Vom Hunger auf mehr Vielfalt auf dem Teller
Vom Einheitsbrei haben wir mehr als genug. Warum Obst- und Gemüseraritäten nicht nur optisch eine Bereicherung für uns sind.
Schon die Namen zergehen einem auf der Zunge: „Himbeerapfel von Holovous“, „Lavanttaler Bananenapfel“oder „Köstliche von Charmeau“. Alles Apfelsorten, die heute kaum noch jemand kennt. „Um 1900 gab es noch 2000 Apfelsorten, heute finden sich im Supermarkt nur noch 20“, heißt es bei der „Arche Noah“im niederösterreichischen Schiltern, wo man sich seit bald 30 Jahren der Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt und ihrer Entwicklung widmet. Das Verschwinden der „Geschmacksträger“zeigt sich leider nicht nur im Apfelbereich. „In den vergangenen 100 Jahren haben wir weltweit etwa 75 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Vielfalt verloren“, heißt es im viel zitierten Bericht der Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen von 1993.
Langsam, aber sicher verdirbt die Monotonie auf den Speisetellern aber immer mehr Menschen den Appetit. Supermarktketten reagieren auf die neue Nachfrage mit bunten Tassen voller Paradeiser- und Paprikararitäten. Auch Erdäpfel bekennen Farbe. „Vor fünf Jahren war es noch sehr mühsam, blaue Erdäpfel zu verkaufen, mittlerweile ist es ein Hype, es gibt sogar blaue Kartoffelchips“, sagt Franco Baumeler, Leiter des Arche-Noah-Schaugartens. Dieses bisschen Mehr an Angebot kann ihn allerdings nicht besonders beeindrucken: „Wir arbeiten hier mit 180 Erdäpfelsorten. In der Genbank in Deutschland finden sich 3000 und in Südamerika sogar um die 5000 Sorten.“Immerhin: Bei den Erdäpfeln hat sich im Vergleich zu
manch anderem Gemüse schon viel getan.
„Gurken zum Beispiel gehören noch zum verlorenen Gemüse“, sagt der Gemüsebauforscher Wolfgang Palme von der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt Schönbrunn, der sich seit vielen Jahren für Gemüseraritäten starkmacht. „Wir kennen Gurken nur im Salat oder als Tsatsiki. Dabei eig- nen sich viele Sorten hervorragend für den Wok oder zum Grillen“, lautet seine Botschaft. Gute Beispiele dafür seien die Schwammgurken (Luffas) mit ihren zylindrischen, zucchiniähnlichen Früchten, die sich in Scheiben geschnitten hervorragend zum Herausbacken in etwas Fett oder zum Grillen eignen. Für diese Zubereitung eignen sich auch Schlangengurken (auch Haarblume oder Schlangenhaargurken genannt), deren Fruchtfleisch nach Zuckererbsen und Spargel schmeckt. „Die Pflanze macht sich auch als dekoratives Element im Hausgarten gut“, sagt Palme. Die Blüten der Schlangengurke sind nämlich eine einzigartige Pracht.
der Angebotspalette, für wahre Vielfalt auf dem Speiseteller sprechen etliche Gründe. Aber keiner ist so eindrucksvoll wie dieser: der Geschmack. „Vollmundig“beschreibt ihn Baumeler. „Ein Topf voller Gemüseraritäten schmeckt auch ohne jedes Gewürz, mit nur ganz wenig Salz.“
Neben dem Geschmack und der Optik überzeugen auch die Inhaltsstoffe. „Generell ist die Nährstoffdichte in Obst und Gemüse besser, je weniger es auf Leistung gezüchtet wird“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Andrea Ficˇala.
Der Substanzverlust von Obst und Gemüse aus der Massenproduktion zeigt sich in vielen Details: „Radieschen aus dem Supermarkt sind meistens nicht mehr scharf, die Senföle werden heruntergezüchtet, weil es die Österreicher nicht so scharf mögen. Senföle sind aber wichtig für unser Immunsystem. Oder nehmen wir die Polyphenole in den Äpfeln, das sind antioxidativ wirksame Substanzen, die auch wichtig sind, um Allergene zu inaktivieren: Sie werden im Apfel heruntergezüchtet, weil die Früchte dadurch süßer werden und sich nach dem Anschneiden weniger verfärben,“erklärt Ficˇala.
Andererseits: Lebensmittel mit sensationellem Geschmack bleiben selten lange liegen, wie wir wissen.