Kleine Zeitung Kaernten

Die verzweifel­te Suche nach Nachwuchs

REPORTAGE. Es war selten einfacher, Polizist zu werden. Dennoch scheitern viele am Auswahlver­fahren. Das soll nun erleichter­t werden.

- Von Christina Traar

Insgesamt 17 Mal drückt Martina Hörhann ab. In weniger als einer Minute leert sie das Magazin ihrer Glock-17-Pistole, bevor sie diese zurück in das Waffenhols­ter an ihrem Gürtel steckt. Seit eineinhalb Jahren kennt Hörhann den Keller im dritten Wiener Gemeindebe­zirk, in dem sie an diesem Tag auf ein Blatt Papier schießt – so lange dauert die Ausbildung schon. Die 38-Jährige ist eine von 2600 Schülerinn­en und Schülern, die in den elf Bildungsze­ntren der Sicherheit­sakademie (SIAK) für den Polizeiber­uf ausgebilde­t werden.

Doch das Land braucht mehr – viel mehr. Im Herbst hatte die Generaldir­ektorin für die öffentlich­e Sicherheit, Michaela Kardeis, Alarm geschlagen: In den kommenden Jahren wird ein Drittel der 29.000 Polizisten im Land in Pension gehen. Politische Maßnahmen aus der Vergangenh­eit haben das Nachwuchsp­roblem der Exekutive zusätzlich verstärkt. Unter der

ersten wurde schwarz-blauen 2014 die musste Johanna Polizei unter ausgedünnt, Regierung MiklLeitne­r Innenminis­terin zusperren. jeder sechste Seit Polizeipos­ten damals warnt auch die Gewerkscha­ft vor einer Pensionier­ungswelle. „Aber jede Regierung der letzten Jahre hat das Problem ignoriert“, schimpft Hermann Greylinger, stellvertr­etender Vorsitzend­er der Polizeigew­erkschaft. Nun sei es nicht fünf vor, sondern nach zwölf. Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) will handeln, sagt er, und verspricht 4100 neue Beamte.

Doch wer meint, dass die zusätzlich­en schon kurz nach Uniformier­ten Beschluss auf Österreich­s Straßen patrouilli­eren werden, der irrt. Zwei Jahre dauert die Ausbildung, die Hörhann und ihre Kollegen absolviere­n. Im ersten Jahr wird theoretisc­hes Wissen vermittelt, die angehenden Polizisten lernen Nahkampf, Schießen und das Strafgeset­zbuch ken- nen. Danach arbeiten sie drei Monate in einer Polizeiins­pektion mit, gehen auf Streife und schreiben Strafzette­l. In Wien darf man Präferenze­n für einen Bezirk angeben, besonders beliebt sind Favoriten und Rudolfshei­m-Fünfhaus. „Dort ist immer was los“, sagt der 26-jährige Polizeisch­üler Daniel Koch, den vor allem der Außendiens­t am Beruf reizt. In die Innenstadt wollen hingegen die wenigsten, dank langer Fußmärsche und Touristen, die nach dem Weg fragen. Die Ausbildung kostet pro Kopf rund 30.000 Euro. Am Ende legen die Schüler die Dienstprüf­ung ab und werden einer Dienststel­le zugewiesen. Dort genießen sie noch ungefähr ein Jahr „Welpenschu­tz“, bevor sie allein agieren. Von der Bewerbung zum fertigen Polizisten vergehen also in vielen Fällen vier Jahre.

Bei ebendieser Bewerbung steht die Polizei vor ihrem nächsten Problem. Noch bevor die Ausbildung begonnen werden kann, müssen Bewerber ein Auswahlver­fahren absolviere­n – an dem viele scheitern. So mancher kann die erforderli­chen Sportnachw­eise nicht erbringen, ein Drittel scheitert am Deutschtes­t. Letzteres ist ein größeres Problem, als man annehmen würde – Polizeiber­ichte müssen vor Gericht halten. Wer diese nicht ordentlich verfassen kann, wird vom Verteidige­r des Angeklagte­n zerpflückt.

Auch beim Auswahlver­fahren kündigt Innenminis­ter Kickl deshalb Erleichter­ungen an. In Zukunft könnten auch jene mit sichtbaren Tätowierun­gen zugelassen werden, ein vergeigter Sporttest könnte schon nach sechs statt zwölf Monaten wiederholt werden. Doch solche

Erleichter­ungen kommen nicht überall gut an. Ein langjährig­er Mitarbeite­r der Sicherheit­sakademie, der anonym bleiben will, beklagt: „Je größer die Verzweiflu­ng bei der Aufnahme, desto geringer ist die Qualität der Bewerber.“„Früher musste man beim Aufnahmete­st 800 von 1000 Punkten erreichen. Heute kommen sie oft schon mit weniger als 300 durch.“Zudem seien viele dabei, die die Ausbildung abbrechen oder gleich in ein Ministeriu­m wechseln. „In den Inspektion­en kommen diese Leute nicht an.“

Es wäre zudem nicht die erste Lockerung. Bereits vor einigen Jahren fielen Alters- und Größenbesc­hränkungen. Heute werden auch Bewerber mit 1,60 Meter Körpergröß­e oder mehr als 50 Lebensjahr­en genommen. „Mit diesen Polizisten haben Kollegen die doppelte Arbeit, sagt der Polizeimit­arbeiter. „Die sind nicht überall einsetzbar.“Früher durften Polizeianw­ärter nicht älter als 30 Jahre und nicht kleiner als 1,68 (Männer) und 1,63 (Frauen) sein.

Dass die Qualität der Schüler abnimmt, bestreitet der stellvertr­etende Direktor der SIAK, Thomas Schlesinge­r. „Natürlich waren wir verwöhnt, als es noch weniger Aufnahmen gab“, sagt er. Aber man müsse auf die Pensionier­ungen reagieren. Kickls Aufnahmeof­fensive stelle die SIAK aber vor eine gewaltige Aufgabe. „Früher haben wir 1700 Bewerber jährlich ausgebilde­t, heute sind es 2500 – deshalb müssen wir massiv ausbauen.“An Bewerbern fehle es nicht, pro Jahr melden sich 6500.

Auch Martina Hörhann will Polizistin werden. 20 Jahre hat sie in der Gastronomi­e gearbeitet. „Ich kann also mit jeder Art Mensch umgehen“, erzählt sie im „Schießkana­l“, nachdem sie das Magazin ihrer Waffe geleert hat. Auch sie spricht sich gegen eine vereinfach­te Aufnahme aus. „Wer zur Polizei will, weiß, was auf ihn zukommt.“

 ??  ??
 ??  ?? Die Schüler Daniel Koch und Martina Hörhann sprechen sich gegen erleichter­te Aufnahmebe­dingungen für Polizisten aus
Die Schüler Daniel Koch und Martina Hörhann sprechen sich gegen erleichter­te Aufnahmebe­dingungen für Polizisten aus
 ??  ?? Schlesinge­r (SIAK): „Wir waren verwöhnt“
Schlesinge­r (SIAK): „Wir waren verwöhnt“
 ?? TRAAR (3) ?? Im „Schießkana­l“üben die Schüler den Umgang mit der Waffe. Zwei Jahre dauert ihre Ausbildung
TRAAR (3) Im „Schießkana­l“üben die Schüler den Umgang mit der Waffe. Zwei Jahre dauert ihre Ausbildung

Newspapers in German

Newspapers from Austria