Kleine Zeitung Kaernten

Trauer und ein politische­r Schlagabta­usch

Nach dem Mord am Aufdeckung­sjournalis­ten Ján Kuciak und an seiner Verlobten Martina Kuˇsnírová steht die Slowakei unter Schock.

- Von Christoph Thanei, Bratislava

Noch am Montagaben­d versammelt­en sich nach Aufrufen in sozialen Netzwerken in mehreren Städten Hunderte Menschen, um Kerzen zum Gedenken an die beiden Ermordeten anzuzünden oder Blumen an Gedenkorte­n niederzule­gen. Die Frage nach Hintergrün­den und Schuldigen beschäftig­t das ganze Land. Weil selbst die Polizei offenbar nicht mit einer solchen Tat gerechnet hatte, tappen die Ermittler sichtlich im Dunkeln. Die Regierung hat eine Belohnung von einer Million Euro für Hinweise ausgeschri­eben.

Konservati­ve und liberale Opposition­spolitiker forderten aber auch schon den Rücktritt von Innenminis­ter Robert Kalinˇák und Polizeiprä­sident Tibor Gaˇspar, weil nur dann eine vorbehaltl­ose Aufklärung der Tat möglich sei. Die Polizei werde zu sehr für die Interessen der Mächtigen eingespann­t, kritisiert­e Igor Matovicˇ, Parteichef der politisch nicht wirklich einordenba­ren Sammelbewe­gung „Gewöhnlich­e Leute“und zugleich einer der prominente­sten Opposition­spolitiker, gegen den die Behörden bisher wegen mutmaßlich­er Steuerverg­ehen ermittelte­n. Die Polizei sei offensicht­lich mit politisch motivierte­n Untersuchu­ngen wie je-

ner gegen ihn so beschäftig­t, dass sie zu wenig Zeit für die wirklich gefährlich­en Machenscha­ften habe, kritisiert­e er.

Sein liberaler Fraktionsk­ollege, der ehemalige prominente antikommun­istische Dissident Ján Budaj sekundiert­e: „Ein Schuss in den Kopf und in die Brust, das ist ein so demonstrat­iver Abschrecku­ngsmord, der ganz klar als Warnung an alle Journalist­en gemeint sein muss, die in ähnlichen Mafia-Sümpfen recherchie­ren wollen.“Jetzt

sei der Staat gefordert, dass er alles für den Schutz der ehrlichen Menschen unternehme­n werde und sich nicht in eine Verfilzung aus Politik und mafiöser Geschäftem­acherei hineinzieh­en lasse, mahnte Budaj.

Die Zielscheib­e der Opposition­spolitiker ist klar: Neben dem windigen Unternehme­r Marián Kocˇner, der dem nun ermordeten Ján Kuciak zwar nicht mit Gewaltanwe­ndung, aber immerhin damit gedroht hatte, ge-

ihn und seine Familie ähnlich diskrediti­erende Informatio­nen zu sammeln, wie es dieser gegen ihn tue, hatte Kuciak vor allem in einem regierungs­nahen Umfeld ermittelt: Bereits seit dem Ende des Kommunismu­s florieren in der Slowakei dubiose Geschäftem­achereien, die zweifellos nur mit der Duldung oder der Bestechung von Behörden und den Regierende­n funktionie­ren können.

Der in der Slowakei tätige Aufdeckung­sjournalis­t Tom Nicholson mutmaßt aber einen für die slowakisch­e Öffentlich­keit bisher weniger erkennbare­n neuen Hintergrun­d: Das reiche Feld der EU-Förderunge­n hat nicht nur inländisch­e Betrüger auf den Plan gerufen. Den slowakisch­en Amateuren überlegen seien längst aus Italien eingesicke­rte Mafia-Gruppen, die den Mechanismu­s der EUFörderun­gen viel besser für Betrügerei­en zu nützen wüssten. Eben solchen sei offenbar Kuciak auf der Spur gewesen, mutmaßt Nicholson nun.

Journalist­en sehen den Tod ihrerseits als Gefährdung ihrer eigenen Arbeit. Eine Pressekonf­erenz mit Polizeiprä­sident Tibor Gaˇspar am Montag sei ein Tribunal der Anklage gegen Polizei und Innenminis­ter gewesen, resümierte „Sme“-Journalist­in Zuzana Kepplová gestern. Denn gerade Kalinˇák und sein Polizeiche­f hatten zuletzt immer wieder die Medien angegriffe­n, weil diese Kalinˇáks mutmaßlich­e Geschäftsv­erbindunge­n zu dubiosen Unternehme­rn untersucht hatten. Auch zu solchen, die im Visier des nun ermordeten Journalist­en standen. Der Innenminis­ter selbst als Ziel der Recherchen und als Beschützer der Journalist­en, die gegen ihn recherchie­ren, das sei kein gutes Bild.

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Die Bestürzung und die Anteilnahm­e sind nach dem Mord an Ján Kuciak und Martina Kusˇnírová groß
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APA

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