Wiedergefundene Zeit
Thomas de Padovas „Nonna“erweist sich als wunderbares literarisches Denkmal für seine Großmutter.
Holl. Bilanz eines rebellischen Lebens. Residenz, 356 Seiten, 28 Euro.
Als der Enkel ihr ein Buch mitbringt, glaubt die Analphabetin, er habe es gebunden. Die Enttäuschung folgt sogleich, der schon in Deutschland geborene Nachkomme hat das astrophysikalische Werk „nur“geschrieben: „Meine Nonna schätzt Handwerk.“
Mit „Nonna“setzt Thomas de Padova seiner apulischen Großmutter ein wunderbares Denkmal. In schnörkelloser Prosa porträtiert der 52-Jährige sie speziell, entwirft aber auch ein Panorama mehrerer Generationen und ihrer Geschichte. Scheinbar nebenbei wirft er den Blick auf kulturelle und existenzielle Unterschiede, die auch im Europa einer globalisierten Welt bestehen. Ein Blick auf Lebensentwürfe zwischen Zwang und Freiheit, verbunden mit nicht geringen Opfern menschlicher und materieller Natur.
De Padova, der mit zahlreichen, vielfach preisgekrönten wissenschaftlichen Büchern wie „Allein gegen die Schwerkraft“bekannt wurde, beschreibt am Beispiel seiner Familie die meist nicht freiwillige Mobilität seiner männlichen Vorfahren. Urgroßvater und Großvater versuchen ihr
das Glück in „Lamerica“, der Vater in Deutschland. Die Großmutter bleibt zeitlebens in Mattinata im Gargano, dem Absatz des italienischen Stiefels, und dort ihrem Lebensstil treu. Dass sie sich im Alter zu einem Telefonanschluss überreden lässt, erscheint allen fast als Wunder.
„Nonna“ist keine nostalgische Verklärung, auch dann nicht, wenn sich der Autor an die Sommer seiner Kindheit erinnert, die er regelmäßig in Nonnas kargem Haus an der Adria verbringt. Später wird er ihr Leben erkunden und zahlreiche äußerst schattige Stellen aufspüren, auch das ganz ohne plakative Überzeichnungen. Es ist eine Welt und eine Zeit, in der „aquasale“, gesalzenes Wasser, ein Grundnahrungsmittel ist, „geléte lemòune“, Zitroneneis, ein Luxus, und man sich glücklich schätzt, eine Höhle bewohnen zu können.
De Padovas Spurensuche, die auch eine Selbsterkundung ist, zeichnet sich durch große Behutsamkeit aus. Mit so klarer wie poetischer Sprache entwickelt er starke Bilder, die er mit vielen historischen Informationen unterlegt. Ein ganz großes Lesevergnügen. Nonna. Hanser, 176 Seiten, 18,50 Euro.