Die Slowaken stehen weiter unter Schock
Zehntausende Menschen gehen zwei Wochen nach dem Mord an einem Journalisten gegen die Regierung auf die Straße. Die Tat hinterlässt ein gespaltenes Land.
Die Menschen in der Slowakei sind zwei Wochen nach einem Journalistenmord weiter unter Schock und tragen ihren Protest gegen die Regierung in die Öffentlichkeit – auch wenn sich am Samstag die Lage im Land etwas beruhigte. Am Freitagabend noch waren Zehntausende Slowaken in Bratislava und in mehreren Städten des In- und Auslandes gegen ihre Regierung und „für eine anständige Slowakei“auf die Straße gegangen. Die Demonstranten trugen Transparente mit Aufschriften wie „Die Slowakei soll kein Mafiastaat werden“und skandierten gegen den sozialdemokratischen Regierungschef Robert Fico „Wir haben genug von Fico!“und „Zurücktreten“oder „Schande!“. Aufgerufen hatten zu den Demonstrationen parteilose Aktivisten, Politiker waren als Redner ausdrücklich unerwünscht. Die
Organisatoren in der Hauptstadt Bratislava sprachen von der größten Demonstration in der Slowakei seit der „Samtenen Revolution“im Wendejahr 1989.
Eine Delegation des EU-Parlaments, die am Donnerstag und Freitag die Slowakei bereiste, zeigte sich nach dem Besuch tief betroffen von der politischen Krise des Landes nach der Ermordung des Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten. „Wir haben ein zutiefst gespaltenes Land vorgefunden, das nahezu traumatisiert ist“, sagte die deutsche KoLeiterin der Delegation Ingeborg Gräßle, die auch Vorsitzende des EU-Haushaltskontrollausschusses ist.
Sie habe vor allem einen großen Vertrauensverlust von Journalisten und Öffentlichkeit gegenüber den Staatsorganen festgestellt, sagte die Christdemokratin Gräßle. Der EU-Kommission wolle sie empfehlen, Agrarförderprogramme nochmals zu überprüfen. Die Delegation hatte sich neben den wichtigsten Spitzenpolitikern des Landes auch mit Journalisten und Vertretern von Agrarinstitutionen und anderen Förderungsempfängern sowie NGOAktivisten getroffen.
Journalist und seine Verlobte Martina Kuˇsnírová waren am Abend des 25. Februar in ihrem Haus im westslowakischen Dorf Vel’ká Macˇa tot aufgefunden worden. Sie waren nach Polizeiangaben etwa drei Tage zuvor durch Schüsse in Kopf und Brust getötet worden. Kuciak hatte über die Verfilzung von Politik und Geschäftemacherei recherchiert. In seiner Untersuchung der sogenannten Panama-Papers war er auf mögliche Verbindungen italienischer Mafia-Clans zu slowakischen Politikern und Regierungsmitarbeitern gestoßen. Seine unvollendete letzte Reportage dazu wurde nach seinem Tod in Medien veröffentlicht. Nach Kuciaks Recherchen soll das kriminelle Netzwerk auch durch den Missbrauch von EU-Förderungen reich geworden sein.
Protest der Straße gegen Premierminister Robert Fico
Gräßle erklärte, dass sie sich trotz mancher Bedenken darauf verlasse, dass die slowakische Polizei und die Justiz alles daran setzen würden, die Bluttat mit Unterstützung von Europol aufzuklären. Zweifel äußerte sie unter anderem daran, dass der sozialdemokratische Innenminister Robert Kalinˇák noch in
seinem Amt sei, da auch er selbst mit einem Korruptionsverdacht belastet sei. Unverständnis äußerte die EU-Delegationsleiterin darüber, dass offenbar sogar im Regierungsamt Personen beschäftigt wurden, die möglicherweise Kontakte zu einem Mafia-Netzwerk hatten.