„Es geht hier nicht um Schuld, es geht um Gerechtigkeit“
INTERVIEW. Lukas Meyer forscht an der Uni Graz über die philosophischen Fragen, die der Klimawandel aufwirft. Wie wir abseits aller Klimastrategien vom Wissen zum Handeln kommen und warum die Politik in einer Zwickmühle steckt.
Der Klimawandel gilt als größte Gefahr der Menschheitsgeschichte. Warum fällt es uns so schwer, adäquat darauf zu reagieren?
LUKAS MEYER: Es gibt dafür eine Reihe von Gründen. Zum einen betrifft das Problem alle drei Zeitdimensionen: Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit. Will man angemessen handeln, muss man die Interessen der in Zukunft lebenden Menschen schützen, gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass die Kosten für dieses Handeln heute fair verteilt werden, und berücksichtigen, dass die heutige Lage auch durch Emissionen von Menschen verursacht wurde, die in der Vergangenheit gelebt haben.
Ein komplexes Problem ...
... es ist ein hochkomplexes Problem. Das wird noch gesteigert dadurch, dass unser Wissen über die genauen Auswirkungen des Klimawandels und der Maßnahmen dagegen relativ unsicher ist. Wir handeln also unter Risiko. Die Maßnahmen gegen den Klimawandel wirken sich ja häufig erst in vielen Jahren positiv aus.
Fällt uns das Handeln so schwer, weil uns die Vielschich- tigkeit des Problems überfordert?
Als Einzelpersonen sind wir insofern überfordert, als das, was wir persönlich tun können, höchstwahrscheinlich keinen großen Unterschied machen wird. Wenn ich meine Emissionen reduziere, vermeide ich dadurch den Klimawandel nicht. Auch lässt sich nicht feststellen, wie sich durch mein Handeln die Konsequenzen des Klimawandels ändern. Deshalb sind wir auf gemeinsames Handeln angewiesen, und das ist eine große Herausforderung.
Besteht da nicht das Risiko, dass sich jeder Einzelne mit Verweis auf die Gemeinschaft aus der Verantwortung nimmt?
Als Einzelner habe ich dennoch gute Gründe, mitmachen zu wollen. Es ist doch so, dass die meisten Menschen ihre Emissionen um 30 Prozent zurückfahren könnten, ohne dafür große Abstriche in ihrer Lebensqualität machen zu müssen. Erstens weil wir eingesehen haben, dass die Absorptionsfähigkeit der Atmosphäre für Emissionen eine knappe und wertvolle Ressource ist, mit der wir nicht verschwenderisch umgehen sollten. Das gilt generell für solche Ressourcen. Zweitens haben wir hier ein Gerechtigkeitsproblem, weil wir mit unserem bisherigen Handeln riskieren, künftig lebende Menschen in ihren Grundrechten zu verletzen. Es geht also darum, nicht Teil des Problems zu sein, sondern Teil der Lösung. Und man kann mit gutem Beispiel vorangehen. Meine Verhaltensänderung kann sich auf das Verhalten anderer auswirken. Drittens wissen wir, dass wir unser Verhalten früher oder später sowieso ändern müssen.
Also lieber gleich beginnen?
Ja, das macht es einfacher und langfristig billiger. Und damit signalisiere ich den politisch Verantwortlichen: Ich stehe dafür, dass ihr die politische Lösung, die solche Reduktionen dann erzwingt, umsetzt.
Dennoch scheint der politische Wille zu fehlen, den Wählern Verzicht auf lieb gewonnene Lebensgewohnheiten zuzumuten.
Klimaschutz muss nicht mit Verzicht und Verringerung der Lebensqualität einhergehen. Die entscheidende Frage ist, was wir wirklich wollen, wenn wir darüber nachdenken, und ob wir das nicht auch mit anderen Mitteln erreichen können.
Voraussetzung ist aber dennoch der Verzicht auf fossile Energieträger. Ein Rezept wäre, diese höher zu besteuern – was nicht viele Regierungen wagen.
Die Politik ist hier ein bisschen in der Zwickmühle. Die spezifischen Lebensweisen, an die wir uns gewöhnt haben, sind ja nicht zuletzt durch die politische Rahmensetzung bestimmt. Dass wir pro Kopf ein so hohes Niveau an Emissionen haben, ist insbesondere dem Umstand geschuldet, dass die staatlich geschützten Rahmenbedingungen das ermöglicht und begünstigt haben. Jetzt kann die Politik nicht von heute auf morgen sagen: Ätsch, das gilt ab sofort alles nicht mehr, seht selbst, wie ihr mit der neuen Situation zurechtkommt.
Gleichzeitig steht die Politik in der Verantwortung.
Richtig, das muss sie anerkennen. Änderungen müssen also effektiv sein und andererseits
fair. Und fair heißt auch, dass man die Erwartungen, die die Menschen unter den bisherigen Bedingungen zu Recht entwickelt haben, so weit es geht, nicht enttäuscht. Das macht das Ganze so schwierig.
Selbst wenn CO2-Ausstoß höher besteuert würde: Wer das nötige Kleingeld hat, wird sich die Verschmutzung der Atmosphäre weiterhin leisten können. Fair? Wenn es um Änderungen von Anreizstrukturen durch höhere Steuern auf gewisses Verhalten geht, dann ist es am Ende immer eine Frage, ob man sich das noch leisten kann. Wenn es dagegen um Verbote geht, dann trifft das alle gleichermaßen. Unter Fairnessgesichtspunkten wird man sich überlegen müssen, was jeweils effektiver und was gerechter ist.
Etwas Effektiveres als ein Totalverbot wird es kaum geben. Schon, nur ist es nicht zwangsläufig fair, nur weil es alle trifft. Man muss eben auch auf legitime Erwartungen Rücksicht nehmen. Wenn Sie mit Verboten arbeiten, schließen Sie Optionen, mit Anreizstrukturen schaffen Sie Optionen.
Stehen wir im Westen moralisch in der Schuld der Entwicklungsländer, die bisher viel weniger emittiert haben, aber an den Folgen der Erwärmung überdurchschnittlich zu leiden haben? Ja, auch wenn es dagegen eine Reihe wichtiger Einwände gibt. Bin ich moralisch dafür verantwortlich, was meine Vorfahren getan haben? Da lautet die Antwort Nein. Ich hatte ja gar keinen Einfluss darauf. Kann man den Menschen, die in der Vergangenheit diese Emissionen verursacht haben, dieses Verhalten vorwerfen? Nicht pauschal, weil man über eine lange Zeit während der Industrialisierung und wohl bis in die 1990er über die langfristigen Konsequenzen dieser Emissionen nicht Bescheid wissen konnte oder musste. Wenn man also sagt, die industrialisierten Länder sind verantwortlich für historische Emissionen, braucht es Antworten auf diese Einwände.
Wie könnten diese lauten? Eine Antwort, die ich plausibel finde, ist folgende: Es geht nicht darum, ob die Emissionen den früher lebenden Menschen vorzuwerfen sind. Und auch nicht darum, ob es einen schuldhaften Zusammenhang zwischen meinen Vorfahren und mir gibt. Entscheidend ist: Genieße ich heute Begünstigungen aus diesen Aktivitäten meiner Vorfahren? Da wird offensichtlich: Wäre ich als Kleinkind aus Süddeutschland in einen Slum in einem Entwicklungsland transferiert worden, hätte ich aus der Industrialisierung und ihrer Konsequenz mit all der Infrastruktur, den Ausbildungs- und sozialen Systemen viel weniger Begünstigungen realisiert.
Diese durch die Zufälligkeit der Geburt erlangten Begünstigungen sind auszugleichen?
Ja, sie sind ja nicht mein persönliches Verdienst. Es ist also keine Frage der Schuld, es ist eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit, genauer: der substanziellen Chancengleichheit.
Die Politik kann nicht von heute auf morgen
sagen: Ätsch, ab sofort gelten die Regeln nicht mehr, auf die ihr euch eingestellt habt.
Lukas Meyer