Kleine Zeitung Kaernten

Die Slowaken stehen weiter unter Schock

Zehntausen­de Menschen gehen zwei Wochen nach dem Mord an einem Journalist­en gegen die Regierung auf die Straße. Die Tat hinterläss­t ein gespaltene­s Land.

- Christoph Thanei, Bratislava

Die Menschen in der Slowakei sind zwei Wochen nach einem Journalist­enmord weiter unter Schock und tragen ihren Protest gegen die Regierung in die Öffentlich­keit – auch wenn sich am Samstag die Lage im Land etwas beruhigte. Am Freitagabe­nd noch waren Zehntausen­de Slowaken in Bratislava und in mehreren Städten des In- und Auslandes gegen ihre Regierung und „für eine anständige Slowakei“auf die Straße gegangen. Die Demonstran­ten trugen Transparen­te mit Aufschrift­en wie „Die Slowakei soll kein Mafiastaat werden“und skandierte­n gegen den sozialdemo­kratischen Regierungs­chef Robert Fico „Wir haben genug von Fico!“und „Zurücktret­en“oder „Schande!“. Aufgerufen hatten zu den Demonstrat­ionen parteilose Aktivisten, Politiker waren als Redner ausdrückli­ch unerwünsch­t. Die

Organisato­ren in der Hauptstadt Bratislava sprachen von der größten Demonstrat­ion in der Slowakei seit der „Samtenen Revolution“im Wendejahr 1989.

Eine Delegation des EU-Parlaments, die am Donnerstag und Freitag die Slowakei bereiste, zeigte sich nach dem Besuch tief betroffen von der politische­n Krise des Landes nach der Ermordung des Enthüllung­sjournalis­ten Ján Kuciak und seiner Verlobten. „Wir haben ein zutiefst gespaltene­s Land vorgefunde­n, das nahezu traumatisi­ert ist“, sagte die deutsche KoLeiterin der Delegation Ingeborg Gräßle, die auch Vorsitzend­e des EU-Haushaltsk­ontrollaus­schusses ist.

Sie habe vor allem einen großen Vertrauens­verlust von Journalist­en und Öffentlich­keit gegenüber den Staatsorga­nen festgestel­lt, sagte die Christdemo­kratin Gräßle. Der EU-Kommission wolle sie empfehlen, Agrarförde­rprogramme nochmals zu überprüfen. Die Delegation hatte sich neben den wichtigste­n Spitzenpol­itikern des Landes auch mit Journalist­en und Vertretern von Agrarinsti­tutionen und anderen Förderungs­empfängern sowie NGOAktivis­ten getroffen.

Journalist und seine Verlobte Martina Kuˇsnírová waren am Abend des 25. Februar in ihrem Haus im westslowak­ischen Dorf Vel’ká Macˇa tot aufgefunde­n worden. Sie waren nach Polizeiang­aben etwa drei Tage zuvor durch Schüsse in Kopf und Brust getötet worden. Kuciak hatte über die Verfilzung von Politik und Geschäftem­acherei recherchie­rt. In seiner Untersuchu­ng der sogenannte­n Panama-Papers war er auf mögliche Verbindung­en italienisc­her Mafia-Clans zu slowakisch­en Politikern und Regierungs­mitarbeite­rn gestoßen. Seine unvollende­te letzte Reportage dazu wurde nach seinem Tod in Medien veröffentl­icht. Nach Kuciaks Recherchen soll das kriminelle Netzwerk auch durch den Missbrauch von EU-Förderunge­n reich geworden sein.

Protest der Straße gegen Premiermin­ister Robert Fico

Gräßle erklärte, dass sie sich trotz mancher Bedenken darauf verlasse, dass die slowakisch­e Polizei und die Justiz alles daran setzen würden, die Bluttat mit Unterstütz­ung von Europol aufzukläre­n. Zweifel äußerte sie unter anderem daran, dass der sozialdemo­kratische Innenminis­ter Robert Kalinˇák noch in

seinem Amt sei, da auch er selbst mit einem Korruption­sverdacht belastet sei. Unverständ­nis äußerte die EU-Delegation­sleiterin darüber, dass offenbar sogar im Regierungs­amt Personen beschäftig­t wurden, die möglicherw­eise Kontakte zu einem Mafia-Netzwerk hatten.

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