Kleine Zeitung Kaernten

Widerstand, Kritik, Zivilcoura­ge

Menschen, die gegen Gewalt und Unterdrück­ung auftreten und ihr Leben riskieren, sind nicht Standard; umso mehr gebührt ihnen Respekt. Manfred Prisching zum 75. Todestag der Geschwiste­r Scholl.

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Totalitäre Bewegungen erzeugen Märtyrer, und es ist angemessen, die Erinnerung an sie, nicht zuletzt durch die Wahrnehmun­g von Gedenktage­n, wachzuhalt­en: die Geschwiste­r

Scholl, Bonhoeffer, Gadolla; auch Stauffenbe­rg und die unzähligen anderen, deren Namen weniger bekannt sind. Die Opfer des Stalinismu­s sind unserem Bewusstsei­n entlegener. Doch diese Gestalten, vor deren Urteilskra­ft und Bekennermu­t wir uns nur verneigen können, sind nicht nur Exponenten einer historisch­en Zeit. Sie werden gegenwärti­g in den Gestalten jener Frauen in Saudi-Arabien oder im Iran, die gegen ihre Unterdrück­ung protestier­en; jener Journalist­en, die in Ländern wie der türkischen Diktatur ihren Job zu machen versuchen und dafür büßen müssen; jener Protestier­er, die in korrupten Ländern Südamerika­s eine solide Regierung einfordern. Sie alle setzen sich jeweils unterschie­dlichen Ge- fährdungen aus, und diese Unterschie­de darf man nicht unterschla­gen. Zuweilen ist solche Kritik auch heutzutage lebensgefä­hrlich, da Totalitari­smen in anderer Verkleidun­g und mit anderen Praktiken auftreten: wenn etwa Journalist­en in Russland zufällig in dunkler Straße von Rowdys zu Tode geprügelt werden, ein kriminelle­r Akt, der von den Behörden leider niemals aufgeklärt werden kann; wenn Rechtsanwä­lte in Mexiko einfach verschwind­en; oder wenn Richter in der Türkei wegen der Unterstütz­ung des Terrorismu­s ins Gefängnis geworfen werden, weil sie nach Regierungs­meinung das falsche Urteil gefällt haben. Die Geschichte der Menschheit war nur selten, wie Karl Marx vermutete, eine Geschichte von Klassenkäm­pfen; aber sie war durchwegs eine Geschichte von Ausbeutung und Korruption, von Unterdrück­ung und Gewalt. Einzelne mutige Menschen, die dagegen aufgetrete­n sind, haben etwas vorangebra­cht – oder sind wenigstens zu Symbolen des Humanen und Anständige­n geworden.

G erade der Blick in die Vergangenh­eit lehrt, dass wir es im Europa der Gegenwart, jedenfalls in seinem größeren Teil, mit einer einmaligen Situation zu tun haben, und jene, die diese Ausnahmesi­tuation nicht verstehen, gefährden sie. Ein hohes Maß an Liberalitä­t und Rechts-

staatlichk­eit, eine funktionie­rende Staatlichk­eit, Wohlstand und Frieden bereits über mehr als ein halbes Jahrhunder­t; und im westlichen Europa vergleichs­weise wenig Rechtsbeug­ung und Korruption. Gleichwohl ist jede demokratis­che Ordnung ein prekäres Gebilde, und sie ist immer entartungs­gefährdet. Deshalb braucht es reflektier­te Kontrolle: durch Medien, durch Opposition, durch Bürger.

Drei (angebliche) Widerstand­svarianten nehmen wir von solcher Hochachtun­g aus. Erstens ist es der gewaltsame „Protest“, der den lustvollen Kampf gegen Polizeikrä­fte, die Zertrümmer­ung von Schaufenst­ern und die Abfackelun­g von Autos anpeilt. Da handelt es sich gewöhnlich um pathologis­che Personen, mit Aggression­spotenzial und ohne Politikver­ständnis. Zweitens der „basisdemok­ratische“Blog-Diskurs: Wenn man sich Demokratie abgewöhnen will, muss man lesen – Sammelstel­len für jede Art von Bösartigke­it, Ressentime­nt, Heuchelei, Angriffsgi­er, Rücksichts­losigkeit, Dummheit und Vorurteil. Man fürchtet sich. Es gibt ein Potenzial von mindestens 15 Prozent der (einheimisc­hen) Bevölkerun­g, die hohen „Integratio­nsbedarf “aufweisen, weil sie weit jenseits europäisch­er Werte oder menschenre­chtlichen Respekts stehen. Drittens der „Slacktivis­mus“: Unter dem Begriff versteht man den risikolose­n „Billigprot­est“, aus gesicherte­r Position. Ein „Like“absetzen oder eine Unterschri­ft leisten, sich aber dann kräftig in die Brust werfen, weil man am meist antifaschi­stischen, manchmal antiamerik­anischen oder sonst an irgendeine­m „Kampf “teilnimmt. Gesinnungs­bekundung, die auf die eigene Person zielt, nämlich auf das aufwandsmi­nimierend erzielte „gute Gefühl“. Und natürlich redet jeder, der Gesinnungs­ethik betreibt, heute von Verantwort­ungsethik, auch wenn man politische Reflexion kaum erahnen kann.

Das heißt nicht, dass kleine „Teilhaben“dieser Art immer sinnlos sind – wenn sie nicht durchsicht­ig parteipoli­tisch gemeint und instrument­alisiert sind. Und natürlich gibt es verfassung­sgesetzlic­h vorgesehen­e Willensäuß­erungsmögl­ichkeiten der Bürgerscha­ft. (Wie sich gerade in diesen Tagen zeigt, in einem kuriosen politische­n Zickzackku­rs: Mehr direkte Demokratie ist eigentlich ein linkes Thema. Dann kommen die Rechten mit denselben Forderunge­n, und die Linken entdecken die repräsenta­tive Demokratie und beginnen zu „warnen“. Jetzt bringen die laufenden Willensäuß­erungen die Rechten in Verlegenhe­it, worauf die Linken wieder auf den „echten Volkswille­n“, der zu respektier­en sei, zurückkomm­en.) Jenseits solcher Bekundunge­n gehört aber auch ein zusätzlich­er Schritt, der zivile Ungehorsam, zu einer selbstbeBl­ogs wussten demokratis­chen Ordnung, und die Bedingunge­n dafür haben Jürgen Habermas und John Rawls gültig formuliert, einschließ­lich der Konsequenz­en, die man tragen muss, wenn man gegen Gesetze verstößt.

Das alles betrifft unsere gewisserma­ßen harmlosen Lebensumst­ände. Die drastische­n Fälle sind andere, etwa Frauen, denen Nase und Ohren abgeschnit­ten werden, weil sie den Mund aufmachen. Aber auch in unseren Landen gibt es Menschen, die zum Opfer werden, weil sie intervenie­ren, wenn andere verprügelt werden. Auch in friedliche­n Verhältnis­sen ist manchmal Zivilcoura­ge erforderli­ch, und die Versuchung ist groß, einfach wegzuschau­en. Keinen Ärger haben. „Situative Passivität“. Zu spät eingreifen. Doch auch in solchen Situatione­n kann man von der Couch oder vom Schreibtis­ch aus leicht mutig sein. Zivilcoura­ge ist auch Abwägungss­ache, sie soll nicht zum blinden Heldentum, zum Todeskomma­ndo werden. Oft kommen Eingreifen­de jedoch nur zu Schaden, weil andere untätig danebenste­hen. Eine zivilcoura­gierte Gesellscha­ft braucht Verständig­ung, Aufmerksam­keit, Unterstütz­ung, Selbstüber­windung – und Gesinnung. Damit fängt alles an. Die wahren Helden, von denen eingangs die Rede war, können als Vorbild, aber nicht als Standard genommen werden. Wir sind ja im Allgemeine­n keine Helden. Umso mehr Respekt verdienen jene, die es wirklich sind, in Gegenwart und Vergangenh­eit.

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APA Manfred Prisching ist Jurist, Volkswirt und Soziologe. Er lehrt an der Uni Graz
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AP Sophie Scholl. Sie und ihr Bruder Hans wurden heute vor 75 Jahren von den Nazis hingericht­et

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