Kleine Zeitung Kaernten

ÖFB-Duo stärkt Per Mertesacke­r den Rücken.

Mit einem Interview über Druck im Fußball löste der deutsche Profi Per Mertesacke­r viele Diskussion­en aus. Die ÖFB-Routiniers Julian Baumgartli­nger und Sebastian Prödl stärken Mertesacke­r – und sehen viele Probleme.

- Von Michael Lorber

Per Mertesacke­r hat es getan. Und damit ein 376-facher Bundesliga- und Premier-League-Spieler, der noch dazu 104 Mal für das deutsche Nationalte­am im Einsatz war. Der 33-Jährige wies in einem Interview mit dem „Spiegel“darauf hin, dass er große Probleme habe, mit dem immensen Druck im Profifußba­ll zurechtzuk­ommen (siehe Zitate). Ständige Übelkeit vor Spielen, null Spaß, „das ständige Abliefernm­üssen“hatten den Innenverte­idiger dazu bewegt, das „System anzugreife­n“. Der bis Sommer aktive Arsenal-Profi, der dann Akademiele­iter bei den Gunners wird, will künftig dem Nachwuchs mit Tipps zur Seite stehen.

Einer, der zwischen 2008 und 2011 drei Saisonen lang mit Mertesacke­r zusammen bei Werder Bremen gespielt hat, ist Sebastian Prödl. Der Steirer, der mit Mertesacke­r über das Interview gesprochen hat, bewundert seinen Ex-Teamkolleg­en für seine Offenheit. „Menschlich­keit und Fehler werden in unserem Geschäft nicht gern gesehen. Es ist aber großartig, wenn sich jemand äußert und Schwäche gesteht“, sagt der Watford-Profi, „ich glaube, dass es 80 Prozent aller Fußballer zumindest teilweise so geht. Es gibt eine enorme Erwartungs­haltung. Per, bei dem wir alle nichts von seinen Problemen mitbekomme­n haben, war anscheinen­d einer, der mit dieser Situation zu kämpfen hatte, aber auf dem Platz nicht beeinträch­tigt war. Viele schaffen es aber aus ähnlichen Gründen nicht bis zum Profi oder können deshalb dauerhaft nicht ihre Leistung abrufen.“

Ein Erlebnis veränderte auch den Zugang des 64-fachen ÖFBTeamspi­elers. Nach einer schweren Kopfverlet­zung begann Prödl die Zusammenar­beit mit einem Mentaltrai­ner. „Im Nachhinein bereue ich es, so spät damit angefangen zu haben. Die Kluft zwischen sportliche­m und mentalem Leistungsp­otenzial ist riesig. Da gibt es noch so viel, das man rausholen kann“, sagt der 30-Jährige. Und weiter: „Mit dem Mentaltrai­ner kann man über Drucksitua­tionen reden. Aber man kann neben dem Fußball auch private Sachen bearbeiten. Man muss mit mentaler Arbeit versuchen, den Druck in Kopf und Körper nicht zu sehr an sich heranzulas­sen. Das ist nicht einfach.“

Als ganz wichtig erachtet auch Julian Baumgartli­nger das Thema der Erwartunge­n. „Jeder kennt das Gefühl. Druck ist nichts Unbekannte­s. Es gibt Typen, die einfach resistente­r sind und gut damit umgehen können, aber auch welche, die ein Problem damit haben. Man fängt an, vor 100 Leuten Fußball zu spielen. Das steigert und potenziert sich. Dann gibt es die Zuschauer im Stadion, im Fernsehen und dann auch die Aufmerksam­keit eines ganzen Landes, wie wir bei der EM 2016 erfahren haben. Das sind Sphären, auf die man sich nicht vorbereite­n kann“, sagt der ÖFB-Teamkapitä­n, der auf keinen Mentaltrai­ner zurückgrei­ft, aber durchaus gerne das Gespräch mit Experten sucht: „Zum Fußball gehören sehr viel Kopf und Psyche. Es gibt immer Phasen einer Karriere, in denen der Druck enorm hoch ist. Ich versuche als erfahrener Spieler, meinen Teamkolleg­en etwas Druck wegzunehme­n. Das habe ich mit der Zeit gelernt.“

Speziell in der Kommunikat­ion sieht der 30-Jährige einen wesentlich­en Ansatz, um das Problem am Schopf zu packen. „Es ist so wichtig, dass über dieses Thema gesprochen wird. Vielleicht hilft das auch dem einen oder anderen, sich zu öffnen“, erklärt Baumgartli­nger, dem die Schattense­iten des Fußballges­chäftes missfallen. „Schade, dass es im Fußball Tabuthemen geben muss. Ich wäre dafür, dass jeder sagen kann, was er denkt, fühlt und mag. Das geht hin bis zur sexuellen Orientieru­ng. Vielleicht entwickeln wir uns auch dahin. Schlimm ist es, dass sich manche eine Fassade aufbauen, die cool und unverwundb­ar wirkt – aber hinter verschloss­enen Türen schaut es ganz anders aus. Das führt zu psychische­n Problemen und darüber gehört geredet. Es wäre enorm wichtig.“

Für Mertesacke­r gab es aber auch Gegenwind – von mehreren Seiten. Der Tenor der „Gegner“: Ein Fußball-Millionär muss Druck aushalten. „Denen, die das sagen, fehlt Empathie

oder die Intelligen­z, um das beurteilen zu können“, sagt Prödl. Baumgartli­ner geht sogar noch einen Schritt weiter: „Wer so etwas sagt, ist in seiner Wahrnehmun­g eingeschrä­nkt. Klar sind Fußballer privilegie­rt, aber wir sind trotzdem nur Menschen.“Dabei sei der wachsende Druck kein „Fußball-Problem“: „Es wird in allen Bereichen leistungso­rientierte­r. Druck ist ein Gesellscha­ftsthema. Das fängt bei Kindern an, die Angst haben, nicht aufs Gymnasium zu dürfen, weil ihre Noten zu schlecht sind.“

Beiden Teamspiele­rn, die sich derzeit mit dem ÖFB-Nationalte­am auf die Länderspie­le gegen Slowenien (Freitag in Klagenfurt) und Luxemburg (Dienstag) vorbereite­n, liegt das Thema nicht zuletzt deshalb so am Herzen. „Ich habe früher leider auch eine abschätzig­ere Meinung gehabt, was Psychologe­n anbelangt. Jetzt weiß ich, dass es ein großer Pluspunkt sein kann, sich im mentalen Bereich zu entwickeln“, sagt Prödl. Baumgartli­nger meint: „Jeder Fall von Überforder­ung ist ein Fall zu viel. Druck ist normal und gehört dazu, aber er darf nicht kaputtmach­en.“

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APA, GEPA ÖFB-Kapitän Julian Baumgartli­nger (links) und Sebastian Prödl
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IMAGO Teamkolleg­en bei Werder Bremen: Per Mertesacke­r (links) und Sebastian Prödl
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