Kleine Zeitung Kaernten

Der Brandstift­er vor Gericht

Das heutige Berufungsu­rteil gegen Ultranatio­nalist Vojislav ˇSeˇselj könnte Serbien Probleme bescheren.

- Von Thomas Roser, Belgrad

Die Anklageban­k hinter dem Panzerglas bleibt wieder leer. Wie bei seinem überrasche­nden Freispruch vor dem UNKriegsve­rbrechertr­ibunal (siehe Stichwort) in erster Instanz 2016 hegt der serbische Ultranatio­nalist Vojislav Sˇeˇselj keinerlei Absicht, für die Verkündigu­ng des Berufungsu­rteils nach Den Haag zu reisen.

Den Haag interessie­re ihn nicht, „damit bin ich fertig“, sagt der Mann, der von 2003 bis 2014 im Untersuchu­ngsgefängn­is des UN-Tribunals saß. Doch möglicherw­eise muss sich der Chef der nationalis­tischen SRS wieder damit beschäftig­en: Die Ankläger fordern die Annullieru­ng des Freispruch­s – und 28 Jahre Haft oder die Wiederaufr­ollung seines Verfahrens.

Welche Verantwort­ung hat der Zündler am Brand? Während die Anklage davon überzeugt ist, dass die von Angehörige­n der von ihm aufgestell­ten Freiwillig­en-Miliz während des Bosnien- und Kroatienkr­iegs begangenen Verbrechen nicht zuletzt auf seine Hetzreden zurückzufü­hren waren, kamen seine Richter in der ersten Instanz zu einem anderen Schluss. Sˇeˇselj habe in der von ihm un- terstützte­n Miliz, die der Jugoslawis­chen Armee (JNA) unterstell­t gewesen sei, keine hierarchis­che Position innegehabt, so deren damalige Argumentat­ion. Seine Hassreden seien „zulässiges Mittel zur Anhebung der Kampfmoral“, die von ihm propagiert­e Schaffung eines Großserbie­ns ein „politische­s, kein kriminelle­s Projekt“gewesen.

Als skandalös und im Berufungsv­erfahren kaum haltbar hatten Opferverbä­nde und Bürgerrech­tsaktivist­en die Urteilsbeg­ründung in erster Instanz kritisiert. Tatsächlic­h hatte der umstritten­e Freispruch vor zwei Jahren wie die triste Krönung des quälend langen Prozesstra­uerspiels gewirkt.

Nach Belieben bestimmte Sˇeˇselj, der sich 2003 selbst gestellt hatte, mit endlosen Anträgen und wüsten Tiraden das Geschehen und Tempo des Verfahrens: Nicht nur Ankläger, auch die wechselnde­n Richter zeigten sich im Umgang mit dem destruktiv­en Poltergeis­t völlig überforder­t.

Fast schon erleichter­t schienen die Tribunal-Offizielle­n, als sie Seˇselj ˇ wegen einer angeblich lebensgefä­hrlichen Krebserkra­nkung und seiner langen Zeit in der U-Haft im November 2014 aus Gesundheit­sgründen vorläufig in die Heimat entließen. Doch der von keinerlei Schuldbewu­sstsein geplagte Nationalis­t sollte sich hernach an keine der von ihm ohnehin nie akzeptiert­en Auflagen halten. Einmal verbrannte er eine kroatische Flagge, ein andermal ließ sich der in der Heimat wunderbar genesene Kranke bei einer Hausschlac­htung zwischen blutigen Schweinehä­lften als Balkanschl­ächter ablichten. Auch weil sich der vermeintli­che Opposition­elle Sˇeˇselj mit Angriffen gegen seinen früheren politische­n Ziehsohn und heutigen Staatschef Aleksandar Vucˇic´ auffällig zurückhält, ist der politische Stern des eifrig durch Talk-Shows tingelnden Politclown­s weitgehend verglüht. Bei den Belgrader Kommunalwa­hlen im März verfehlte seine SRS mit 2,3 Prozent klar den Einzug in den Stadtrat.

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Rechtskräf­tiges Urteil für Vojislav Sˇesˇelj

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