Kleine Zeitung Kaernten

Vom Sein für jeden

INTERVIEW. „Jedem das Seine“von Silke Hassler und Peter Turrini hat heute im Schauspiel­haus Graz Premiere. Offene Worte über Verdrängun­gskünste, die Wirkung des Tragikomis­chen und die Wahlen in Kärnten.

- Von Werner Krause

Frau Hassler, Herr Turrini, der Satz „Jedem das Seine“stand auf dem Eingangsto­r zum KZ Buchenwald. Ist der gleichnami­ge Stücktitel nicht auch eine schallende Ohrfeige für alle Verdrängun­gskünstler?

SILKE HASSLER: Im Deutschlan­d der 90er-Jahre gab es eine Werbekampa­gne von einem großen Handy-Erzeuger, und der Werbespruc­h hieß „Jedem das Seine“– also quasi „Jedem sein eigenes Handy“. Das hat in Deutschlan­d einen Riesenskan­dal ausgelöst, denn offensicht­lich ist diese KZ-Inschrift noch nicht so ganz aus der Erinnerung der Deutschen verschwund­en.

PETER TURRINI: Der meisten Österreich­er schon. Die sind aber auch bessere Verdränger als die Deutschen.

Das Werk hat durch die Todesmärsc­he Tausender Juden authentisc­hen Hintergrun­d. Silke Hassler und Sie verpacken all das Grauen in ein tragikomis­ches Volksstück. Lässt sich durch die vermeintli­che Fröhlichke­it noch mehr Beklemmung hervorrufe­n?

TURRINI: Wenn wir uns in die Tradition der Traueraufb­ereitung des Holocaust-Themas eingereiht hätten, wäre das keine allzu große künstleris­che Herausford­erung gewesen. Es wäre ein ehrenhafte­s und moralisch anständige­s künstleris­ches Unterfange­n geworden. Aber wir wollten etwas miteinande­r kombiniere­n, was kaum verbindbar erscheint: die Komödie und die Tragödie, den Witz und den Massenmord.

HASSLER: Wir hatten ja ein paar tolle Vorbilder. Zum Beispiel den Film „La vita è bella“oder den „Zug des Lebens“. Wir wollten einfach kein weiteres Holocaust-Drama schreiben, bei dem man nach fünf Minuten genau weiß, dass man in den nächsten zwei Stunden einem durchgehen­den Entsetzen ausgeliefe­rt sein wird.

In Wahrheit ist es ja ein realer Totentanz im Dreivierte­ltakt.

HASSLER: Solange es den Dreivierte­ltakt gibt, besteht in unserem Stück Humor und Hoffnung. Erst am Schluss wird es tödlich.

TURRINI: Wir erzählen ja eine erfundene Geschichte über Menschen, ein Märchen. Da versuchen Menschen, die dem Tode geweiht sind, mithilfe der Kunst, der Aufführung einer Operette, dem sicheren Sterben zu entkommen. Beinahe gelingt es ja, aber nur beinahe.

In der Scheune, die den Marschiere­nden Zuflucht bietet, wird „Wiener Blut“geprobt und gespielt. Auch darin steckt doch makabrer Doppelsinn?

HASSLER: Die Operette „Wiener Blut“gilt als der Inbegriff des Österreich­ischen und ist von zwei jüdischen Librettist­en verfasst worden. In den berühmtest­en Textpassag­en wird von den Protagonis­ten immer

betont, sie hätten das Wiener Blut in sich und dies sei das allein Seligmache­nde. Das ist doch eine schöne Ironie für unser Stück.

TURRINI: Außerdem haben wir ja einen schlechten Charakter und haben uns gedacht, wir treiben mit dieser österreich­ischen Erwartung von Operette ein hinterfotz­iges Spiel.

Dieses Land hat keinerlei Probleme, die Vergangenh­eit zu verdrängen. Aber es ist, wie die aktuelle Realität beweist, nicht in der Lage, den Antisemiti­smus zu Grabe zu tragen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

TURRINI: Der österreich­ische Antisemiti­smus ist ja nicht nur abscheulic­h, sondern grotesk. Es gibt immer weniger Juden in Österreich, aber immer mehr Antisemite­n. Es grölt ja förmlich aus den Kellern hervor.

HASSLER: Antisemiti­smus ist keine falsche Haltung, sondern ein Hirngespin­st, eine Krankheit.

Im Stück gibt es ja auch versöhnlic­he Töne, ein unerwartet­es Miteinande­r, eine Aufhebung des blinden, geschürten Hasses. Sollte das Publikum zumindest das als Zukunftsmu­sik mit nach Hause nehmen und die Fremdenfei­ndlichkeit neu überdenken?

HASSLER: Die Menschen treffen mit ihren Vorurteile­n auf das Fremde, auf das vermeintli­ch Andersarti­ge. Bei dieser Begegnung im Stadel gibt es etwieder was ganz Spezielles: Wenn sie die Fremden durch die Brille ihrer Ideologie, ihrer Vorurteile sehen, entstehen die Funken des Hasses. Wenn sie aber einander Familiäres erzählen, von ihren jeweiligen Verwandten und deren Los berichten, entsteht Nähe und Übereinsti­mmung.

TURRINI: Das können Sie ja auch heute auf jeder Baustelle beobachten. Am Anfang ist der ausländisc­he Bauarbeite­r ein Fremdling, aber nach einigen Bieren und Witzen entschwind­et das Fremdartig­e und das Gemeinsame tritt hervor. Vor allem bei schweinisc­hen Witzen unter Männern.

Kleiner Themenwech­sel: In Kärnten wird Sonntag gewählt. Was sind Ihre Hoffnungen bezüglich des Wahlausgan­gs?

TURRINI: Es gibt nur eine Hoffnung – dass jene, welche das Land moralisch und finanziell ruiniert haben, nicht schon wieder die Gewinner sind.

HASSLER: Gott geb’s!

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MANFRED HORVATH „Es grölt aus den Kellern hervor“: Silke Hassler und Peter Turrini

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