„Facebook zeigt, wie naiv wir sind“
Philosophieprofessor und Autor Konrad Paul Liessmann wird heute 65. Ein Gespräch über das Altern, die 68er in Villach und die getriebene Gegenwart.
Herr Professor, Sie werden heute 65 Jahre alt. Wie werden Sie diesen runden Geburtstag feiern?
KONRAD PAUL LIESSMANN: Ich weiß nicht, ob es mathematisch korrekt ist, den 65er als runden Geburtstag zu bezeichnen. Er hat nur bei uns so eine Bedeutung, weil er gleichzeitig Pensionsantrittsalter ist. Ich werde in kleinem Kreis und ganz unauffällig feiern. Ich bin kein großer Freund von Geburtstagsfeiern.
Warum?
Es ist ein eigentümlicher Festtag. Man feiert etwas, wofür man nichts kann. Für viele Dinge im Leben, die man getan hat, kann man einstehen, manches bereut man vielleicht, auf besondere Leistungen kann man stolz sein. Aber dass man geboren worden ist, dazu hat man nichts beigetragen. Man feiert die Tatsache, dass man auf der Welt ist, und daraus ergibt sich der einzige Wunsch, den ich habe: noch möglichst lange auf dieser Welt zu sein.
Gibt es etwas, dass Sie den Jungen für ihren 65er wünschen?
Natürlich kann man den Men- schen immer wünschen, dass sie in einer Welt leben, in der einige der ökonomischen, politischen oder ökologischen Krisen, die sich aktuell abzeichnen, gelöst sind. Ich weiß nicht, ob man ihnen eine Welt wünschen soll, in der das Menschsein keine Bedeutung mehr hat, weil Automaten das Leben bestimmen. Was man ihnen sicher wünschen soll, ist, dass sie sich eine Welt ganz nach ihren Vorstellungen schaffen: selbstbewusst und frei. Dass sie sich im Leben, im Gegensatz zu uns, nicht immer nur als Getriebene fühlen, sondern als Gestalter.
Haben Sie ein konkretes Bild vor Augen? Denken Sie, dass es einen Schritt zurück geben wird?
Einen Schritt zurück wird es nicht geben, denn wir leben in einer zunehmend von Technologisierung bestimmten Zivilisation. Die Perspektive kann nur sein, der Technik gegenüber souveräner zu werden, sie nach unseren Vorstellungen einzusetzen. Es sollte für Menschen in naher Zukunft selbstverständlich sein, dass sich die Geräte nach ihren Bedürfnissen richten und nicht umgekehrt, wie es aktuell stets heißt, wir mit der Digitalisierung mitmachen und uns an die Apparate anpassen und optimieren müssen, da wir sonst angeblich einen Wettbewerb verlieren.
Der Facebook-Datenskandal dominierte zuletzt die Schlagzeilen. Man konnte Mark Zuckerberg zuschauen, wie er sich vor dem USSenat reumütig gab. Was erzählt die Facebook-Story über uns?
Die Geschichte von Facebook erzählt, wie naiv wir eigentlich sind. Ein Unternehmen, das davon lebt, dass es die Daten seiner Kunden benutzt und weitergibt, musste ja quasi so handeln. Ob das jetzt legal, halblegal oder illegal war, ob das tatsächlich Wahlkämpfe beeinflusst hat, ist noch eine ganz andere Frage. Aber es geht darum, diese Daten so zu benutzen, dass die Menschen mit personalisierter Werbung zugeschüttet werden können. Das ist ja das Geschäftsmodell! Diese Blauäugigkeit, dieser bedingungslose Glaube, dass alles gut ist, was aus dem Silicon Valley kommt, finde ich beängstigend.
Digitalisierung, Automatisie-
rung, Effizienzdenken: Braucht es die Philosophie, die entschleunigte Reflexion, dringender denn je?
Als Zeitgenosse weiß man immer erst im Rückblick, ob die Zeit eine wichtige war. Zu begreifen, was geschieht, ist in der Aktualität oft nicht möglich. Wir haben offensichtlich zehn Jahre lang nicht begriffen, was wir eigentlich tun, wenn wir uns in diesen sozialen Netzwerken bewegen. Vielleicht stellt sich in der Zukunft heraus, dass Dinge wie Facebook eigentlich eine Kinderkrankheit des Internets waren und in fünf Jahren redet niemand mehr davon.
Was hat Sie in Ihrer Jugend an der Philosophie interessiert?
Das ist eine ganz einfache Geschichte: Ich war 13 Jahre alt und entdeckte in der Bibliothek meiner Eltern den Band einer populärwissenschaftlichen Reihe, der „Du und die Philosophie“hieß. Die Geschichte des Sokrates, der zum Tode verurteilt worden war und dieses Urteil akzeptierte, um nicht seinen eigenen Prinzipien untreu zu werden, hat mich fasziniert. Ich habe weitergelesen, auch wenn ich damals noch nicht viel verstanden habe. Ich bin in den 1960ern in Villach ins Gymnasium gegangen und dort bin ich früh politisiert worden. Ich habe angefangen Marx und politische Zeitungen zu lesen. Da landet man dann leicht wieder bei der Philosophie.
Erzählen Sie uns mehr über den Geist der 68er in Villach?
Im Gegensatz zu Wien ist relativ wenig passiert. Es gab keine großen Rebellionen unter der Schülerschaft, aber linke Gruppierungen, bei denen ich dabei war. Es gab einen Versuch, eine linke Schülerzeitung zu gründen, es gab Flugblattaktionen, eine alternative Kulturszene etablierte sich. Wer wach und aufmerksam war, konnte diesen Hauch von Rebellion auch in Villach spüren. Wir waren zumindest so aktiv, dass wir unter permanenter Beobachtung der Staatspolizei standen.
Es existiert die Geschichte, dass Sie als ersten Berufswunsch „Zuhälter“und als zweiten „Philosophieprofessor“angegeben.
Das war in der Berufsberatung in der siebten Klasse und ein Jux. Ich wollte natürlich nie Zuhälter werden, sondern den Psychologen ärgern.
Erinnern Sie sich gern zurück?
Man neigt im Alter dazu, die eigene Jugend nostalgisch zu verklären, das will ich nicht. Manches war furchtbar, bedrückend, quälend. An anders erinnere ich mich gerne.
Ändert sich für Sie mit 65 Ihre berufliche Situation?
An einer Universität ist der Schritt in die Pension bzw. Emeritierung angenehm. Ich kann Lehrveranstaltungen halten und Arbeiten betreuen, muss aber nicht. Das Philosophicum Lech wird es weiter geben. Vor allem möchte ich freier, konzentrierter schreiben. Nächste Buchprojekte sind schon vorbereitet.