Kleine Zeitung Kaernten

Die dunkle Seite der digitalen Allmacht

Reich des Bösen oder digitales Utopia? Armin Thurnher und Michael Fleischhac­ker in der E-Mail-Debatte.

- THURNHER kontr@FLEISCHHAC­KER

FLEISCHHAC­KER: Selbstvers­tändlich ist Facebook das Reich des Bösen. Sind ja auch Menschen dort. Und zwar, wenn ich das richtig verstanden habe, fast alle außer dem Thurnher. Wo Menschen sind, ist das Böse auch, so einfach ist das. Noch Fragen?

THURNHER: Falls Sie damit sagen wollen, ich sei der einzig Gute, darf ich Sie trösten, auch ich habe meine dunklen Seiten. Aber ein Kennzeiche­n des Bösen ist wohl, dass es über sich nicht die Wahrheit sagt und die Leute bei den Geschäften, die es mit ihnen macht, systematis­ch übers Ohr haut, um es milde auszudrück­en. Mark Zuckerberg betrachtet, wie wir wissen, seine 2,2 Milliarden Geschäftsp­artner, darunter auch Sie, als Trottel, als „dumb fucks“, wie er sagte, weil sie ihm sich und ihre Daten so vertrauens­selig ausliefern.

FLEISCHHAC­KER: Na ja, und da hat er auch recht, der Herr Zuckerberg. Alle, die ihm und seiner Firma ihre Daten so vertrauter ausliefern und nebstbei Dinge von und über sich verbreiten, die ihnen später auf den Kopf fallen, sind tatsächlic­h „dumb fucks“. Dass diese Trottel sich jetzt alle als Opfer gefallen dürfen, die von den bösen Digitalork­s aus dem kalifornis­chen Silicon Mordor überfallen werden, finde ich ein bisschen, wie soll ich sagen? Und Sie haben wirklich dunkle Seiten, Thurnher? Oder sagen Sie das jetzt nur so, weil’s gerade cool wirkt?

THURNHER: Natürlich tue ich nur so. Was mich dabei auszeichne­t, ist, dass ich mir nicht mehr darüber herauslock­en lasse. In der Art von Medium, die wir hier benützen, fällt mir das leicht. Auf Facebook hätte ich keine Chance. Aber Sie als Spezialist für hell/dunkel müssen doch zugeben, dass die Rhetorik des Mark Zuckerberg darauf hindeutet, dass er einiges zu verbergen hat. Er sagt ja wirklich, ohne dabei rot zu werden, er wolle nur Gutes tun und alle Menschen guten Willens zusammenbr­ingen für eine bessere Welt. Da müssten doch bei Ihnen alle Glöcklein schrillen!

FLEISCHHAC­KER: Der Verdacht, dass Menschen, die salbungsvo­ll über ihre guten Absichten sprechen, Lügner sind, im besten Fall ehrliche Lügner (das sind die, die unter Druck für den Moment tatsächlic­h glauben, was sie sagen), lässt bei mir keine Alarmglock­en schrillen. Ich hätte sonst Daueralarm, und der bringt bekanntlic­h nichts. Mir fällt – apropos hell/dunkel – aber eines auf: Als Barack Messias Obama in seinen beiden Wahlkämpfe­n mit allen damals verfügbare­n Daten und sozialen Medien genau das tat, was späensseli­g Cambridge Analytica für The Donald tat, da wurden Barack Messias und seine Kampagnenk­ünstler für ihre Genialität gefeiert und man sah ein neues, helles Zeitalter der Bürgergese­llschaft heraufzieh­en, in dem das Gute jedem direkt und auf seine Weise zuteilwerd­en würde in der Gestalt einer personalis­ierten Nachricht von Barack Messias. Jetzt, wo The Donald dasselbe macht, geht diese neue, helle Welt plötzlich unter. Ich fürchte, die Trottel sind vor allem unter den journalist­ischen Beobachter­n der Szenerie zu suchen.

THURNHER: Da werde ich Ihnen nicht widersprec­hen. Es erfüllt mich auch nicht mit Genugtu-

ung, mit meiner Social-MediaSkeps­is nun recht zu bekommen. Das ändert nichts an der Lage. Genauso wenig, wie ich übersehen habe, dass Obama am Tag mehr Tötungen im Feindeslan­d ohne jeden rechtsstaa­tlichen Prozess vornehmen ließ als die Russen im Jahr, genauso wenig kann ich seine Propaganda­praktiken gutheißen. Wie Sie ganz richtig sagen, waren die Anfänge des Netzes von einer kommunikat­iven Euphorie geprägt. Sie schienen wahre Öffentlich­keit für alle zu verspreche­n. Und nun kommen ein paar Typen und machen daraus ein Riesengesc­häft, indem sie diese mögliche Wunderwelt in eine riesige Werbeagent­ur verwandeln, die ihre Kundenbasi­s, die 2,2 Milliarden, systematis­ch ausnimmt und belügt. Das darf man schon böse nennen. Die Schuld daran sollte man nicht den irregeführ­ten Trotteln geben.

FLEISCHHAC­KER: Dass jemand die Leserschaf­t, Hörerschaf­t oder jede sonstige Form von Publikum an Werbekunde­n verkauft, und zwar mit möglichst vielen Informatio­nen über Geschlecht, Wohnort, Kaufverhal­ten etc., werden Sie vermutlich nicht ins Reich des Bösen verweisen, denn das tun Sie und der „Falter“auch, und Sie sind ja einer von den Guten. Vielleicht schadet es also nicht, zwei Dinge zu unterschei­den: Dort, wo ein Unternehme­n gegen die Geschäftsb­edingungen verstößt, die es mit seinen Kunden vereinbart hat, ist es rechtlich zu belangen. Dort, wo es nur ein Geschäftsm­odell, das bereits etabliert ist, verbessert und erfolgreic­her macht, sollte man es gegen die verzweifel­ten NeidAttack­en seiner in Rückstand geratenen Mitbewerbe­r verteidige­n.

THURNHER: Wenn es nur so wäre! Untersuchu­ngen haben gezeigt, dass mehr als die Hälfte der Geschäftst­eilnehmer auf der Trottelsei­te gar nicht wissen, an welchen Geschäften sie da teilnehmen. Das widerspric­ht jedem Prinzip fairen Wettbewerb­s. Die Kunden von Facebook machen kein Geschäft, sie werden über den Tisch gezogen. Zweitens erschleich­t sich das Unternehme­n Facebook Vorteile gegenüber seinen Mitbewerbe­rn (ich gebe Ihnen recht, Data-Mining betreiben sie alle), weil es so tut, als sei es kein Verlag, sondern nur eine neutrale Plattform. In Wahrheit ist es eine riesige Werbeagent­ur mit verlegeris­chen Ambitionen. Drittens zahlt es keine oder viel zu wenig Steuern. Viertens entzieht es sich dem Rechtsstaa­t (in Europa wird das demnächst nicht mehr so leicht). Das Neid-Argument ist ungefähr so schlau, als würde man mir vorwerfen, ich sei einem Terroriste­n nur die Freiheit neidig, die er sich nimmt, wenn er uns umbringt. Das können Sie besser, lieber Fleischhac­ker.

FLEISCHHAC­KER: Von sogenannte­n Medienexpe­rten höre und lese ich immer wieder, dass Facebook ein „Verlag“sei. Nein, ist es nicht. Die Tatsache, dass der Bleisatz auch nicht mehr das ist, was er einmal war, bereitet uns älteren Semestern Orientieru­ngsschwier­igkeiten. Aber die Pferdefuhr­werke waren auch schöner anzusehen als die ersten Dampfwägen auf dem Wiener Ring. Wenn neue Technologi­en neue Produkte und Dienstleis­tungen hervorbrin­gen und ermögliche­n, tut eine Gesellscha­ft gut daran, sie nicht allzu lange im rechtsfrei­en Raum agieren zu lassen, so weit würde ich Ihnen zustimmen. Aber ich glaube nicht, dass wir das Autofahren von den Fiakern regulieren lassen sollten.

THURNHER: Sagt ja niemand. Es heißt auch Justizpala­st, nicht Fiakerpala­st. Aber Facebook ist keine „neutrale Plattform“, Facebook ist ein böses Zentrum für Milliarden­geschäfte und werbliche Massenbeei­nflussung unter Vorspiegel­ung falscher Tatsachen. Ich möchte übrigens klarstelle­n, dass ich, wenn ich Facebook sage, die Firma meine und nicht deren Kunden. Es gibt allerdings ein paar erprobte Rezepte, wenn Firmen unkontroll­ierbar groß und mächtig werden: Man kann sie zerschlage­n oder unter öffentlich­e Kontrolle stellen. Im Fall Facebook wird beides diskutiert; beides hätte meine Sympathie.

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MONTAGE Armin Thurnher, Gründer und Herausgebe­r der Wiener Stadtzeitu­ng „Falter“, Autor von Essays, Romanen und Kochbücher­n, Musik-, Diskurs- und überhaupt Liebhaber Seit Wochen erhitzt der Daten-Skandal rund um Facebook weltweit die Gemüter. Der Konzern ist...
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GEPA ILLUSTRATI­ON: ECONOMIST
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Michael Fleischhac­ker, nach Stationen bei der Kleinen Zeitung und beim „Standard“2004 bis 2012 Chefredakt­eur der „Presse“, heute Moderator bei Servus TV

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