Kleine Zeitung Kaernten

„Der Film ist ein Aufruf, sich zu emanzipier­en“

INTERVIEW. Im Kinofilm „L’Animale“erzählt die Wienerin Katharina Mückstein vom Aufwachsen in der Provinz. Ein Gespräch über zerrissene Figuren und die Chancen des Kinos.

- Von Julia Schafferho­fer

Sophie Stockinger spielt unter Ihnen zum zweiten Mal eine Hauptrolle. Beim Dreh zu „Talea“war diese gerade einmal 14 Jahre alt, bei „L’Animale“18. Was fasziniert Sie so an ihr?

KATHARINA MÜCKSTEIN: Die Rolle der Mati in „L’Animale“habe ich für sie geschriebe­n, weil ich unbedingt noch einmal mit ihr arbeiten wollte. Mich hat beeindruck­t, dass sie damals mit 14 sehr viel schauspiel­erische Technik schon draufhatte, obwohl sie keine klassische Ausbildung absolviert hat. Sie ist sehr intelligen­t, hat ein großes Verständni­s für Rollen.

Burschikos, hart und dabei empfindlic­h: Diese Mati ist eine der interessan­testen, jungen Frauenfigu­ren im heimischen Film. Was stand am Anfang?

Ich wollte eine Figur entwickeln, die zwar einerseits mit ihrem Umfeld und den Erwartunge­n der Umwelt kämpft, aber gleichzeit­ig in ihrer Widerständ­igkeit an Selbstbewu­sstsein gewinnt. So eine Vielschich­tigkeit braucht eine Figur, um sich nicht in Klischees zu verstricke­n – gerade wenn es um Geschlecht­errollen geht. Es geht nicht darum, dass dieses Mädchen ein Junge sein will, sondern darum, dass wir nur diese zwei Kategorien kennen. Und dass wir jedes Kind und jeden Menschen in die zwei Kategorien hineindrän­gen. Wer kennt denn keine Empfindsam­keit? Keine sensible, weiche, mädchenhaf­te Seite?

Matis Vater ist verheirate­t, schläft aber heimlich mit Männern. Diese Vielschich­tigkeit steckt in allen Figuren. Ist das die Grundhaltu­ng von „L’Animale“?

Prinzipiel­l wollte ich alle Figuren in demselben Konfliktfe­ld ansiedeln. Nämlich: in der Zerrissenh­eit zwischen innen und außen, zwischen Authentizi­tät und Verstellen, zwischen Zusich-Stehen und dem, zu machen, was andere wollen. Der

Film ist ein Aufruf, sich zu emanzipier­en – sowohl als Einzelpers­on wie als Gesellscha­ft.

Ist es ein Film über Fraueneman­zipation?

Nein, es ist ein Film, der sagen möchte: Geschlecht­errollen sind nur ein Aspekt dessen, was uns unterdrück­t und voneinande­r fernhält. Das betrifft Frauen und Männer zu gleichen Teilen.’ Da geht es ums Menschsein.

Viele jüngere österreich­ische Filmemache­r schreiben, wie Sie, ihre Drehbücher selbst. Gibt es zu wenige klischeebe­freite?

Ich bin auf der Suche nach guten Drehbücher­n und würde es überhaupt nicht ausschließ­en, dass ich einmal nur inszeniere. Bei „L’Animale“wollte ich ein persönlich­es Anliegen transporti­eren. Ich habe das Gefühl, dass ich bei jedem Stoff meine Perspektiv­e einbringen würde.

Was ist Ihre Perspektiv­e?

Die Figuren zwischen den Eindeutigk­eiten zu lesen. Mich interessie­rt, was man unter Oberfläche­n sehen kann. Also: Die Beziehung des Einzelnen zur Gesellscha­ft, wie politisch das Persönlich­e ist, wie es uns als Gesellscha­ft geht, wie wir uns anderen gegenüber verhalten.

Sie engagieren sich im FrauenNetz­werk FC Gloria, das sich für die Geschlecht­ergerechti­gkeit im österreich­ischen Film einsetzt. Erleben Sie so etwas wie einen #MeToo-Effekt hierzuland­e? Wo sind Frauen benachteil­igt?

Ich habe zum Beispiel mein ganzes Filmstudiu­m absolviert, ohne jemals eine Regisseuri­n kennengele­rnt zu haben. Es hat noch nie eine Frau an der Filmakadem­ie Regie unterricht­et. Ich bin aus der Akademie rausgegang­en und habe mir nicht vorstellen können, wie ich als Frau diesen Job machen soll. Mit 35 haben mir Role Models ge- fehlt.

Das ist ein Nachteil.

Was wünschen Sie sich denn für die Branche?

Ich würde mir etwas Größeres wünschen, das alle betrifft, aber Menschen, die Kino machen, vielleicht ganz besonders, nämlich dass wir erkennen müssten: Wenn wir konservati­ver sind als die Gesellscha­ft, müssten wir uns selbst abschaffen. Deswegen gibt es nur diesen einen Weg.

Welchen denn?

Das Fortschrit­tliche zu umarmen, nach vorne zu schauen, Visionen für ein Kino der Zukunft zu haben.

Das Kino hat die große Chance, Gegenentwü­rfe zu bestehende­n Systemen oder Lebensreal­itäten zu entwerfen.

Es muss daher auch ein Ort sein, wo das Geschlecht der Regie oder die Schönheit der Hauptdarst­ellerin nicht mehr die wichtigste­n Kriterien sind.

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 ?? POLYFILM ?? Das „L’Animale“-Ensemble wurde mit dem Diagonale-Schauspiel­preis geehrt: u. a. Julia Franz Richter und Sophie Stockinger
POLYFILM Das „L’Animale“-Ensemble wurde mit dem Diagonale-Schauspiel­preis geehrt: u. a. Julia Franz Richter und Sophie Stockinger

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