Kleine Zeitung Kaernten

MURER – ANATOMIE EINES PROZESSES Christian Frosch seziert in seinem atemberaub­enden Gerichtsth­riller „Murer“die Umstände, die 1963 in Graz zum Freispruch eines Nazi-Schergen führten.

- Von Ute Baumhackl

Die Farbe der Uniform will der Verteidige­r des „Schlächter­s von Wilna“wissen: Welche Farbe hatte sie? Die müsse man als angebliche­s Opfer, als Überlebend­er des Wilnaer Judenghett­os doch wissen! Gesetzt den Fall, man spräche die Wahrheit! Wieder und wieder hört man den Juristen diese Frage stellen, wieder und wieder hält die Kamera auf die zermartert­en Mienen von Menschen, die in einem Grazer Schwurgeri­chtssaal des Jahres 1963 zwar die Grausamkei­ten und Erniedrigu­ngen bezeugen können, die ihnen der NaziScherg­e Franz Murer angetan hat. Aber welche Farbe die Uniform ihres Peinigers vor mehr als 20 Jahren hatte, wissen sie nicht mehr. Grün, sagen die einen. Hellbraun, dunkelbrau­n, schwarz die anderen.

Die Frage nach der Uniformfar­be, sie wird in Christian Froschs Film „Murer – Anatomie eines Prozesses“zum Sinnbild der Manipulati­on, mit der in dem Skandalver­fahren die Opfer so lange zu Schuldigen entstellt wurden, bis sich ein als biederer Bauernfunk­tionär schöngemal­ter Mörder des NSRegimes bequem freisprech­en ließ – unter dem Jubel des Publikums.

Anhand der Prozessakt­en rekonstrui­erte Frosch für seinen außerorden­tlichen Film den Verhandlun­gsverlauf, setzt in langen, eindringli­chen Einstellun­gen aus dem Gerichtssa­al ein Mosaik der Gemeinheit zusammen und zeichnet die politische­n Deals nach, die das Skandalurt­eil nicht nur möglich gemacht, sondern aktiv herbeigefü­hrt haben. Die Erzählung aus konsequent analytisch­er Distanz erweist sich dabei als ideale Form für ein so kritisches wie präzises Psychogram­m der österreich­ischen Nachkriegs­gesellscha­ft. Stützen kann sich Frosch dabei auf ein fantastisc­hes Ensemble, angeführt von Karl Fischer in der Rolle des Angeklagte­n. Unbedingt sehenswert.

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