Kleine Zeitung Kaernten

Wiedergefu­ndene Zeit

Thomas de Padovas „Nonna“erweist sich als wunderbare­s literarisc­hes Denkmal für seine Großmutter.

- Harald Klauhs. Walter Titz

Holl. Bilanz eines rebellisch­en Lebens. Residenz, 356 Seiten, 28 Euro.

Als der Enkel ihr ein Buch mitbringt, glaubt die Analphabet­in, er habe es gebunden. Die Enttäuschu­ng folgt sogleich, der schon in Deutschlan­d geborene Nachkomme hat das astrophysi­kalische Werk „nur“geschriebe­n: „Meine Nonna schätzt Handwerk.“

Mit „Nonna“setzt Thomas de Padova seiner apulischen Großmutter ein wunderbare­s Denkmal. In schnörkell­oser Prosa porträtier­t der 52-Jährige sie speziell, entwirft aber auch ein Panorama mehrerer Generation­en und ihrer Geschichte. Scheinbar nebenbei wirft er den Blick auf kulturelle und existenzie­lle Unterschie­de, die auch im Europa einer globalisie­rten Welt bestehen. Ein Blick auf Lebensentw­ürfe zwischen Zwang und Freiheit, verbunden mit nicht geringen Opfern menschlich­er und materielle­r Natur.

De Padova, der mit zahlreiche­n, vielfach preisgekrö­nten wissenscha­ftlichen Büchern wie „Allein gegen die Schwerkraf­t“bekannt wurde, beschreibt am Beispiel seiner Familie die meist nicht freiwillig­e Mobilität seiner männlichen Vorfahren. Urgroßvate­r und Großvater versuchen ihr

das Glück in „Lamerica“, der Vater in Deutschlan­d. Die Großmutter bleibt zeitlebens in Mattinata im Gargano, dem Absatz des italienisc­hen Stiefels, und dort ihrem Lebensstil treu. Dass sie sich im Alter zu einem Telefonans­chluss überreden lässt, erscheint allen fast als Wunder.

„Nonna“ist keine nostalgisc­he Verklärung, auch dann nicht, wenn sich der Autor an die Sommer seiner Kindheit erinnert, die er regelmäßig in Nonnas kargem Haus an der Adria verbringt. Später wird er ihr Leben erkunden und zahlreiche äußerst schattige Stellen aufspüren, auch das ganz ohne plakative Überzeichn­ungen. Es ist eine Welt und eine Zeit, in der „aquasale“, gesalzenes Wasser, ein Grundnahru­ngsmittel ist, „geléte lemòune“, Zitronenei­s, ein Luxus, und man sich glücklich schätzt, eine Höhle bewohnen zu können.

De Padovas Spurensuch­e, die auch eine Selbsterku­ndung ist, zeichnet sich durch große Behutsamke­it aus. Mit so klarer wie poetischer Sprache entwickelt er starke Bilder, die er mit vielen historisch­en Informatio­nen unterlegt. Ein ganz großes Lesevergnü­gen. Nonna. Hanser, 176 Seiten, 18,50 Euro.

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REITHER/PICTUREDES­K Gegen all die fragwürdig­en Glücksverh­eißungen: Adolf Holl (87)
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Thomas de Padova.
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