Trauer und ein politischer Schlagabtausch
Nach dem Mord am Aufdeckungsjournalisten Ján Kuciak und an seiner Verlobten Martina Kuˇsnírová steht die Slowakei unter Schock.
Noch am Montagabend versammelten sich nach Aufrufen in sozialen Netzwerken in mehreren Städten Hunderte Menschen, um Kerzen zum Gedenken an die beiden Ermordeten anzuzünden oder Blumen an Gedenkorten niederzulegen. Die Frage nach Hintergründen und Schuldigen beschäftigt das ganze Land. Weil selbst die Polizei offenbar nicht mit einer solchen Tat gerechnet hatte, tappen die Ermittler sichtlich im Dunkeln. Die Regierung hat eine Belohnung von einer Million Euro für Hinweise ausgeschrieben.
Konservative und liberale Oppositionspolitiker forderten aber auch schon den Rücktritt von Innenminister Robert Kalinˇák und Polizeipräsident Tibor Gaˇspar, weil nur dann eine vorbehaltlose Aufklärung der Tat möglich sei. Die Polizei werde zu sehr für die Interessen der Mächtigen eingespannt, kritisierte Igor Matovicˇ, Parteichef der politisch nicht wirklich einordenbaren Sammelbewegung „Gewöhnliche Leute“und zugleich einer der prominentesten Oppositionspolitiker, gegen den die Behörden bisher wegen mutmaßlicher Steuervergehen ermittelten. Die Polizei sei offensichtlich mit politisch motivierten Untersuchungen wie je-
ner gegen ihn so beschäftigt, dass sie zu wenig Zeit für die wirklich gefährlichen Machenschaften habe, kritisierte er.
Sein liberaler Fraktionskollege, der ehemalige prominente antikommunistische Dissident Ján Budaj sekundierte: „Ein Schuss in den Kopf und in die Brust, das ist ein so demonstrativer Abschreckungsmord, der ganz klar als Warnung an alle Journalisten gemeint sein muss, die in ähnlichen Mafia-Sümpfen recherchieren wollen.“Jetzt
sei der Staat gefordert, dass er alles für den Schutz der ehrlichen Menschen unternehmen werde und sich nicht in eine Verfilzung aus Politik und mafiöser Geschäftemacherei hineinziehen lasse, mahnte Budaj.
Die Zielscheibe der Oppositionspolitiker ist klar: Neben dem windigen Unternehmer Marián Kocˇner, der dem nun ermordeten Ján Kuciak zwar nicht mit Gewaltanwendung, aber immerhin damit gedroht hatte, ge-
ihn und seine Familie ähnlich diskreditierende Informationen zu sammeln, wie es dieser gegen ihn tue, hatte Kuciak vor allem in einem regierungsnahen Umfeld ermittelt: Bereits seit dem Ende des Kommunismus florieren in der Slowakei dubiose Geschäftemachereien, die zweifellos nur mit der Duldung oder der Bestechung von Behörden und den Regierenden funktionieren können.
Der in der Slowakei tätige Aufdeckungsjournalist Tom Nicholson mutmaßt aber einen für die slowakische Öffentlichkeit bisher weniger erkennbaren neuen Hintergrund: Das reiche Feld der EU-Förderungen hat nicht nur inländische Betrüger auf den Plan gerufen. Den slowakischen Amateuren überlegen seien längst aus Italien eingesickerte Mafia-Gruppen, die den Mechanismus der EUFörderungen viel besser für Betrügereien zu nützen wüssten. Eben solchen sei offenbar Kuciak auf der Spur gewesen, mutmaßt Nicholson nun.
Journalisten sehen den Tod ihrerseits als Gefährdung ihrer eigenen Arbeit. Eine Pressekonferenz mit Polizeipräsident Tibor Gaˇspar am Montag sei ein Tribunal der Anklage gegen Polizei und Innenminister gewesen, resümierte „Sme“-Journalistin Zuzana Kepplová gestern. Denn gerade Kalinˇák und sein Polizeichef hatten zuletzt immer wieder die Medien angegriffen, weil diese Kalinˇáks mutmaßliche Geschäftsverbindungen zu dubiosen Unternehmern untersucht hatten. Auch zu solchen, die im Visier des nun ermordeten Journalisten standen. Der Innenminister selbst als Ziel der Recherchen und als Beschützer der Journalisten, die gegen ihn recherchieren, das sei kein gutes Bild.