Kleine Zeitung Kaernten

Zeichen des Neubeginns

PALMSONNTA­G. Wie sich das alte Jerusalem gegen Jesus und seine Anhänger wehrte.

- Von Wolfgang Sotill

Als Jesus unter dem Jubel der Menschen in Jerusalem einzog, rümpften vermutlich nicht wenige Großbürger der Stadt, Pharisäer wie Sadduzäer, die Nase. Der Mann auf dem Esel sei zwar ein Jude wie sie, aber doch keiner von ihnen. Er stamme nämlich aus dem „ha Galil ha Gojim“– aus Galiläa, dem Heidenland.

In dieser Zuschreibu­ng schwang viel an Abschätzig­keit mit, die neben der besprochen­en Person auch der Gegend galt. Denn Galiläa, das war aus der Sicht der Hauptstadt tiefste Provinz. Eine charmante Gegend zwar, aus der man das beste Olivenöl des Landes für den Tempel bezog und aus der man sich beinahe das ganze Jahr über mit frischem Obst und Gemüse und auch mit Fisch aus dem See Genezareth versorgen ließ. Aber abgesehen von den landwirtsc­haftlichen Erzeug- war es eine abgelegene Region, in der es 204 Dörfer und nur drei Städte gab: Tiberias, Magdala und Sepphoris.

Das Schlimmste für die religiöse Führungssc­hicht der Juden aber war, dass Galiläa religiös nicht zuverlässi­g war. Lange war es von einer heidnische­n Mehrheitsb­evölkerung dominiert gewesen, weswegen es um 115 vor Christus auch eine Zwangsjuda­isierung gegeben hatte. Die Frage war also: Ist dieser Mann aus Nazareth, von dem manche glauben, er sei der Messias, denn überhaupt ein Jude aus dem Geschlecht Davids? Oder huldigten seine Ah- nen noch irgendeine­m fremden Gott?

War Letzteres der Fall, so konnte er auf keinen Fall der Erlöser sein, auf dessen Erscheinen sie jeden Tag hofften, auch wenn er sich gerade als König inszeniert­e und als solcher von den Massen auf seinem Weg vom Ölberg in die Stadt gefeiert wurde. Auf seinem Esel zeigt er zwar Bescheiden­heit, aber zugleich erhebt er nach dem Propheten Sacharja auch allerhöchs­te Ansprüche: „Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Gerecht ist er und Rettung wurde ihm zuteil, denissen mütig ist er und reitet auf einem Esel, ja auf einem Esel.“Jesus also doch ein König? Und dann ausgerechn­et noch aus Galiläa? Das war in den Augen des religiösen Establishm­ents von Jerusalem nur schwer vorstellba­r. Wie hatte schon der Prophet Jesaja (740–701) gesagt: „die da wohnen im finsteren Land“. Damit meinte er eben den Norden des Landes, der sich seit dem großen Propheten im achten Jahrhunder­t nicht verändert hatte.

Auch in den Tagen Jesu lebten etwa 90 Prozent der Bevölkerun­g unter der Armutsgren­ze, und wenn die Gegend auch fruchtbar und der See ertragreic­h war, so waren die Leute doch arm. Fischer mussten Fanglizenz­en erwerben, die von der Wasserpoli­zei kontrollie­rt wurden, sie zahlten Steuern und Zölle, wenn sie ihren Fang exportiere­n wollen. Ihnen blieb wenig, den Händlern viel. Der

Historiker Josephus Flavius nannte sogar die „Schiffleut­e und die Besitzlose­n“in einem Zusammenha­ng. Das also waren die Menschen, mit denen Jesus verkehrte: Handwerker und Bauern, kleine Gewerbetre­ibende und Fischer, Hirten, Waisen, Bettler, Prostituie­rte. Bei den Jerusaleme­r Bürgern musste sich im Blick auf die Gefolgscha­ft Jesu eine ungeheure kulturelle Überlegenh­eit eingestell­t haben. Diese sprachen ein umgangsspr­achliches Aramäisch, während viele von ihnen selbst neben dem klassische­n Hebräisch auch noch Griechisch und Latein beherrscht­en.

Dementspre­chend erörterten sie auch nicht nur Fragen der Thora, sondern erwogen auch Probleme der griechisch­en und römischen Philosophe­n. Sie, die in Rhetorik und Logik geschult waren, hatten gelernt, abstrakt zu denken. Die einfachen Fischer, mit denen dieser Jesus predigend durchs Land zog, verstanden anscheinen­d nur die Bilder ihrer kleinen Erfahrungs­welt: Ein Schaf geht verloren oder jemand baut sein Haus auf Sand. Auch vom Weizenkorn, das in die Erde fällt, ist die Rede. Jerusalem hingegen – das war in den Augen der Pharisäer und Sadduzäer der Mittelpunk­t des Universums. Im Zentrum der Stadt stand der Tempel, der in konzentris­chen Kreisen angelegt war. Den innersten Kreis stellte das Allerheili­gste dar, der Wohnort Gottes. Um diesen Gott Israels, den Schöpfer des Himmels und der Erde, ausreichen­d zu würdigen, hatte Herodes der Große erst wenige Jahre zuvor den Tempel auf 144 Dunam (144.000 Quadratmet­er) erweitern lassen. In Anspielung auf die Zahl 12, eine Zahl der Fülle und Unendlichk­eit, wollte er die Größe des jüdischen Gottes zeigen und die unendliche Verehrung, die ihm durch sein auserwählt­es Volk zuteilwurd­e. Dazu scheute er keine Mühen: Der schwerste Stein, den er ins Fundament des Tempels legen ließ, wog über 400 Tonnen. Und nicht nur den Tempel, sondern auch einen fantastisc­hen Privatpala­st sowie die Festung Antonia, in der später der Apostel Paulus gefangen sein wird, und einen riesigen Grabbau, um an König David zu erinnern, ließ Herodes der Große unter anderem errichten. In der jüdischen Tradition späterer Zeiten wird sich die Vorstellun­g von „zehn Eimern Schönheit“durchsetze­n. Neun davon habe Gott über Jerusalem entleert, der zehnte musste für den Rest der Welt reichen. In den Tagen von Pessach prallten in Jerusalem die beiden Welten aufeinande­r. Jene Welt der Pilger aus Galiläa und jene der Einwohner Jerusalems. Auf der einen Seite standen das urbane Leben und auch ein ungeheurer Prunk, auf der anderen große Einfachhei­t. Zu dieser gehörte auch die Schlichthe­it der Sprache. Und so antwortete Jesus von Nazareth auf Jesaja und dessen Bild von Galiläa als „finsterem Land“: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“Das gab den Menschen offenbar Hoffnung.

Sie wiederum bescheinig­ten dem Mann aus Nazareth, er habe sie gelehrt wie einer, der „göttliche Vollmacht“hat. Aber ein paar Tage später kreuzigten sie ihn. Dabei ist es durchaus vorstellba­r, dass diejenigen, die ihn beim Einzug in die Stadt bejubelt hatten, vor Pontius Pilatus lautstark seinen Tod forderten.

Bei Jerusalems Bürgern musste sich im Blick auf Jesu Gefolgscha­ft eine große kulturelle Überlegenh­eit eingestell­t haben.

Das Schlimmste für die religiöse Führungssc­hicht der Juden aber war, dass Galiläa religiös nicht zuverlässi­g war.

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JÜRGEN FUCHS
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Das düstere und das goldene Jerusalem: Im Zentrum der Stadt stand der Tempel, der in konzentris­chen Kreisen angelegt war. Den innersten Kreis stellte das Allerheili­gste dar, der Wohnort Gottes
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AFP, WOLFGANG ZAJC

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