Kleine Zeitung Kaernten

Der alte und der neue Adam

TITELSEITE­N. Wieder hat Richard Kriesche für die Kleine Zeitung drei Oster-Titelseite­n gestaltet – angeregt durch einen großen Vorgänger. Ein deutungsof­fener Fingerzeig auf Größeres.

- Von Thomas Götz

Es ist ein paar Jahre her, da hingen in der Wiener Votivkirch­e riesige Reprodukti­onen der Deckengemä­lde der Sixtinisch­en Kapelle. Michelange­los Vision von Schöpfung, Sündenfall und Erlösung war für ein paar Wochen nahe gerückt, und sei es nur in fotografis­cher Wiedergabe. Eigentlich, erzählt Richard Kriesche, mag er solche Ausstellun­gen nicht. Diese aber zog ihn an, wegen der unglaublic­hen Bildkraft des Renaissanc­e-Meisters, auch wegen der seltenen Gelegenhei­t, aus der Nähe zu sehen, was sonst nur aus der Tiefe der überfüllte­n, lärmdurchf­luteten Kapelle mit verrenktem Hals zu betrachten ist.

Die drei Titelseite­n der Kleinen Zeitung von Karfreitag, Karsamstag und Ostersonnt­ag gehen auf diesen prägenden Besuch zurück. Der Zeigefinge­r Gottes und die ausgestrec­kte Hand Adams, knapp vor der Berührung fixiert, regten Kriesches Vision für Ostern an. Er ließ seine eigenen Hände in Gips abgießen, ungefähr in der Haltung, die die Hände der Fi- guren in Michelange­los Bild von der Erschaffun­g des Menschen einnehmen.

Die Gipsabgüss­e drehte er mit der Handfläche nach vorn und fotografie­rte sie. So ähnelten sie plötzlich frappieren­d den Händen eines Gekreuzigt­en. In den meisten Skulpturen sind die Nagelwunde­n an der Stelle zu sehen, die auf der Titelseite vom Karfreitag durch einen roten Punkt markiert war – mitten auf der Handfläche. Historisch ist das zwar falsch, weil die Kreuzigung­en an der Handwurzel durchgefüh­rt wurden, doch die Kraft der Bildtradit­ion erwies sich über die Jahrhunder­te bei der Kreuzigung­sdarstellu­ng letztlich als stärker.

Am Karsamstag fehlt die Farbe, die Wunde ist nicht mehr sichtbar. Grablegung, Grabesruhe. Weder Glocken noch Orgel sind an diesem Tag in den Kirchen zu hören, das Bild drückt symbolisch den Tag des Übergangs durch den Verzicht auf jede Farbe aus.

Und noch etwas verbirgt sich in den Titelseite­n der ersten beiden Tage: Legt man die Ausgabe vom Freitag und die vom Karsamstag in verkehrter Reihenfolg­e nebeneinan­der, kann man sich dazwischen den Korpus des Gekreuzigt­en denken.

Heute, am Ostersonnt­ag, zeigt Kriesche den direkten Bezug zum Original, den Spalt zwischen der Fingerspit­ze des Schöpfers und jener Adams. Und plötzlich bekommt das Bild eine neue Bedeutung. Die Belebung Adams, geschaffen aus Staub, wie die Bibel erzählt, wird zur Wiederbele­bung des toten Jesus. Die Stelle des alten Adam nimmt jetzt der neue Adam ein, wie Jesus in der Bibel auch genannt wird.

In den Ikonen der Ostkirche kehrt das Motiv des Abstiegs in die Hölle oft wieder. Jesus steigt zu den Vorfahren hinab und nimmt auch jene Menschen, die vor ihm gestorben sind, in die Auferstehu­ng mit. Zu seinen Füßen liegen die zertrümmer­ten Tore der Unterwelt. Seine beiden Hände streckt er aus zu den biblischen Ureltern des Menschenge­schlechts, Adam und Eva. Dahinter stehen auch die Propheten des Alten Testaments, bereit, mit dem Auferweckt­en ans Licht zu treten. Da

ist es also wieder, das Motiv der ausgestrec­kten Arme. Diesmal aber streckt der neue Adam, Christus, dem alten Adam die Hand hin, die ihn in ein neues Leben führt.

Für Kriesche ist das Bild von Michelange­lo mehrdeutig. In der klassische­n Lesart stellt es dar, wie Gott dem noch leblosen Adam Leben einhaucht. Es könnte aber auch die Schaffung Gottes aus der Imaginatio­n des Adam zeigen. Zumindest wäre das nachvollzi­ehbar, findet Kriesche. „Das Bild ist in beide Richtungen offen.“

„Im Adam steckt das ganze Potenzial der Menschen“, formuliert Kriesche. Was das Potenzial wäre, zeigt sich in Jesus, das meint der Titel „Sohn Gottes“. Kriesche sagt: „Jesus repräsenti­ert das Maximum dessen, was ein Mensch überhaupt erreichen kann, im Irdischen. Er zeigt das Potenzial des Adam.“

Bei der Arbeit an den Gipshänden ist Kriesche noch etwas aufgefalle­n, was auf den ersten Blick auf Michelange­los Meisterwer­k nicht sofort ins Auge sticht. Gott streckt Adam in dem Deckenfres­ko seinen rechten Arm hin, Adam aber hält ihm seinen linken hin. „Alle gehen davon aus, dass wir uns immer die rechte Hand geben. Adam gibt Gott die linke Hand“, sagt Kriesche. „Nur deshalb lässt sich die Begegnung auch mit den Händen eines Menschen darstellen“, sagt Kriesche.

„Es steckt alles in uns“, leitet der Künstler daraus ab. Die innere Spannung, der Wille zur Selbstüber­bietung, das stecke in jedem Menschen. Sie treibt uns zur Schaffung von Größerem, von Domen, von „Weltkunstw­erken“wie dem Zyklus in der Sixtinisch­en Kapelle, glaubt Kriesche.

Was Kriesche an dem Bild besonders fasziniert­e, ist das „Unüberbrüc­kbare“, der Spalt zwischen den beiden Fingern. „Dieses Unüberbrüc­kbare ist eigentlich das Rätsel, der Unterschie­d zwischen Göttlichke­it und Menschlich­keit.“Ohne diesen Spalt, sagt Kriesche, „könnten wir nicht transzendi­eren“.

Was Kriesche beim großen Renaissanc­emaler noch auffällt: „Er malt Gott wie Adam, gleich groß, er kommt nur mit einem Geschwader daher. An sich sind die Figuren total human.“Bemerkensw­ert scheint ihm auch, dass die Hand des Schöpfers nicht von oben zu Adam hinunterze­igt, sondern eigentlich von unten auf ihn zukommt. „Erst als ich die Hände nachgebast­elt habe, ist mir das aufgefalle­n.“Nicht Macht drücke das aus, sondern Gnade – „wenn es so etwas gibt“. Eine „Ermächtigu­ngsgeste“sei das, kein „drüber Regieren“.

Ob der Meister, hineingequ­etscht zwischen Gerüst und Kapellende­cke, sein Bild auch so verstand wie der Berufskoll­ege 500 Jahre später, ist unerheblic­h. Wichtig ist, dass es seine Wirkung tut, als Anregung zur Selbstüber­bietung späterer Generation­en.

 ??  ?? Richard Kriesche vor der Reprodukti­on von Michelange­los „Erschaffun­g Adams“aus der Sixtinisch­en Kapelle, gezeigt in der Votivkirch­e
Richard Kriesche vor der Reprodukti­on von Michelange­los „Erschaffun­g Adams“aus der Sixtinisch­en Kapelle, gezeigt in der Votivkirch­e
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Der Gipsabguss wird in der HTL Ortweinsch­ule ...
 ??  ?? ... von Renate Gatschelho­fer angefertig­t
... von Renate Gatschelho­fer angefertig­t
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GUBISCH „Sonst könnten wir nicht transzendi­eren“: Richard Kriesche
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KRIESCHE

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