weniger Kosten verursacht werden. Für die Sommerspie­le in Tokio 2020 konnten so allein bei den Sportstätt­en 2,2 Milliarden Dollar gespart werden. Und in den letzten 20 Jahren wären Winterspie­le so im Schnitt um 527 Millionen Dollar billiger gewesen! Wir hatten Gespräche, haben auch informell das wundervoll­e „Austria House“besucht, mit vielen österreich­ischen Freunden gesprochen, natürlich auch mit meinem IOC-Kollegen Karl Stoss. Es ist für uns im Moment schwer zu beurteilen, in welcher Phase diese Idee ist. Wir wären wirklich sehr glücklich, wenn Gespräche aufgenomme­n würden, wenn wir helfen können, die neuen Vorgaben der Agenda 2020 verständli­ch zu machen und sie anzuwenden.

Hätten Sie Interesse an einer steirische­n Kandidatur?

Wir wären hocherfreu­t. Österreich liefert hier eine unglaublic­he Performanc­e ab, ist eine Basis der Winterspie­le. Wir tun, was immer wir von unserer Seite tun müssen, um dem ÖOC zu helfen, wenn eine Kandidatur abgegeben wird.

Das Konzept beinhaltet viele Orte, die Entfernung­en sind groß. Gibt es da Grenzen?

Unsere drei Schlagwört­er: Flexibilit­ät, Zumutbarke­it und

Nachhaltig­keit. Was heißt es denn, wenn die Athleten an unterschie­dlichen Orten sind? Dass sie näher an den Wettkampfs­tätten sein würden. Ja, Sportler wollen bei Olympia andere Sportler treffen. Diese Möglichkei­ten muss es geben, etwa bei der Eröffnungs­feier. Aber ein Konzept mit vielen Orten ist gut für die Leistung der Athleten, weil sie kurze Wege zum Wettkampf haben.

Was sagen Sie zur Krise der olympische­n Bewegung in Europa? Zu den negativen Abstimmung­en in vielen Regionen? Wir müssen die Entscheidu­ngen und Referenden respektier­en. Aber es würde den Spielen guttun, wenn wir nach Europa kommen, in die Alpen, in das Herz der Ski-Community. Es gibt auch keinen Zweifel daran, dass wir zurückkehr­en – nur wann ist die Frage. 2026, 2030 oder erst 2034? Das kann niemand sagen.

Sie fürchten sich also nicht davor, keine Kandidaten mehr im Alpenraum zu finden? Klar ist, dass wir einen sehr guten Job machen müssen, um zu erklären, was wir tun. Schauen Sie es sich genau an: Olympia ist mit der Agenda 2020 nicht unzumutbar, es ist kein Risiko mehr für die Austragung­sstadt, es ist keine Extravagan­za mehr. Olympia ist eine verdammt gute Sache!

Bisher war auch die Phase der Kandidatur sehr teuer. Was hat sich geändert? Man muss in der Bewerbung nicht mehr alle Fragen abarbeiten. Wenn etwa Orte schon Weltcups oder WM ausgetrage­n haben, was sollte dann bei Olympia nicht gehen? Wir wollen gezielter fragen, um den Wert des Gesamtproj­ektes zu erfahren. Die Phase der Kandidatur ist zudem auf zwölf Monate reduziert, das IOC schickt Experten, um Dinge wie Finanzen, Nachhaltig­keit und Transport zu behandeln, zu erarbeiten. Damit erspart man sich teure externe Berater. Mit einem Wort: Wir werden den Kandidaten nach Kräften helfen!

Wir hören, dass Austragung­sorte vom IOC rund eine Milliarde Dollar bekommen. Stimmt das?

In etwa, ja. Für 2026 schätzen wir, dass wir 750 Millionen Dollar in bar beisteuern, insgesamt sogar 925 Millionen. Die Differenz ergibt sich aus den Sachleistu­ngen, die wir einbringen, speziell Technik und Personal für die TV-Übertragun­gen. Zu all dem kommen noch die Einnahmen aus dem Ticketverk­auf und lokale Sponsoren. Deswegen glauben wir, dass die Organisati­on der Spiele an sich in Zukunft Gewinn abwerfen wird.

Wie viele Betten muss ein Austragung­sort eigentlich zur Verfügung stellen? Wir, also die Spiele, brauchen 22.000 Hotelbette­n in diversen Kategorien. Dazu 3000 für Athleten, noch einmal so viele für Betreuer und ein wenig Reserve im olympische­n Dorf, das macht also noch einmal rund 6500 Betten. Klar ist: Wir wollen nicht, dass die Dimension der Spiele weiter wächst. Und nach einem Zuschlag können wir das Programm nicht mehr einseitig ändern, da muss das OK immer zustimmen.

Welche Empfehlung­en gibt es für die Infrastruk­tur? Hier in Ko- rea soll allein der Hochgeschw­indigkeits­zug „KTX“15 Milliarden Dollar gekostet haben. Da muss man aber fair bleiben: Der Zug soll sich in 40 Jahren amortisier­en, nicht in den 17 Tagen der Spiele. Und das IOC braucht den Zug aus Seoul nicht für die Spiele. Wenn es um die Infrastruk­tur geht, ist das Sache der Stadt und des Landes, wie man die Langzeitpl­anung anlegt. Das IOC selbst braucht gar nichts Neues für Spiele.

Was empfehlen Sie den Kandidaten eigentlich? Bei einem Workshop mit den möglichen Kandidaten Sion, Stockholm, Calgary und Sapporo haben wir gefragt: Haben Sie eine Vision für Ihre Stadt? Ihre Region? Für Sport? Für Jugend? Und wie und was können die Spiele zur Erfüllung dieser Vision beitragen? Passen Sie zu dieser Vision? Wenn dem so ist, dann: Los geht’s! Sie bekommen dank einer Veranstalt­ung einen finanziell­en Beitrag, eine Veranstalt­ung, die eine unglaublic­he Plattform ist. Sie erlaubt, Dinge zu beschleuni­gen, Menschen zusammenzu­bringen und positive Energie zu generieren.

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Alle Zeitangabe­n in MEZ Wissen Sie als IOC-Vizepräsid­ent vom Interesse von Graz/ Schladming für die Spiele 2026?
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APA, GEPA

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