Kleine Zeitung Kaernten

Der sanfte Protest am Klavier

In der Provinzsta­dt Uglitsch an der Wolga gibt es so gut wie keinen Wahlkampf. Aber der politische Alltag ist offener und duldsamer als in Moskau. Präsident Putin ist beliebt, aber nicht mehr unumstritt­en.

- Stefan Scholl aus Moskau

Die 15-jährige Xenia Cholmowska­ja singt mit Bruststimm­e ein Volkslied. Larissa, Xenias Tante und Lehrerin, begleitet sie auf dem Klavier. Das Holzparket­t in der Musikschul­e haben die Jahre dunkel gefärbt, an blassen Blümchenta­peten hängen alte Stiche: Mozart, Tschaikows­ki, Bach.

Nur der Nawalny-Aufkleber auf Larissas Handtasche zeigt, dass die Sowjetzeit Vergangenh­eit ist. Die Klavierleh­rerin gehört zu den seltenen Opposition­ellen in der Stadt Uglitsch. Xenia, erzählt sie, sei Aktivistin in einem durchaus regimetreu­en Jugendklub. Die Nichte aber lacht. Im Russisch-Unterricht hätten sie einen Aufsatz geschriebe­n: Welchen Präsidents­chaftskand­idaten würdest du wählen? „Zwei Mädchen haben über Xenia Sobtschak geschriebe­n, ich über Alexei Nawalny.“Sobtschak gilt als krasse, prowestlic­he Außenseite­rin, der Korruption­sbekämpfer Nawalny wurde erst gar nicht zugelassen. Es störte weder Xenia noch ihren Lehrer: „Ich habe ein Sehr gut bekommen“, freut sie sich.

Am 18. März wählt Russland seinen Präsidente­n, Wladimir Putins Sieg gilt als sicher. Trotzdem fliegen bei den TV-Debatten zwischen dem nationalpo­pulistisch­en Kandidaten Wladimir Schirinows­ki und Sobtschak Schimpfwör­ter und Wasserbech­er. Amtsinhabe­r Putin, der die TV-Duelle den Herausford­erern überlässt, ver-

spricht eine Verdoppelu­ng des Bruttoinla­ndsprodukt­s und atomgetrie­bene Raketen. In einem Dorf im Ural drohte eine Lehrerin einer 13-Jährigen mit Gefängnis, weil sie bei einem Malwettbew­erb statt Putin den kommunisti­schen Kandidaten Pawel Grudinin porträtier­t hat.

In Uglitsch an der oberen Wolga, drei Autostunde­n nordöstlic­h von Moskau, aber lodert kein Wahlkampf bei 21 Grad Frost. Die Passanten auf dem leeren Uspensker Platz am Flussufer eilen als vereinzelt­e Punkte durch das weiße Nichts. Nur über der Jaroslawsk­er Chaussee hängt ein einsames Schirinows­ki-Plakat. In den verschneit­en Gärten am Stadtrand hat jemand seinen Schuppen mit der blau leuchtende­n Folie eines alten Wahlplakat­s der Staatspart­ei „Einiges Russland“(ER) verkleidet.

Die Uglitscher reden durchaus über Politik. Im „Familienfr­iseursalon Andersen“lackiert Chefin Swetlana Grosnowa der Zahnärztin Tatjana die Fingernäge­l. „Ich wähle Putin. Er ist der mit Abstand vernünftig­ste Kandidat“, sagt Tatjana. Grudinin? „Auch nicht schlecht“, Tatjana grinst, „aber den kenne ich zu wenig.“Swetlana hält es ebenfalls mit Putin. „Ich will nicht, dass das Chaos der 90erJahre zurückkehr­t. In Uglitsch gab es in Lebensmitt­elgeschäft­en nur mehr Meerkohl.“

Swetlana hat in Moskau Weinbau studiert, lernt eifrig Deutsch, konsumiert außer dem Staatsfern­sehen auch das Internetpo­rtal „Spiegel Online“. Eine Familie mit drei Kindern benötige in Uglitsch 150.000 Rubel (rund 2100 Euro) für ein gutes Leben, sagt sie. Offiziell liegt das Durchschni­ttseinkomm­en in der Region Jaroslawl bei 500

Alexei Fedurjow, ExStadtarc­hitekt und Vizesekret­är des Rajonkomit­ees der kommunisti­schen Partei, beziffert die Löhne auf nur 100 bis 300 Euro. Fedurjow sagt, er kenne jeden Uglitscher mit Vornamen.

Im Sommer beleben Hunderttau­sende Touristen die 32.000Einwohn­er-Stadt, überwiegen­d Passagiere der Wolga-Dampfer. Aber die Wolga ist zugefroren. Die Uhrenfabri­k, in denen zu Sowjetzeit­en mehr als 10.000 Menschen arbeiteten, ging vor zwölf Jahren Bankrott. Andrei, Inhaber eines Autoersatz­teilegesch­äfts, bestätigt: Die Behör-

den würden sie in Ruhe lassen. „Die sind froh über jeden Kleinbetri­eb, der sich über Wasser hält.“Ein Unternehme­r aus Moskau dagegen schimpft auf die örtlichen Beamten. „Wenn du eine Million in eine neue Produktion investiers­t, denken sie, du hast noch eine Million, die sie dir abknüpfen wollen.“

Die Wolgastadt ist 1081 Jahre alt, mehr als ein Jahrhunder­t älter als Moskau. Schon Alexandre Dumas schwärmte, Uglitsch sei ein „Wald aus Kirchtürme­n“. Aber die Stadt blüht nicht mehr, der Schnee verbirgt die SchlaglöEu­ro.

ihr cher Swetlana Fehler korrigiere­n. auf Ältesten lesen, abzukühlen.“die die Fall, der um Familie, Barrikaden innerhalb gebe seinen dass hofft, Nebenstraß­en Das ich Und sie ihre man Maximalism­us Wichtigste Remarque wolle des gehen. drei Larissa könne Systems auf Buben kaum. „Dem keinen die ergänzt: sei zu sich, Haus eine Überlebens­kampf um Wohnung zu „Die Geld bauen, Männer zu den zu verdienen, sei bezahlen.“Kredit zerreißen für viele ein für längst schweigt, Larissa erzählt, Alltag. aber das alle „Das Volk Pädagogen denkt.“Volk der Jahresende Musikschul­e 60.000 Rubel hätten extra am bekommen, Wahlgesche­nk das aus. sähe sehr Aber nach im Gegensatz zu Nawalny ist Larissa gegen einen Wahlboykot­t. „Nicht hingehen bedeutet nur mehr Prozente für Putin.“

In hängen vielen keine Direktoren­zimmern Putin-Porträts, eine Schulleite­rin schwärmt von den armen, aber freien 90er-Jahren, da hätte der Staat die Schulen weniger bevormunde­t. Sie habe sich noch nicht entschiede­n, für wenn sie stimmen werde. Ihre Kollegin, ERMitglied, lacht: „Ich weiß es auch noch nicht, aber auf keinen Fall Putin.“Der sei einfach lange genug Präsident gewesen.

In Uglitsch redet man gern und viel, aber man überschrei­t einander nicht. Man bespritzt seine Opponenten nicht mit Chemikalie­n, und man hat keine Angst vor fremden Journalist­en, die in der Hauptstadt längst als Fake-Agenten des feindliche­n Auslands gehandelt werden. Es mag auch daran liegen,

dass Geld Uglitsch man zu verteilen sind nur wenig politische hat, Macht aber Duldsamkei­t und in alltäglich. und Offenheit Diese Alltäglich­keit erstaunlic­h gibt es auch in Tausenden anderen Kleinstädt­en, aber die Repressali­en und Skandale in Moskau und den Metropolen haben sie längst überdeckt.

Aherrscht Landkarten, einem Wappen eine uch sowjetisch Kalender der spartanisc­he russische Am das Partei. weiße Parkett Versammlun­gstisch und aus, Fahne, Kein Bären sieht Sachlichke­it: auf darüber im PutinPortr­ät. noch zwei dem EREmpfangs­büro auf der keine Wahlkampf statt, der Vorsitzend­e Partei in sagt sitzt Putin-Plakate der ist die Woronow. finde Michail stellt. es, ER der möglichst im 19 Warum Bezirksdum­a, der sieht? Fernsehen Woronow, „Aufgabe 20 man Der Abgeordnet­en viel Leute die sinkende im Woronow zum Bezirk. Cholmowska­ja Wählen Zahl Mit plaudert der der zu Opposition­ellen Verbrechen bewegen.“habe über er Er Larissa die erzählt in Jaroslawl Musikschul­e nach die einer Geschichte, mit Protestakt­ion absolviert. NawalnyAkt­ivisten wie ein sich Klavier auf festgenomm­en der setzte Polizeiwac­he und spielte. wurde, an „Die Einstellun­g Leute haben zum eine politische­n sanftere Kampf ergänzt, “, sie sagt habe Woronow. die Stimmung Larissa auf der „Keiner Wache in Russland entspannen möchte wollen. eine blutige Revolution.“Schönheit, Wahrhaftig­keit und Überzeugun­gskraft, hofft sie, werden die Wende bringen.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ?? SCHOLL (4) ?? Michail Woronow, Chef der Bezirksdum­a, im Empfangsbü­ro der Partei „Einiges Russland“
SCHOLL (4) Michail Woronow, Chef der Bezirksdum­a, im Empfangsbü­ro der Partei „Einiges Russland“
 ??  ?? Larissa Cholmowska­ja im Klavierzim­mer
Larissa Cholmowska­ja im Klavierzim­mer
 ??  ?? Alexei Feruljow, stellvertr­etender Parteisekr­etär des Bezirkskom­itees der KPRF in Uglitsch
Alexei Feruljow, stellvertr­etender Parteisekr­etär des Bezirkskom­itees der KPRF in Uglitsch

Newspapers in German

Newspapers from Austria