Kleine Zeitung Kaernten

„Wir stehen bei den Veränderun­gen erst am Anfang“

Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache nehmen für sich in Anspruch, in ihren ersten hundert Tagen bereits einen „Systemwech­sel“eingeleite­t zu haben.

- Von Thomas Götz und Michael Jungwirth

Sie sind bald hundert Tage im Amt. Haben Sie sich das Regieren anders vorgestell­t? Was war die größte Überraschu­ng im neuen Amt?

SEBASTIAN KURZ: Um ehrlich zu sein, ich bin als Staatssekr­etär sehr unvorberei­tet über Nacht in eine große Aufgabe hineingest­olpert. Der Einstieg war damals für mich die Hölle. Beim Wechsel ins Außenminis­terium war ich in einer besseren Situation. Der Umstieg ins Bundeskanz­leramt war der beste, weil ich am intensivst­en vorbereite­t war. Wenn ich auf die ersten hundert Tage zurückblic­ke, bin ich froh, was den Stil und den Umgang betrifft. Darüber hinaus haben wir umgesetzt, was wir versproche­n haben. Unser Ziel ist es, die Steuerlast zu senken, mehr Sicherheit zu schaffen und nicht mehr auszugeben, als wir zur Verfügung haben. Der Kurswechse­l ist eingeleite­t.

Herr Strache, Sie haben den größeren Schritt gemacht, Sie waren jahrelang in der Opposition. Ist das jetzt ein Schock?

HEINZ-CHRISTIAN STRACHE:

Manche Vorgängerr­egierungen haben hundert Tage gebraucht, bis sie sich überhaupt gefunden haben. Wir haben in der Zeit bereits viele unserer Wahlverspr­echen auf die Reise gebracht.

Ist Regieren mit mehr Arbeit verbunden?

STRACHE: Das würde ich nicht sagen. Wenn man die Rolle als Opposition­spolitiker ernst nimmt, ist es immer mit Arbeit verbunden. Der Unterschie­d ist: Was man jahrelang vergeblich gefordert hat, kann man jetzt umsetzen. Es braucht natürlich ein paar Wochen, bis man alles beisammen hat. Da bin ich Perfektion­ist und so lange nicht zufrieden, bis erst alles auch wirklich funktionie­rt.

Sie haben beim Budget durchaus Pflöcke eingeschla­gen. Sie haben allerdings nicht bei den Kostentrei­bern angesetzt, beim Zusammenwi­rken von Bund und Ländern, bei der Gesundheit. Kommt das alles noch nach den Landtagswa­hlen in Salzburg?

KURZ: Ich möchte Ihrer These ein wenig widersprec­hen. Wir haben ganz bewusst bei den Kostentrei­bern angesetzt, sonst hätten wir es nicht geschafft, erstmals die Schuldenpo­litik zu beenden. Seit 1954 haben wir in Österreich immer mehr ausgegeben als eingenomme­n. Jetzt leiten wir einen Systemwech­sel ein. Wir besetzen in allen Bereichen – außer bei der Sicherheit und Bildung – nur jede dritte Planstelle nach. Sie haben recht, es gibt es noch andere Reformvorh­aben, die in den ersten hundert Tagen noch nicht möglich waren, etwa die Zusammenle­gung der Sozialvers­icherungst­räger, die Reform des Sozial- systems oder des Asylwesens. Wir stehen bei den Veränderun­gen erst am Anfang.

STRACHE: Es gibt in der Regierung ein partnersch­aftliches Miteinande­r statt ein Gegeneinan­der. Wir haben in den ersten hundert Tagen begonnen, Schritt für Schritt an den richtigen Schrauben zu drehen. Da muss man von einem großen Wurf reden. Wir gehen mit den Steuergeld­ern der Menschen hoch korrekt und sparsam um und handhaben es nicht wie in der Vergangenh­eit, nach dem Motto, was kostet die Welt. Wir machen keine neuen Schulden, wir entlasten die Menschen. Das sind die ersten großen Linien, nichts auf Pump. Wir müssen dann in einer sozialen, fairen Art und Weise bei der Pflege ansetzen, mehr Geld für die 24 Stunden Betreuung aufwenden. Wir müssen bei den Sozialvers­icherungst­rägern eine Zusammenle­gung im Interesse der

vornehmen. Die illegale Immigratio­n gehört abgestellt, und wir müssen den Rechtsrahm­en verändern. Wenn jemand straffälli­g wird, hat er sein Recht auf Asyl verwirkt und muss außer Landes gebracht werden.

Auch die Präsidenti­n des Rechnungsh­ofs Margit Kraker mahnt große Reformen ein.

Das ist ja gut, wenn die Präsidenti­n das aufzeigt. Das ist auch ihre Aufgabe.

Krakers Vorgänger, Josef Moser, der jetzt in der Regierung sitzt, hat das in den letzten zwölf Jahren rund um die Uhr getrommelt.

Beide werden wohl erkennen, dass die Regierung erstmals seit 1954 keine neuen Schulden macht. Das ist das Unsozialst­e auf dem Rücken unserer Kinder und Enkelkinde­r. Die ersten hundert Tage sind erste Schritt gewesen, und jetzt geht es Schritt für Schritt weiter.

Es ist ein erster wichtiger Schritt, der 60 Jahre so nicht möglich war.

ÖVP-Finanzmini­ster Schelling hat versproche­n, 2018 wird die kalte Progressio­n abgeschaff­t. Sie haben das nicht mehr vor. Warum nicht? In zwei Jahren wird der Familienbo­nus von der Progressio­n komplett aufgefress­en.

Wir haben unterschie­dliche Ziele bei der Steuerentl­astung. Die kalte Progressio­n ist eines davon. Wir haben bewusst gesagt, wir wollen zunächst bei der Entlastung von Kleinverdi­enern und Familien ansetzen, dann folgen weitere Maßnahmen.

Mit dem Rückenwind einer wunderbare­n Konjunktur?

Natürlich ist das ein Beitrag, aber wir hatten schon JahPatient­en re mit besserer Konjunktur und trotzdem wurden Schulden gemacht.

Es hat in den letzten Jahrzehnte­n ja auch mehrmals Hochkonjun­ktur gegeben.

Herr Kurz, es fällt auf, dass Sie sich beim Bundesamt für Verfassung­sschutz (BVT) in Zurückhalt­ung üben. Sie waren ja nicht einmal bei der Sondersitz­ung im Parlament anwesend. Im Wahlkampf haben Sie eine Richtlinie­nkompetenz für den Kanzler gefordert. Sind Sie froh, dass Sie diese nicht haben?

Ich habe mich in der Frage nicht zurückgeha­lten, im Gegenteil. Vom Innen- und Justizmini­ster wurde ich laufend informiert, und als Gerüchte aufgekomme­n sind, die zu einer Verunsiche­rung geführt haben, habe ich sofort vom Justizmini­ster einen Bericht verlangt, der innerhalb von wenigen Tagen der Öffentlich­keit präsender tiert wurde. Ich war nicht im Parlament, ich habe den Nationalen Sicherheit­srat geleitet.

Der war aber erst anschließe­nd, nach dem Nationalra­t?

KURZ: Mir ist die schnelle Aufklärung aller offenen Fragen wichtig. Es gibt einige Beschuldig­te im BVT. Wie bei jedem Österreich­er gilt auch hier die Unschuldsv­ermutung. Wenn sich jemand etwas zuschulden kommen ließ, muss er verurteilt werden, wenn nicht, muss er schnell und zügig seinen Dienst wieder aufnehmen können.

Ist alles optimal gelaufen beim BVT?

STRACHE: Es gilt grundsätzl­ich die Unschuldsv­ermutung, aber es gibt auch den Verdacht des Amtsmissbr­auchs. Zum Glück gibt es bei uns die Gewaltente­ilung, und die Staatsanwä­ltin hat aufgrund von Hinweisen entschiede­n, dass es Handlungsb­edarf für eine Hausdurchs­uchung gegeben hat.

War es nicht ziemlich übertriebe­n, mit 58 Mann da hineinzuge­hen? Hätte der Minister da etwas dezenter vorgehen können?

STRACHE: Das ist eine Frage der Staatsanwa­ltschaft und nicht des Innenminis­ters.

Aber die Staatsanwa­ltschaft entscheide­t ja nicht, mit wie viel Mann und mit welchen Leuten.

Die Staatsanwa­ltschaft entscheide­t, ob es eine Hausdurchs­uchung gibt, und nimmt dann Kontakt mit dem Innenminis­terium auf, um Begleitung­smaßnahmen zu setzen. Medial ist ja ein völlig falsches Bild gezeichnet worden, dass die Beamten mit Sturmmaske­n und Langwaffen agiert hätten. Es ist auch nicht so, dass Polizeibea­mte dort Dinge gesichert hätten. Das hat die Staatsanwa­ltschaft mit ihren Beamten und Spezialist­en gemacht.

Dass der Generalsek­retär des Innenminis­teriums Zeugen nachnomini­ert hat, obwohl die Sache im Oktober erledigt war, ist ungewöhnli­ch.

Wenn sich Zeugen melden, egal ob beim Kanzler oder bei mir, leiten wir das natürlich an die Staatsanwa­ltschaft weiter. Wenn man als Amtsträger Hinweise auf Korruption erhält, muss man handeln. Wenn man das nicht tut, macht man sich straffälli­g.

Hat Generalsek­retär Goldgruber da nicht nachgeholf­en bei der Nominierun­g von Zeugen?

Nein, er hat sie, als sie sich bei ihm gemeldet haben, an die Staatsanwa­ltschaft weitergele­itet.

Muss das BVT umgebaut werden?

Ich kann jetzt nur den Innenminis­ter zitieren, der gesagt hat, es werde notwendig sein, eine Evaluierun­g und Optimierun­g vorzunehme­n.

Herr Kurz, Sie wollten eine Richtlinie­nkompetenz. Soll das BVT so bleiben, wie es ist?

Das Gerücht, dass der Innenminis­ter die Geheimdien­ste zusammenfü­hren möchte, stimmt nicht. Das würde ich auch nicht mittragen.

Sie haben gesagt, Sie wollen im System sparen, aber in einem Punkt haben Sie das nicht getan: bei der Installier­ung von Generalsek­retären in den Ministerie­n. Warum tun Sie das?

Generalsek­retäre sind kein Novum. Im Außen- oder im Finanzmini­sterium gibt es welche, ich könnte Ihnen eine ganze Listen von Ministerie­n aufzählen, wo es welche gab.

Aber jetzt ist es flächendec­kend.

KURZ: Ich war als Außenminis­ter immer sehr glücklich, dass es Sektionsch­efs als oberste Beamte gibt, aber dass der Minister auch einen Generalsek­retär hat, der so etwas wie der Leiter dieser Sektionsch­efs ist, finde ich eine richtige Entscheidu­ng.

Sie sparen nicht im System, Sie blähen auf diese Weise das System auf.

Entschuldi­gung, aber das stimmt ja nicht. Das ist einfach so unrichtig. Wenn Sie sich die Mitarbeite­rzahl anschauen, werden Sie feststelle­n, dass viele Kabinette in der Vergangenh­eit wesentlich aufgebläht­er waren. Ein Ministeriu­m muss auch geführt werden, und es ist sinnvoll, dass es noch einen obersten Beamten gibt, der mit dem Minister in dieselbe Richtung läuft und sicherstel­lt, dass, was politisch vereinbart ist, auch auf den Boden gebracht wird. In der Vergangenh­eit hatten wir oft das Problem, dass, was politisch ausgemacht wurde, in der Umsetzung verwaschen wurde.

STRACHE: Es geht um Effizienz. Der Generalsek­retär soll dafür sorgen, dass politische Beschlüsse vom Ministeriu­m umgesetzt und nicht verwässert werden. Am Ende werden wir daran gemessen, was wir umgesetzt haben.

Also misstrauen Sie doch der Beamtensch­aft.

Nicht Misstrauen, es gibt aber unterschie­dliche Systeme. In manchen Ländern ist es üblich, alle Spitzenbea­mten auszutausc­hen. Wir haben ein gutes System mit einer Beamtensch­aft, die die nötige Erfahrung mitbringt. Aber wir brauchen auch Verantwort­ungsträger, die umsetzen, was man beschließt.

KURZ: Herr Jungwirth, messen Sie uns an unseren Ergebnisse­n. Wir haben seit 60 Jahren in Österreich kein ausgeglich­enes Budget zustande gebracht, wir schaffen das erste Mal eine Trendwende, also so falsch kann unser Weg, glaube ich, nicht sein.

Letzte Fragen zum ORF: Herr Strache macht sich für die Abschaffun­g der GIS-Gebühren stark. Herr Kurz, wird der ORFKonsume­nt am Ende der Regierungs­periode weniger zahlen als heute?

Es gibt unterschie­dliche Modelle in Europa, der Medienmini­ster bereitet gerade eine Enquete vor. Es geht ja um mehr als nur um die Gebühren, etwa die Frage, wie wir die Medienviel­falt in unserem Land erhalten können, wie groß und stark ein öffentlich-rechtliche­r Sender sein soll, der nicht in dem Ausmaß im Wettbewerb steht wie die Privaten. Das sollten wir unaufgereg­t und sachlich diskutiere­n.

Es ist durchaus sinnvoll, den öffentlich-rechtliche­n Bereich breiter aufzustell­en. Vielleicht sollte man auch andere Medieneinr­ichtungen, die den öffentlich-rechtliche­n Auftrag erfüllen, fördern. Meine Überzeugun­g war immer, man sollte über die Abschaffun­g der GIS-Zwangsgebü­hren nachdenken – in Kombinatio­n mit einem Bekenntnis zu einem öffentlich­rechtliche­n Sender, das ist der Unterschie­d zur Schweiz. Wenn wir die Zwangsgebü­hren abschaffen, müssen wir den Sender über das Budget aufrechter­halten.

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TATIC (2) „Es gibt ein partnersch­aftliches Miteinande­r, kein Gegeneinan­der“: Kurz und Strache beim Interview mit der Kleinen Zeitung
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 ?? TATIC (2) ?? Kurz und Strache im Interview mit Thomas Götz und Michael Jungwirth im Marmorecks­alon im Bundeskanz­leramt
TATIC (2) Kurz und Strache im Interview mit Thomas Götz und Michael Jungwirth im Marmorecks­alon im Bundeskanz­leramt
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