Magda Albrecht kämpft gegen Schönheitsideale.
Magda Albrecht war ein dickes Kind, das zu einer starken Frau wurde. In ihrem Buch „Fa(t)shionista“macht sie anderen Mut zu sein, wie sie sind, und nicht, wie andere sie haben wollen.
Frau Albrecht, wann haben Sie sich zum ersten Mal gedacht, dass in unserer Gesellschaft im Umgang mit dicken Menschen etwas schiefläuft?
MAGDA ALBRECHT: Schon als Kind und Jugendliche habe ich gespürt, dass der Umgang mit dicken Menschen nicht gerade freundlich ist, aber erst als Erwachsene habe ich verstanden, dass dieser Umgang viel mit Diskriminierung zu tun hat und mit einer sehr ausschließenden und falschen Idee davon, wie ein „gesunder“und „schöner“Körper auszusehen hat.
Wurden Sie von Mitschülern gehänselt?
Viele dicke Kinder kennen Hänseleien, Unsicherheiten und Scham. Die Erwachsenen sind manchmal sogar am Mobbing beteiligt. Das muss sich ändern: Kinder und Jugendliche müssen von Erwachsenen in ihrer körperlichen Selbstbestimmung gestärkt werden und dürfen nicht permanent beschämt werden. Scham führt dazu, dass Kinder sich zurückziehen und ein schlechtes Körperbild entwickeln.
In welchen Bereichen werden dicke Menschen diskriminiert und welche Folgen hat diese Diskriminierung?
In fast allen gesellschaftlichen Bereichen: in der Medizin, im Berufsleben, in der Mode, aber auch im Alltag, zum Beispiel im Schwimmbad oder im Fitnessstudio. Es fängt bei Blicken und abschätzigen Sprüchen an. Viele Menschen finden keine Kleidung in ihrer Größe oder be- kommen einen Job nicht, weil Personalverantwortliche unhinterfragte Stereotype haben. Viele Ärzte raten dicken Menschen, erst einmal abzunehmen, bevor sie eine Diagnose stellen. So werden manche Krankheiten zu spät oder gar nicht erkannt. Die Konsequenzen sind, dass Dicke ständig beschämt werden, manchmal keine adäquate medizinische Behandlung bekommen und Nachteile im Berufsleben haben.
Sie sagen, dass Begriffe wie „dick“oder „fett“nicht diskriminierend sind, empfinden aber die Bezeichnung „übergewichtig“, die in der Medizin verwendet wird, als diskriminierend. Warum?
Dick und fett sind politische Begriffe. Aktivistinnen, die sich für Körpervielfalt einsetzen, verwenden sie selbstbestimmt. „Übergewichtig“hingegen ist ein pathologisierender Begriff, der weder objektiv noch wissenschaftlich ist. Die Kategorie „Übergewicht“wurde von der Weltgesundheitsorganisation Mitte der 1990er-Jahre neu definiert und nach unten korrigiert. So wurden Menschen, die davor als „normalgewichtig“galten, auf einmal zu „Übergewichtigen“umdefiniert. Der Body Mass Index, kurz BMI*, ist auch unter Medizinern umstritten. Das Herabsetzen der Werte des BMI folgte finanziellen und politischen Motiven: Die Unternehmen, die Diätmittelchen verkaufen, haben im Vorfeld der Konferenz, auf der die Werte heruntergesetzt wurden, sehr viel Lobbyarbeit geleistet und davon profitiert.
Trifft dieses Thema Männer gleich stark wie Frauen?
Alle Geschlechter sind angehalten, möglichst alles zu tun, um schlank zu werden oder zu bleiben. Es gibt aber einen spezifischen Druck auf Frauen, da wir mehr über unser Aussehen definiert und bewertet werden.
Ihr Buch heißt „Fa(t)shionista“. Warum haben Sie sich genau für diesen Titel entschieden?
Fatshionista ist ein beliebter Hashtag in den sozialen Medien, den modebewusste Dicke verwenden, um sich sichtbar zu machen. Und um zu sagen: Seht her, dicke Menschen sind modisch und wir haben es verdient, Kleidung in allen Größen und Formen zu haben!
Sie sagen: „Mein Fett ist politisch.“Was meinen Sie damit?
Der Satz stammt aus einem Buch der US-amerikanischen Körperexpertin Virgie Tovar. Er weist darauf hin, dass die Bilder, die Sprache und die Ideen über dicke Menschen nicht neutral oder gar objektiv sind, sondern politisch aufgeladen. Dass viele Menschen Dicke als hässlich oder träge wahrnehmen, entspringt häufig eher der Wahrnehmung als objektiven Tatsachen. Das kann man ändern.
Was ist Ihr Ziel und wo muss man dafür ansetzen?
Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht die Forderung nach körperlicher Selbstbestimmung und einem respektvollen, vorurteilsfreien Umgang aller Menschen. Dafür kann man sich auf allen Ebenen der Gesell-
schaft einsetzen: Man kann kritische Diskussionen anregen. Man muss den BMI kritisieren und im besten Falle abschaffen, weil dieser unwissenschaftlich ist. Wir brauchen eine größere Vielfalt in den Medien – bisher sind fast ausschließlich weiße und schlanke Menschen ohne Behinderungen zu sehen.
Warum ist Ihrer Meinung nach der BMI verzichtbar?
Er ist unwissenschaftlich und kann die Komplexität von Menschen und ihren Leben nicht in einer Formel einfangen. Er kategorisiert Menschen in „normal“und „anormal“und wird fälschlicherweise dafür genutzt, um zwischen „krank“und „gesund“zu unterscheiden.
Wenn es ums Gewicht geht, geht es auch um die Gesundheit. Auch diesem Themenkomplex haben Sie sich gewidmet. Mit welcher Erkenntnis?
Gesundheit ist ein komplexes Thema, weil wir Menschen vielschichtig sind. Wir sind ja nicht nur unser Gewicht, sondern uns macht vieles aus: Geschlecht, soziale Herkunft, Lebensumstände ... In der Stressforschung wird zum Beispiel gefragt: Ist es wirklich der dicke Körper, der Krankheiten verursacht, oder sind es nicht vielmehr die Lebensumstände, die eben auch durch Diskriminierung geprägt sind, die bestimmte Krankheiten bei Dicken begünstigen? Durch Diskriminierung kann Stress entstehen, und dieser ist zum Beispiel ein Faktor für Diabetes.