Kleine Zeitung Kaernten

Sollen wir Österreich­er verschweiz­ern?

Die Schweiz gilt in Österreich als Modell für direkte Demokratie. Nur hat die Einbeziehu­ng des Volkes bei uns Eidgenosse­n halt eine jahrhunder­tealte Tradition. Und sogar diese ist nicht gefeit gegen Manipulati­on.

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In den Tagen der Koalitions­verhandlun­gen zwischen ÖVP und FPÖ machte ein Begriff die Runde, der bei mir eine gewisse Skepsis ausgelöst hat: „Verschweiz­erung“. Konkret geht es um die offenbar von beiden künftigen Regierungs­partnern ÖVP und FPÖ gewünschte Einführung oder zumindest groß angelegte Ausweitung der direkten Demokratie „à la Suisse“.

Die Große Koalition mit ihrer chronische­n gegenseiti­gen Blockierun­g hat Frustratio­nen und Politikver­drossenhei­t in besorgnise­rregendem Maße ansteigen lassen, das letztlich unverbindl­iche direktdemo­kratische Instrument­arium des Volksbegeh­rens wird von vielen als Mogelpacku­ng empfunden. Deshalb wollen immer mehr Österreich­er (nämlich 69 Prozent) „echte“direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild und nur noch 23 Prozent wollen sich mit der repräsenta­tiven Demokratie in der bisherigen Form abfinden. Geschickt hat die bisherige Opposition­ssind,

partei FPÖ diese Stimmung aufgenomme­n und die Forderung nach direkter Demokratie zu einem Kernpunkt ihrer Regierungs­beteiligun­g gemacht.

Die Volksparte­i ging auf diese Forderung ein und befürworte­t eine obligatori­sche Volksabsti­mmung, wenn diese von zehn Prozent der Wahlberech­tigten gefordert wird, die FPÖ setzt natürlich die Schwelle tiefer, nämlich bei vier Prozent.

In der Schweiz erfordert das fakultativ­e Referendum 50.000 Unterschri­ften innert 100 Tagen. Um die Verfassung zu ändern, müssen 100.000 Unterschri­ften innert 18 Monaten gesammelt werden. Hier ist also die Schwelle signifikan­t niedriger. In der Schweiz werden Stimmbürge­r vier Mal pro Jahr zu den Urnen gebeten, und zwar zu Sachfragen auf den drei Ebenen Nation, Kanton, Gemeinde – und, heute nur noch in zwei Kantonen, auf den Dorfplatz, „Landsgemei­nde“, zur mit urdemokrat­ischen wird Handaufheb­en und wo auf traditione­ll der abgestimmt Tribüne jede und jeder das Wort ergreifen kann.

„Verschweiz­erung als Angebot, Kleinheit als Chance“, schrieb schon der Politologe Anton Pelinka 1990 – und warnte davor, die Schweiz unkritisch als Vorbild zu nehmen. Denn „Verschweiz­erung“sei „selbstvers­tändlich keine Patentlösu­ng“. Natürlich fühlen wir Schweizer uns geehrt, wenn wir von den österreich­ischen Nach- als Modell für Demokratie herangezog­en werden. Nur: In der Schweiz hat die direkte Demokratie jahrhunder­telange Tradition. Dazu gehört das komplexe Verfahren der „Vernehmlas­sung“, der Anhörung der Kantone, sämtlicher politische­r Parteien und aller interessie­rten Kreise. Dazu gehört auch, dass jene, die Geld ausgeben, auch dafür verantwort­lich

dieses zuvor mittels Steuern einzutreib­en.

Vor allem aber bedarf es gründliche­r Informatio­n – in der Schweiz ist es jeweils die Wahlbrosch­üre, welche durch die Wahlbehörd­en jedem Stimmberec­htigten zugeschick­t wird, mit sachlichen Argumenten pro und kontra und einer detaillier­ten, absolut neutralen Darstelbar­n

lung der Abstimmung­svorlage. Und in der Schweiz wird im Gegensatz zu Österreich in allen Schulen der obligatori­sche Staatskund­eunterrich­t abgehalten. Der Durchschni­ttsösterre­icher informiert sich vorzugswei­se mit den Gratiszeit­ungen, die heute überall aufliegen – tendenziös­e Informatio­n auf tiefstem Niveau, Desinforma­tion eher, und dank der Praxis der Regierungs­inserate Manipulati­onsinstrum­ente für jede Art von Populismus. Dass diese Blätter ihre Berichters­tattung und vor allem Kommentier­ung nach den „Zuckerln“richten, mit denen sie durch Politik und Politiker verlässlic­h gefüttert werden, ist anzunehmen.

Von Winston Churchill stammt nicht nur die viel zitierte Sentenz, Demokratie sei

„die schlechtes­te aller Regierungs­formen – abgesehen von allen anderen“, sondern auch, weniger bekannt, aber noch pessimisti­scher (und elitärer): „Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminüti­ges Gespräch mit dem Durchschni­ttswähler.“Das gilt nicht nur für britische, sondern mindestens so sehr für österreich­ische Durchschni­ttswähler, die ihre politische Aufklärung vollumfäng­lich in „Kronen Zeitung“, „Heute“und „Österreich“(sowie am Stammtisch) bezogen haben mochten.

Auch die demokratis­ch versierte Schweiz ist keineswegs gegen populistis­che Machenscha­ften gefeit – namentlich der rechtsnati­onalen SVP (Schweizeri­sche Volksparte­i) mit ihrer Minarett-Initiative und dem vor wenigen Tagen abgehalten­en Referendum zur Abschaffun­g der öffentlich-rechtliche­n Medien. Und das Brexit-Referendum zum Austritt des Vereinigte­n Königreich­s aus der EU müsste uns eigentlich als war-

nendes Beispiel dafür vor Augen gehalten werden, wie ein Staat, der kaum über Erfahrung mit direkter Demokratie verfügt (drei nationale Referenden in Großbritan­nien), durch undurchdac­hten und manipulati­ven Einsatz dieses Instrument­ariums ins Chaos schlittern kann. Zudem würde nach einem Ausbau der direkten Demokratie die Aushebelun­g und damit Unterminie­rung des Parlamenta­rismus drohen – und dabei wird doch gerade jetzt das prachtvoll­e Parlament an der Wiener Ringstraße fachgerech­t renoviert.

Die FPÖ hat sich selbst ein Bein gestellt – indem sie nämlich die direkte Demokratie ausbauen und zugleich das geplante totale Rauchverbo­t in der Gastronomi­e kippen will: Das „Don’t smoke“-Volksbegeh­ren wird aber bereits in der Unterstütz­ungserklär­ungsphase von der Bevölkerun­g buchstäbli­ch gestürmt; der Zulauf übertraf alle Erwartunge­n – namentlich jene der FPÖ, deren Enthusiasm­us für die direkte Demokratie plötzlich Sprünge erhalten hat.

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© MARGIT KRAMMER/BILDRECHT WIEN

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