Der alte und der neue Adam
TITELSEITEN. Wieder hat Richard Kriesche für die Kleine Zeitung drei Oster-Titelseiten gestaltet – angeregt durch einen großen Vorgänger. Ein deutungsoffener Fingerzeig auf Größeres.
Es ist ein paar Jahre her, da hingen in der Wiener Votivkirche riesige Reproduktionen der Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle. Michelangelos Vision von Schöpfung, Sündenfall und Erlösung war für ein paar Wochen nahe gerückt, und sei es nur in fotografischer Wiedergabe. Eigentlich, erzählt Richard Kriesche, mag er solche Ausstellungen nicht. Diese aber zog ihn an, wegen der unglaublichen Bildkraft des Renaissance-Meisters, auch wegen der seltenen Gelegenheit, aus der Nähe zu sehen, was sonst nur aus der Tiefe der überfüllten, lärmdurchfluteten Kapelle mit verrenktem Hals zu betrachten ist.
Die drei Titelseiten der Kleinen Zeitung von Karfreitag, Karsamstag und Ostersonntag gehen auf diesen prägenden Besuch zurück. Der Zeigefinger Gottes und die ausgestreckte Hand Adams, knapp vor der Berührung fixiert, regten Kriesches Vision für Ostern an. Er ließ seine eigenen Hände in Gips abgießen, ungefähr in der Haltung, die die Hände der Fi- guren in Michelangelos Bild von der Erschaffung des Menschen einnehmen.
Die Gipsabgüsse drehte er mit der Handfläche nach vorn und fotografierte sie. So ähnelten sie plötzlich frappierend den Händen eines Gekreuzigten. In den meisten Skulpturen sind die Nagelwunden an der Stelle zu sehen, die auf der Titelseite vom Karfreitag durch einen roten Punkt markiert war – mitten auf der Handfläche. Historisch ist das zwar falsch, weil die Kreuzigungen an der Handwurzel durchgeführt wurden, doch die Kraft der Bildtradition erwies sich über die Jahrhunderte bei der Kreuzigungsdarstellung letztlich als stärker.
Am Karsamstag fehlt die Farbe, die Wunde ist nicht mehr sichtbar. Grablegung, Grabesruhe. Weder Glocken noch Orgel sind an diesem Tag in den Kirchen zu hören, das Bild drückt symbolisch den Tag des Übergangs durch den Verzicht auf jede Farbe aus.
Und noch etwas verbirgt sich in den Titelseiten der ersten beiden Tage: Legt man die Ausgabe vom Freitag und die vom Karsamstag in verkehrter Reihenfolge nebeneinander, kann man sich dazwischen den Korpus des Gekreuzigten denken.
Heute, am Ostersonntag, zeigt Kriesche den direkten Bezug zum Original, den Spalt zwischen der Fingerspitze des Schöpfers und jener Adams. Und plötzlich bekommt das Bild eine neue Bedeutung. Die Belebung Adams, geschaffen aus Staub, wie die Bibel erzählt, wird zur Wiederbelebung des toten Jesus. Die Stelle des alten Adam nimmt jetzt der neue Adam ein, wie Jesus in der Bibel auch genannt wird.
In den Ikonen der Ostkirche kehrt das Motiv des Abstiegs in die Hölle oft wieder. Jesus steigt zu den Vorfahren hinab und nimmt auch jene Menschen, die vor ihm gestorben sind, in die Auferstehung mit. Zu seinen Füßen liegen die zertrümmerten Tore der Unterwelt. Seine beiden Hände streckt er aus zu den biblischen Ureltern des Menschengeschlechts, Adam und Eva. Dahinter stehen auch die Propheten des Alten Testaments, bereit, mit dem Auferweckten ans Licht zu treten. Da
ist es also wieder, das Motiv der ausgestreckten Arme. Diesmal aber streckt der neue Adam, Christus, dem alten Adam die Hand hin, die ihn in ein neues Leben führt.
Für Kriesche ist das Bild von Michelangelo mehrdeutig. In der klassischen Lesart stellt es dar, wie Gott dem noch leblosen Adam Leben einhaucht. Es könnte aber auch die Schaffung Gottes aus der Imagination des Adam zeigen. Zumindest wäre das nachvollziehbar, findet Kriesche. „Das Bild ist in beide Richtungen offen.“
„Im Adam steckt das ganze Potenzial der Menschen“, formuliert Kriesche. Was das Potenzial wäre, zeigt sich in Jesus, das meint der Titel „Sohn Gottes“. Kriesche sagt: „Jesus repräsentiert das Maximum dessen, was ein Mensch überhaupt erreichen kann, im Irdischen. Er zeigt das Potenzial des Adam.“
Bei der Arbeit an den Gipshänden ist Kriesche noch etwas aufgefallen, was auf den ersten Blick auf Michelangelos Meisterwerk nicht sofort ins Auge sticht. Gott streckt Adam in dem Deckenfresko seinen rechten Arm hin, Adam aber hält ihm seinen linken hin. „Alle gehen davon aus, dass wir uns immer die rechte Hand geben. Adam gibt Gott die linke Hand“, sagt Kriesche. „Nur deshalb lässt sich die Begegnung auch mit den Händen eines Menschen darstellen“, sagt Kriesche.
„Es steckt alles in uns“, leitet der Künstler daraus ab. Die innere Spannung, der Wille zur Selbstüberbietung, das stecke in jedem Menschen. Sie treibt uns zur Schaffung von Größerem, von Domen, von „Weltkunstwerken“wie dem Zyklus in der Sixtinischen Kapelle, glaubt Kriesche.
Was Kriesche an dem Bild besonders faszinierte, ist das „Unüberbrückbare“, der Spalt zwischen den beiden Fingern. „Dieses Unüberbrückbare ist eigentlich das Rätsel, der Unterschied zwischen Göttlichkeit und Menschlichkeit.“Ohne diesen Spalt, sagt Kriesche, „könnten wir nicht transzendieren“.
Was Kriesche beim großen Renaissancemaler noch auffällt: „Er malt Gott wie Adam, gleich groß, er kommt nur mit einem Geschwader daher. An sich sind die Figuren total human.“Bemerkenswert scheint ihm auch, dass die Hand des Schöpfers nicht von oben zu Adam hinunterzeigt, sondern eigentlich von unten auf ihn zukommt. „Erst als ich die Hände nachgebastelt habe, ist mir das aufgefallen.“Nicht Macht drücke das aus, sondern Gnade – „wenn es so etwas gibt“. Eine „Ermächtigungsgeste“sei das, kein „drüber Regieren“.
Ob der Meister, hineingequetscht zwischen Gerüst und Kapellendecke, sein Bild auch so verstand wie der Berufskollege 500 Jahre später, ist unerheblich. Wichtig ist, dass es seine Wirkung tut, als Anregung zur Selbstüberbietung späterer Generationen.