Mein Beitrag zur I-a-Debatte
Jahrzehntelang habe ich geschwiegen. Aber jetzt oute ich mich! Ich bin ein Opfer! – keines sexuellen Übergriffs, sondern eher eines erotischen (sexistischen) Untergriffs; keiner sexuellen Belästigung (da könnte ich mich wehren!) – nein! Ich war wehrloses Opfer sexistischer Missbilligung: In meiner Branche (Kunst) so viel wie Mobbing und Berufsverbot zusammen!
Mein Täter war ein sehr bekannter Theaterdirektor (aber keine Sorge: keiner von hier; einer aus der großen Stadt). Der Tatort war sein Büro, und er ist schon lange verstorben, weshalb sich strafrechtlich wohl nichts mehr ausgehen wird. Aber darum geht es ja nicht. Es geht um den Skandal und darum, dass ich mich endlich psychisch dusche und meinen Beitrag zur I-a-Debatte leiste. Wir saßen an seinem Tisch und sprachen lang und nett über eines meiner Theaterstücke, das, wie er sagte, „enormes Potenzial“hatte. Das Wort „Potenzial“war mir schon verdächtig: Wenn man sich vergegenwärtigt, was in dem Wort alles steckt, etymologisch ebenso wie wortfamiliär!
Sein junger Dramaturg mit der drolligen Stimme und den drolligen Augen und der BertBrecht-Frisur (naja, Frisur…) und dem obligaten mausgrauen Bert-Brecht-Kartoffelsack als Anzug saß auch bei uns und debattierte mit: Das Wort „Potenzial“aus dem Mund seines Intendanten an mich gerichtet irritierte und beleidigte den Dramaturgen ganz offensichtlich. Gerade hatte er ein Buch zur Problematik veröffentlicht, dass seine Eltern unheimlich gerne Großeltern werden wollten, er sie diesbezüglich aber enttäuschen und zum Aussterben verurteilen musste.
Wir drei redeten lange um den heißen Brei herum und kamen zu keiner Entscheidung mein Drama betreffend. Als der Dramaturg ausgetreten war, fragte ich den berühmten Direktor nach den Aufführungschancen. Da beugte sich der Theatertitan zu mir Literaturfrischling, schaute mir einen endlosen Augenblick lang tief in die Augen, lächelte mich unergründlich an und sagte mir im Flüsterton: „Wissen Sie: Wir müssen einander notwendig werden!“
Ich fühlte mich über alle Maßen besudelt und den Impuls, sofort die Polizei zu rufen. Wenn nicht die Sittenpolizei, dann sämtliche Kulturredaktionen des Landes! Aber Hand aufs Herz: Wer hätte mir Niemand damals Glauben geschenkt? Ohne diese erotische Counter-Stigmatisierung wäre ich heute zweifelsohne in der Topliga der Theatermacher dieses Globus…
Der Theatertitan beugtesichzumir und flüsterte: „Wissen Sie: Wir müssen einander notwendig werden!“