100 Tage Happen-Disziplin: Hubert Patterer über Türkis-Blau.
Übermorgen endet die erste Etappe der türkis-blauen Regierung. Die große Erneuerung findet vorerst nur in parzellierter Form statt, unterlegt mit viel Marketing und Kalkül.
Die neue Regierung wird am Dienstag 100 Tage alt. Da sollten Konturen einer Handschrift sichtbar sein. Blass ist sie nicht. Es ist die Signatur eines konservativ-nationalen Mitte-rechts-Bündnisses. Es gibt Medien, die es der Koalition nicht verzeihen, dass es sie gibt. Was immer sie tut, wird auf der Folie eines moralischen Grundvorbehalts taxiert. Diese Zeitung, behaupten wir, gehört nicht dazu. Wir haben festgehalten: Die Regierungsformation hat problematische Aspekte, aber sie ist das Abbild eines demokratischen Wahlergebnisses. An ihr haftet nichts Illegitimes.
Beide Parteien haben mit dem Migrationsthema die Wahl gewonnen. Dass sie an der Karte festhalten, ist der Regierung nicht vorzuhalten. Zuwanderung zu begrenzen und energischer zu steuern: Dafür wurde man gewählt. Verwerflich ist die manische Neigung, jedes Thema darauf zu reduzieren, so, als würde ohne Zuwanderung keine der strukturellen Fehlstellungen des Landes mehr existieren. Das ist eine Unart. Sie gehört zu den Konturen. Neben vernünftigen Maßnahmen (Nulldefizit, Entlas- tung der Familien, Deutsch in der Grundschule) verfällt sie allzu gern der Versuchung, aromatische, gefallsüchtige Symbolpolitik zu betreiben. Bei der Eingliederung anerkannter Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt die Mittel zu kanten und sich dessen zu rühmen, ist populistische Unvernunft. So züchtet man Submilieus und treibt Migranten in die teure Mindestsicherung. Törichter geht’s nicht. Auch bei der Abschiebepraxis: viel Vitrinen-Politik. Anstatt sich mit der Caritas auf die Integrationsunwilligen zu konzentrieren oder die Behörden auf die Abgetauchten anzusetzen, nimmt man die gut eingegliederten Familien ins Visier. Man holt sie Sonntagfrüh ab, weil da alle beisammen sind und die hohe Zahl gut für die Statistik und den Verkauf ist.
Dass weniger gestritten wird: ein Plus für die Stilistik. Manchmal hat man nur das Gefühl, dass die Harmonie in einen sektenhaften Gleichklang ausartet, wo der Befehl ergeht, wann wer was mit welchen Worten sagen darf. Dann wirken die grundsoliden Neuen wie disziplinierte Zöglinge, wie Rädchen einer autoritären Verhappisierung. Das Nulldefizit ist als Errungenschaft gutzuschreiben, der hohe Ton möge draußenbleiben: Die Konjunktur ist Koalitionspartner. Auch leuchten noch keine Türme. In der digitalen Versorgung bleibt das Land rückständig. Was fehlt, gemessen an den ausgerufenen neuen Zeiten, ist der Mut zu Korrekturen im System Österreich. Beamte nicht nachzubesetzen ist Sparen, kein Erneuern. Noch immer sind viele für vieles zuständig und viele für nichts verantwortlich. Um die Pflege und die Pensionen wurden Bypässe gelegt: die großen, drängenden Fragen für die Jungen. Dass ein 31-jähriger Kanzler sie scheut, ist ein Vergehen an seiner Generation. Die GroKo war mutlos, weil sie sich ideologisch uneins war, wo sie mutig sein soll. Türkis-Blau ist mutlos, weil man das Populärsein nicht gefährden will. Das ist vorderhand das Neue.